Rechtsextremes Geheimtreffen: Allein mit den Deutschen
Rechte fantasieren von „Remigration“, alle sind schockiert. Doch der Ethnopluralismus ist alt und findet sich auch in der Linken.
Wir werden Ausländer in ihre Heimat zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimplan. Das ist ein Versprechen. Für mehr Sicherheit. Für mehr Gerechtigkeit. Für den Erhalt unserer Identität. Für Deutschland.“ So antwortete der Bundestagsabgeordnete René Springer von der AfD auf die Aufregung über ein Treffen von rechtsextremen Identitären, AfDlern und Mitgliedern der Werteunion, das ein völkisch denkender Zahnarzt organisiert hatte.
Bei dieser Zusammenkunft sei, so hieß es im Bericht des Medienhauses Correctiv, ein „Masterplan“ zur „Remigration“ unerwünschter Menschen diskutiert worden, darunter etwa Asylbewerber und Ausländer mit Bleiberecht. Als größtes „Problem“ seien „nicht assimilierte Staatsbürger“ ausgemacht worden: Deutsche, die den Rechten nicht deutsch genug sind. „Remigration“ soll die Lösung der angeblich wesentlichen Frage unserer Zeit sein: „Ob wir als Volk im Abendland noch überleben oder nicht“.
In einem Punkt hatte AfD-Mann Springer recht: Was da in einem Potsdamer Hotel gegen Ende des Jahres 2023 verhandelt wurde, war kein „Geheimplan gegen Deutschland“, wie Correctiv seine Geschichte überschrieb. In Potsdam wurde einmal mehr das identitäre Programm der Neuen Rechten vorgetragen. Es ist weder neu noch unbekannt.
Im Jahr 1978 erschien ein Buch, in dem unter dem Titel „Nationale Identität“ einige Aufsätze und Vorträge von Henning Eichberg versammelt waren. Eichberg widmete sich darin unter anderem der Volksmusik „zwischen imperialistischer Mode und nationaler Revolution“. Eichberg war gegen amerikanischen Pop, daher freute er sich über Neuerungen „auf der Ebene praktischen Singeverhaltens: Auf Studentenfesten singt man gemeinsam Volkslieder, auch in Mundart. Jusos veranstalten Sonnwendfeiern mit Klampfenmusik. Zum Leitmotiv neuerer Demonstrationen wurde ein Vers nach der Melodie ‚Hejo, spann den Wagen an‘: ‚Wehrt euch, leistet Widerstand gegen das Atomwerk hier im Land. Haltet fest zusammen, haltet fest zusammen.‘“
Da verwundert es nicht, dass Eichberg ein Jahr nach Erscheinen seines Buchs zu den Mitbegründern der Grünen gehörte.
„Gastarbeit“ war eine Fiktion
Eichbergs zentrale Kategorie war das Volk. Das Volk fühle sich durch Einwanderung seiner selbst entfremdet, meinte Eichberg. In Westeuropa seien nicht nur Ethnien wie die Bretonen, Iren, Waliser, Basken oder Katalanen durch eine „Politik der kulturellen und demographischen Entpersonalisierung“ bedroht, sondern auch die Zentren – „und zwar durch die Politik des Transfers der euphemistisch sogenannten ‚Gastarbeiter‘“.
Die Ergebnisse dieses „Transfers“ stünden allen vor Augen, klagte Eichberg: „Ein afrikanisiertes Paris, ein ethnisch gesichtsloses Brüssel und ein Berlin-Kreuzberg mit 20 Prozent Türken.“ Damit formulierte Eichberg im Grunde bereits die inzwischen weit verbreitete identitäre Verschwörungstheorie des „Großen Austauschs“.
Vierzehn Millionen „Gastarbeiter“ waren zwischen 1955 und 1973 angeworben worden. Sie sollten im Wirtschaftswunderland fehlende Arbeitskraft kompensieren, die Gewerkschaften schwächen und Lohndumping ermöglichen. Die Gastarbeiter sollten eigentlich rotieren, doch die deutsche Wirtschaft wollte nicht ständig neue Arbeiter anlernen.
