Rechtsextreme in Sicherheitsbehörden: Zu viele Einzelfälle
Bundesweit häufen sich rechtsextreme Vorkommnisse bei der Polizei. Laut einer taz-Recherche gehen die Länder von mehr als 90 Fällen aus.
Die Truppe reiht sich ein in die jüngsten Rechtsterrorbedrohungen in diesem Land. Und im Fall Thorsten W. auch in einen weiteren bedenklichen Trend: Immer wieder fielen zuletzt bundesweit Polizeibeamte mit rechtsextremen Ausfällen auf. Jüngste Beispiele sind:
Aachen: Zwei Beamte, Wachposten vor einer Synagoge, lassen versehentlich „Sieg Heil“-Rufe aus einer Fernsehserie über ihre Funkgeräte laufen. Auf ihren Handys finden sich laut Polizei „zweifelhafte“ Bilder. Disziplinarverfahren werden eingeleitet.
Bautzen: Bürger melden „Sieg Heil“-Rufe aus einer Wohnung. Die Polizei trifft dort drei Kommissarsanwärter an. Diese werden suspendiert, ermittelt wird wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.
Berlin/Frankfurt: In Frankfurt werden die Wohnungen dreier Polizisten durchsucht, die Teil einer rechtsextremen Chatgruppe gewesen sein sollen. Eine Razzia gibt es auch in Berlin bei einem aus Hessen stammenden Beamten. Er soll Mitglied einer Chatgruppe gewesen sein, in der rechtsextreme Sprüche und Bilder ausgetauscht wurden. Der Mann soll einer der Wortführer gewesen sein. Er ist suspendiert, ermittlungsführend ist das LKA Hessen – das seit 2018 auch rechtsextremen Vorwürfen gegen 37 weitere Polizisten nachging, unter anderem weil sie einer Anwältin als „NSU 2.0“ Drohschreiben geschickt haben sollen.
Wiesbaden: Drei BKA-Nachwuchskommissare tauschen sich in einem WhatsApp-Chat über Halloween-Kostüme aus. Einer postet ein Hitler-Bild und schlägt vor, sich als der Attentäter von Halle zu verkleiden oder in Wehrmachtsuniformen mit „original Armbinden“. Einer der Männer soll entlassen werden, gegen zwei wird ein Disziplinarverfahren eingeleitet.
Lahr: Sieben Polizeischüler sollen in einer Chatgruppe nationalsozialistische, antisemitische und frauenfeindliche Nachrichten ausgetauscht haben. Alle sollen wegen „erheblicher charakterlicher Mängel“ entlassen werden.
18 Disziplinarverfahren allein in Berlin
Die Liste ließe sich fortsetzen. Denn wie eine aktuelle taz-Umfrage in den Ländern zeigt, wurden seit dem vergangenen Jahr mehr als 90 rechtsextreme Vorfälle bei der Polizei verfolgt. Allein in Berlin laufen 18 Disziplinarverfahren. In Hessen wird 13 Fällen nachgegangen, in Mecklenburg-Vorpommern neun, in Sachsen sechs.
In Brandenburg mussten zuletzt gleich neun Polizisten versetzt werden, weil sie sich vor einem rechten Graffito fotografieren ließen – und beim Entfernen des Schriftzugs ausgerechnet zwei Buchstaben mit der Szenelosung „DC“ für „Defend Cottbus“ zurückließen. Dazu kämen aktuell vier weitere rechtsextreme Vorfälle, so das märkische Innenministerium.
NRW wiederum entdeckte vier Reichsbürger bei der Polizei. In Niedersachsen verschickte ein Beamter verfassungsfeindliche Bilder und spielte ein Lied der Hitlerjugend ab. In Sachsen verweigerte ein Polizist einer Kopftuchträgerin, die eine Anzeige erstatten wollte, Zutritt zu seinem Büro.
Inzwischen spricht auch Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang von „zu vielen Einzelfällen“. Auch Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) erklärt: „Menschen mit rechtsextremen Gesinnungsansätzen dürfen in einer demokratischen Polizei keinen Platz finden.“
Extremismus „absolut inakzeptabel“
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte sich zuletzt vor die rund 260.000 Polizisten in Deutschland gestellt. Unter ihnen seien die extremistischen Vorfälle verschwindend gering. Aber auch der CSU-Mann erklärte, Extremismus im öffentlichen Dienst sei „absolut inakzeptabel“. Die Beamten müssten fest auf dem Boden der Verfassung stehen.
