Rechtsextreme in Magdeburg vor Gericht: Ein unpolitischer Gewaltrausch?
„Scheiß Türke!“, riefen rechte Schläger und prügelten in Bernburg einen Imbissbetreiber ins Koma. Die Staatsanwaltschaft sieht kein politisches Motiv.
MAGDEBURG taz | Die neun Angeklagten ziehen sich die Kapuzen ins Gesicht, verschränken die Arme. Fünf von ihnen werden in Handschellen in den Saal geführt, sie kommen direkt aus der U-Haft oder sitzen andere Haftstrafen ab.
Betont ungerührt setzen sie sich in den Saal B23 des Magdeburger Landgerichts. Kurze Haare allesamt, 23 bis 33 Jahre, einer nimmt die Thor Steinar-Mütze vom Kopf.
Ihnen gegenüber sitzt Altan Özgür (Name geändert), Lederjacke, er faltet die Hände auf dem Tisch. Auch das Gesicht des 34-Jährigen ist regungslos. Özgür blickt direkt auf die Angeklagten. Seine Peiniger.
Seit Dienstag wird ihnen nun der Prozess gemacht. Es war im letzten September, als die neun Angeklagten einen Junggesellenabend in der Kreisstadt Bernburg (Sachsen-Anhalt) feierten. Von einer Kneipe aus zogen sie vor Özgürs Bahnhofsimbiss „Alibaba“, den dieser mit seiner Freundin gerade schließen wollte.
„Türkenschlampe“, blaffte einer der Angetrunkenen Özgürs Freundin an. Der nahm den Pöbeler an den Arm: Er solle seinen Ton mäßigen.
Im Landgericht trägt die Staatsanwältin vor, was dann folgte: ein Gewaltrausch. Ein Angreifer schlägt Özgür eine Bierflasche auf den Kopf. Dann schlagen auch die anderen auf ihn und seine Freundin ein, brüllen „Scheiß Türke“ und „Scheißvieh“, treten auf Özgürs Kopf – auch als dieser längst bewusstlos ist.
Notoperation und künstliches Koma
Nur eine Notoperation rettet den 34-Jährigen. Zwei Wochen liegt er mit Schädelbrüchen im künstlichen Koma. „Den Tod des Opfers“, sagt die Staatsanwältin, „haben die Beschuldigten billigend in Kauf genommen.“
Auch das ringt den Angeklagten keine Regung ab. Alle verweigern vorerst die Aussage. Einer der Beschuldigten hatte einem Sachverständigen gesagt, der Imbissbesitzer habe sie mit einer Machete bedroht.
„Völlig absurd, eine reine Schutzbehauptung“, nennt das Sebastian Scharmer, Özgürs Nebenklagevertreter. Am Tatort wurde kein Messer gefunden, auch habe es am Ende nur ein Opfer gegeben: den fast toten Özgür.
Für die Polizei sind die Angeklagten keine Unbekannten. Einige sind schon als Rechtsextreme aufgefallen. Einer, Francesco L., macht bis heute aus seiner Gesinnung keinen Hehl, am Körper trägt er rechtsextreme Tattoos. Auch er gehört zu den derzeit Inhaftierten.
Unfassbare Gewalt
Zuvor saß er bereits mehrere Jahre in Haft, weil er im Januar 2006 in Pömmelte (Sachsen-Anhalt) mit zwei Gesinnungskameraden einen 12-jährigen Afrodeutschen wegen dessen Hautfarbe stundenlang misshandelte.
Im Gericht wird die Tat nochmals verlesen: Wie das Trio den Jungen mit einer Gaspistole bedrohte, auf ihn urinierte und ihm eine Zigarette auf einem Augenlid ausdrückte. L. verfolgt auch diesen Vortrag ungerührt.
Wegen dieser Vorgeschichten der Angeklagten steht die Staatsanwaltschaft bereits zu Prozessbeginn in der Kritik. Denn auch ungeachtet der Parolen während des Angriffs klagte sie nur auf versuchten Totschlag und Beleidigung an, nicht auf versuchten Mord. Das dafür nötige, niedere Tatmotiv Rassismus sahen die Ankläger nicht: Tatbestimmend sei der Streit um die Freundin.
Nebenklageanwalt Scharmer kritisiert das scharf. „Offensichtlich nimmt die Staatsanwaltschaft ein rassistisches Motiv nicht ernst.“ Scharmer verweist auf ähnliche Entscheidungen in Sachsen-Anhalt. „Das deutet auf ein strukturelles Problem, das dringend geändert werden muss.“
Ein strukturelles Problem
Zuvor hatte auch Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde Deutschlands, im Fall Bernburg angemahnt, „die rassistische Dimension der Tat angemessen zu würdigen“. Die Attacke zeige, dass Gewalt gegen Migranten auch nach den NSU-Morden ein alltägliches Problem sei.
Das Gericht geht am Dienstag bereits leicht auf Distanz zu den Anklägern. Es sei nicht auszuschließen, sagt Richter Dirk Sternberg, dass sich im Prozess doch ein politisches Motiv herausstelle.
Altan Özgür verlässt wenig später bereits wieder den Saal. Er leide bis heute unter der Attacke, sagt Scharmer, habe Alpträume. Özgürs Schläfe ist deformiert. Seit 13 Jahren lebt er in Bernburg. In seinem Imbiss, so Scharmer, könne Özgür seit der Tat nicht mehr arbeiten. Noch bis Ende März wird gegen seine Angreifer weiterverhandelt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Doku über deutsche Entertainer-Ikone
Das deutsche Trauma weggelacht
Syrische Geflüchtete in Deutschland
Asylrecht und Ordnungsrufe
Schwarz-Grün als Option nach der Wahl
Söder, sei still!
Abschiebungen syrischer Geflüchteter
Autokorsos und Abschiebefantasien