„Gastarbeit“ war eine Fiktion. Die Gastarbeiter holten ihre Kinder nach, neue Kinder wurden in Deutschland geboren. „Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen“, analysierte der Schriftsteller Max Frisch schon 1965. Acht Jahre später warnte Kanzler Willy Brandt davor, dass „die Aufnahmefähigkeit unserer Gesellschaft erschöpft“ sei. Brandts sozialliberale Regierung beschloss einen Anwerbestopp.
„Verlust des Wesens“
Für den identitär denkenden Henning Eichberg hatten auch die Türken ein Existenzrecht – in ihrem ursprünglichen kulturellen Raum, also da, wo sie angeblich hingehören. Das ist die zentrale Idee des Ethnopluralismus, die Eichberg maßgeblich formuliert hat. Die in Deutschland lebenden Gastarbeiter nannte Eichberg daher in einem erstaunlichen begrifflichen Dreh einmal gar „durch den Arbeitsmarkt Heimatvertriebene“.
Als Heimatvertriebene hatte man in der Bundesrepublik bis dahin nur die am Ende des Kriegs aus Ostpreußen, Schlesien und dem Sudetenland Geflohenen und Vertriebenen genannt. Nun gelten die Türken also auch als Heimatvertriebene, denen man dabei helfen muss, in ihre Heimat zurückkehren zu können.
Der Ethnopluralist Eichberg gestand allen Völkern ihre kulturelle „Eigentümlichkeit“ zu. Die Kategorie „die Deutschen“ reichte ihm angesichts der im Land lebenden ehemaligen Gastarbeiter nicht mehr aus: Deutschland solle den „deutschen Deutschen“ vorbehalten sein. Ironischerweise erkannte er damit implizit an, dass es auch türkische, italienische, griechische, spanische und jugoslawische Deutsche gab.
Es ist kein Zufall, dass Eichberg damals zwischen deutschen Deutschen und nicht-deutschen Deutschen zu unterscheiden begann. Der erste Leiter des Amts des Ausländerbeauftragten der Bundesregierung, Heinz Kühn, veröffentlichte 1979 ein Memorandum, das erstmals offiziell aussprach, dass Deutschland faktisch ein Einwanderungsland geworden war.
„Die nationale Frage, wiederaufgelegt.“
Es war die Realität der Einwanderungsgesellschaft, auf die neue Rechte wie Eichberg reagierten. Woher aber hatten sie die Idee der „Identität“?
1976 diagnostizierten namhafte deutsche Intellektuelle bei einer Tagung, die bundesdeutsche Gesellschaft sei orientierungslos geworden. Dafür sei ein Mangel an „deutscher Identität“ verantwortlich. Es müsse darum gehen, „unsere historische Identität wieder zu gewinnen und zu vertiefen“, meinten die einen. Zukunft brauche Herkunft, postulierten andere, denn „der moderne Verlust des Wesens“ verlange „als sein Minimalsurrogat die Identität“. Für den vermeintlichen Identitätsverlust wurden nicht die Fremden im Land verantwortlich gemacht, sondern das moderne Leben und der Einfluss amerikanischer Konsumkultur.
Drei Jahre später gab Jürgen Habermas zwei Bände heraus, die „Stichworte zur geistigen Situation der Zeit“ geben sollten. Anlass war die Etablierung der Neuen Rechten in der Bundesrepublik. Nach dem Ende der bis 1972 währenden „Reformphase“ aber setzte laut Habermas eine „Tendenzwende“ ein: Die Linke habe die intellektuelle Hegemonie an die Neue Rechte verloren.
Diese Tendenzwende beschrieb Habermas als „Symptom eines Gesinnungswandels, der die Mentalität des Kalten Krieges von der Fixierung auf den äußeren Feind löst, und für die Ausgrenzung des inneren Feindes mobilisiert“. Doch paradoxerweise hatte das erste, wenn auch laut Habermas ironisch gemeinte, Kapitel seiner „Stichworte zur geistigen Situation“ die Überschrift: „Die nationale Frage, wiederaufgelegt.“
An den Busen der Nation
Dort kamen abermals führende Intellektuelle zu Wort. Der sich damals zur Linken zählende Schriftsteller Martin Walser erklärte in seinem Beitrag, „unsere nationale und gesellschaftliche Ratlosigkeit“ sei eine Folge „unserer Entfremdung von unserer Geschichte“. Walser war nicht der einzige, den es nun an den Busen der Nation zog. „Einige Linke beginnen ohne Zögern über ihre ‚Liebe zum deutschen Volk‘ und ihren Stolz auf dessen Eigenart zu reden“, hielt Iring Fetscher in seinem Beitrag fest. Trotz aller Kritik am neuen linken Nationalismus zeigte er Verständnis: „Wir haben zu lange verdrängt, was wir sind und wo wir herkommen.“
Gegen ein Bedürfnis nach Überlieferung und Wissen über die eigene Geschichte ist nichts zu sagen. Problematisch ist seine Verknüpfung mit einem Identitätsbegriff, der eine ominöse Substanz postuliert, wo Gesellschaft ist. Der von Intellektuellen aus dem rechten wie dem linken Lager in den 1970ern ins Spiel gebrachte Begriff der „Identität“ wurde prompt von der Neuen Rechten genutzt, um Menschen aus dem nationalen Kollektiv auszuschließen. Nach Auschwitz war es nicht mehr opportun, Volk als biologische Tatsache zu postulieren. Da kam die zur Mode gewordene Rede von der „Identität“ gerade recht.
Helmut Schmidt, SPD-Bundeskanzler im Jahr 1982
Als im Jahr 1982 die Arbeitslosenzahlen deutlich stiegen, kam auch Helmut Schmidt zum Schluss, dass der Einwanderung Einhalt geboten werden müsse. „Mir kommt kein Türke mehr über die Grenze“, sagte der Bundeskanzler im Sommer dieses Jahres. Seinem Nachfolger reichte es nicht mehr, weitere Einwanderung zu verhindern. Kurz nach seiner Wahl im Herbst 1982 traf sich Helmut Kohl mit der britischen Premierministerin Margaret Thatcher. Kohl erklärte ihr, über die nächsten vier Jahre werde es notwendig sein, die Zahl der Türken in der Bundesrepublik um 50 Prozent zu reduzieren, aber er könne dies noch nicht öffentlich sagen. Es sei unmöglich, die Türken in ihrer gegenwärtigen Zahl zu assimilieren. Deutschland habe kein Problem mit den Portugiesen, den Italienern, selbst den Südostasiaten, weil diese Gemeinschaften sich gut integrierten.
Ein Jahr später ließ Kohls Regierung Taten folgen und führte die sogenannte Rückkehrprämie ein. 10.500 D-Mark plus eingezahlte Rentenbeiträge sollten türkischstämmige Menschen dazu animieren, in ihr Heimatland zurückzukehren.
Wenn dieser Tage „Remigration“ zum „Unwort des Jahres“ erkoren wird, wird vergessen, dass solche Fantasien schon lange kursieren und bereits vor über 40 Jahren Regierungshandeln bestimmt haben – allerdings nur in Gestalt finanzieller Anreize. Ein weiterer, wesentlicher Unterschied besteht darin, dass aus den Ausländern von damals dank mehrerer Reformen des Staatsbürgerschaftsrechts in den 1990ern längst deutsche Staatsbürger geworden sind. Daher haben wir es nun mit einer identitären Bewegung zu tun, die „nicht-assimilierte“ Staatsbürger aus dem Land vertreiben will und sich damit gegen Recht und Gesetz stellt. Man könnte sich angesichts dessen heute auch an eine Parole erinnern, die Anfang der Achtziger viele westdeutsche Häuserwände zierte: „Ausländer, lasst uns mit den Deutschen nicht allein.“
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