Bereits vor Monaten richtete das Bundesamt für Verfassungsschutz eine Zentralstelle ein, um rechtsextreme Umtriebe im öffentlichen Dienst zu untersuchen, ein Lagebild ist in Arbeit. Dessen Erstellung zieht sich hin, weil der Verfassungsschutz bei abgespeicherten Rechtsextremisten nicht die Berufe erhebt. So werden nur bisher bekannte Vorfälle zusammengetragen oder Zufallsfunde im Internet aufgestöbert.
Ernst aber könnte es demnächst für PolizistInnen werden, die Anhänger des rechtsextremen „Flügels“ in der AfD sind. Denn der Verfassungsschutz will in Kürze bekanntgeben, ob das Sammelbecken um Björn Höcke zum vollen Beobachtungsobjekt wird – so wie die NPD. Bereits heute ist der „Flügel“ ein „Verdachtsfall“, im nächsten Schritt könnte der Geheimdienst sein gesamtes Arsenal an Überwachungsmaßnahmen auffahren.
Für PolizistInnen, die sich zur Verfassung bekennen müssen, könnte eine „Flügel“-Anhängerschaft dann Folgen haben. Entscheidend ist ihr konkretes Verhalten. Zuletzt warnte ein Gutachten der AfD selbst: Jedem Beamten sei im Falle einer Verfassungsschutzbeobachtung „dringend geraten“, sich „von verfassungsfeindlichen Kräften innerhalb der Partei entschieden abzugrenzen“.
Polizist unter Terrorverdacht besaß Waffenschein
Niedersachsens Innenminister Pistorius sendet bereits eine klare Warnung. „Wer sich offen zum Flügel bekennt, dem sollte der Beamtenstatus aberkannt werden.“ Die Gruppierung äußere sich offen völkisch und verfassungsfeindlich. „Wer dieses Gedankengut teilt, entspricht nicht dem Bild, den das Grundgesetz von unseren Richtern, Staatsanwälten, Lehrern, Polizisten oder Finanzbeamten hat“, so Pistorius.
Mit dem unter Terrorverdacht stehenden Polizeimitarbeiter Thorsten W. bekommt das Problem eine neue Dimension. Der 50-Jährige arbeitete zuletzt im Verkehrsreferat der Polizei Hamm, kümmerte sich dort um die Abrechnung von Ordnungswidrigkeiten. Zuvor war er in der Abteilung für Genehmigungen von Waffenscheinen, soll selbst aber keine Entscheidungen getroffen haben. Auch W. selbst besaß einen Waffenschein.
Neben seiner Arbeit folgte W. einem Germanenkult, nahm verkleidet auch an Festen teil. Im Internet firmierte er als „Thor-Tjark“, beklagte dort etwa, dass Deutschland „ausgebeutet“ werde. Einem Pegida-Anhänger schrieb er: „Ich bewundere euch. Ihr seid knallhart und geht auf die Straße sofort mit vielen Leuten.“
Über das Internet vernetzte sich W. schließlich auch mit den anderen Beschuldigten der mutmaßlichen Terrorzelle „Gruppe S.“. Die Bundesanwaltschaft führt ihn als Unterstützer. Er soll der Gruppe 5.000 Euro angeboten haben. Diese diskutierte Angriffe auf Moscheen und Geflüchtete. Auch der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck und Fraktionschef Toni Hofreiter waren im Visier, wie die Partei der taz bestätigt. Bei den Razzien fanden die Ermittler eine Pistole, ein Gewehr, Handgranaten und Messer. Geprüft wird auch, ob die Gruppe Sprengstoff herstellen wollte.
Niemand will's gewusst haben
Der Fall Thorsten W. wirft nun Fragen auf: Bemerkte tatsächlich niemand der KollegInnen, wie der Mann politisch tickte? Versorgte er die „Gruppe S.“ auch mit Informationen aus dem Sicherheitsapparat?
Die Polizei Hamm räumte im Umgang mit Thorsten W. inzwischen Fehler ein. Man sei „bestürzt“ über den Rechtsterrorverdacht, sagte Polizeichef Erich Sievert. „Mit dem Wissen von heute müssen wir rückblickend feststellen, dass wir die einzelnen Mosaiksteine seines Agierens nicht ausreichend geprüft haben.“ So seien schon 2018 die Reichskriegsflaggen auf seinem Balkon aufgefallen, an seiner Klingel habe „keine Lügenpresse einwerfen“ gestanden. Auch im Dienst habe er einmal rechte Szenekleidung getragen. „Mit dem Wissen von heute hätten wir früher Konsequenzen ziehen müssen“, so Sievert.
Bei den internen Überprüfungen zu Thorsten W. stieß das Polizeipräsidium Hamm inzwischen auf zwei weitere Beamte mit möglicher rechter Gesinnung. Auch hier wird nun ermittelt. Die Serie der „Einzelfälle“ findet damit ihre Fortsetzung.
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