Rechtsextremismus in Niedersachsen: Viele Indizien gegen Nazi-Schläger
Im Prozess gegen drei Mitglieder der rechtsextremen Calenberger Bande wegen versuchten Mordes zeichnet sich kurz vor dem Ende ein Schuldspruch ab.
Aus den Schilderungen eines Rechtsmediziners folgere das Gericht bisher nicht unbedingt eine Tötungsabsicht der drei Angeklagten, so Grote. Es könnte sich eher um gefährliche Körperverletzung statt um versuchten Mord handeln, eine für das zu erwartende Strafmaß nicht unbedeutende Tendenz. Aber: „Im Zusammenspiel aller Indizien spricht durchaus Gewichtiges, Ernstzunehmendes, dafür, dass man hier von einer Täterschaft der Angeklagten ausgehen muss“, sagte Grote. Ob das für eine Verurteilung ausreiche, bleibe aber letztlich Teil der Abschlussberatung.
In dem reinen Indizienprozess ging es immer wieder um die Frage nach dem Motiv für den Überfall auf den Mann im niedersächsischen Garbsen. Wieso sollen die drei Angeklagten im Januar 2020 dem damals 46-Jährigen vor dessen Tür aufgelauert, ihn überfallen, mit Kabelbindern und Tape gefesselt und verprügelt haben,ihn vor seiner Garage liegen lassen – und damit aufgrund der Schwere der Verletzungen seinen Tod in Kauf genommen haben, wie es in der Anklage heißt. Diese Frage ist auch nach dem Ende des vierten Prozesstages noch immer nicht beantwortet.
Am Montag hatte der ehemalige Leiter des hannoverschen Staatsschutz-Dezernats vor Gericht ausgesagt. Er erzählte von der Arbeit der Ermittlungsgruppe „Elhaz“, die den Mitgliedern der „Calenberger Bande“, die von Antifaschist:innen 2020 auf dem linken Portal Indymedia geoutet worden sind und zu der die drei Angeklagten gehören. 30 bis 40 Beamt*innen hätten an dem Komplex gearbeitet und bei Razzien Waffen, Sturmhauben, Gewaltvideos, kiloweise Pyrotechnik, „einer Napalm-ähnlichen Substanz“ und noch viele weitere Beweismittel zu Tage gefördert.
Bundesweit aktiver Nazi auf der Anklagebank
„Einen absoluter Zufallsfund“ nannte er die Telegram- und WhatsApp-Chats auf dem konfiszierten Handy des Angeklagten Patrick S., der lange bundesweit als Neonazi aktiv war. Unter anderem war er Teil der Führungsriege der Kameradschaft „Besseres Hannover“, die 2012 als kriminelle Vereinigung verboten wurde.
Auf der Suche nach einem Motiv für den Überfall auf den Garbsener seien die Ermittler*innen schließlich auf eine Verbindung der Angeklagten Brüder L. mit dem Opfer gestoßen. Ihr Onkel und das spätere Opfer haben beide im Schichtdienst bei VW in Stöcken gearbeitet und dort Streit gehabt haben.
Außerdem legten die Hinweise nahe, dass sich Patrick S. und Florian L. verabredet haben, um das spätere Opfer auszuspähen. Eine Nachbarin des Opfers fotografierte zudem ein Auto, das den Wohnblock, in dem der Geschädigte lebt, mutmaßlich observierte. Das Auto sei eindeutig dem Angeklagten Frederik L. zuzuordnen, sagte der Chefermittler vor Gericht.
Für den Tattag im Januar 2020 sei verabredet worden, das geht aus den Chat-Verläufen im Handy von S. hervor, dass „es in Garbsen passieren sollte“. Davor habe S. daran erinnert, dass man Kabelbinder mitnehmen möge. Später wurde das Opfer mit Kabelbindern gefesselt von einem Nachbarn gefunden.
Alles sei schief gegangen, habe S. dann am Mittag drauf geschrieben. Es habe „einen Totalschaden“ gegeben, heiße es weiter im Chat. Anschließend suchte der Angeklagte nach Details zur Tat in Garbsen auf dem polizeilichen Presseportal. Das hätten die Auswertung der Ermittlungsgruppe ergeben.
Aber was war schiefgegangen? Sollte der Geschädigte nicht überleben, wie es die Staatsanwaltschaft annimmt? Oder ist schlicht die Gewalt aus dem Ruder gelaufen? Warum wurde die Wohnung des Opfers durchwühlt? Und was war das Motiv? All das bleibt offen, denn die Angeklagten schweigen.
Martin Grote, Vorsitzender Richter am Landgericht Hannover
Verurteilt könnten die drei Angeklagten trotzdem werden, wenn auch nicht wegen versuchten Mordes. Bevor Richter Grote durchblicken ließ, dass das Gericht die Indizien für belastend genug hält, hatte der Verteidiger von Florian L., Harald Dreßler, in einer Verhandlungspause mit den Angeklagten noch über einen baldigen Freispruch gescherzt. Nun ist es an der Verteidigung, die Indizien anzuzweifeln. Das sei „Schattenboxen“, so Verteidiger Matthias Steppuhn.
Prozess wird fortgesetzt
Am heutigen Mittwoch wird der Prozess fortgesetzt. Sollte keiner weitere Anträge stellen, stehen nur noch Plädoyers und Urteil an. Im Falle einer Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung drohen Haftstrafen bis zu 15 Jahren.
Dann bliebe noch die Frage, wieso die Generalstaatsanwaltschaft Celle das Verfahren wegen Terrorverdachts gegen die Gruppe eingestellt hat, wenn sich die Köpfe zu einer Straftat verabredet und diese durchgeführt haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour