Rechtsextreme Netzwerke in Deutschland: Ein deutscher Soldat
Er gab sich als Flüchtling aus und soll Anschläge geplant haben. Bald beginnt der Prozess gegen den Bundeswehroffizier Franco A. Wer ist dieser Mann?
A m Abend des 3. Februar 2017 nehmen Polizist*innen im Flughafen Wien-Schwechat einen deutschen Staatsbürger fest. Er hat versucht, eine Pistole aus einem Versteck in einem Behinderten-WC zu holen. Dort hatte er sie zwei Wochen zuvor deponiert. Eine Putzkraft entdeckte die Waffe jedoch, und die österreichische Polizei installierte eine Falle.
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Der Festgenommene heißt Franco A., er ist gerade 28 Jahre alt geworden und Oberleutnant der Bundeswehr, stationiert beim Jägerbataillon 291 im französischen Illkirch.
Seine Vernehmung beginnt laut Protokoll um 23 Uhr 33. Zugleich beginnt auch einer der aufsehenerregendsten Fälle der bundesdeutschen Kriminalgeschichte. Das Land kennt Franco A. heute als falschen Syrer und als mutmaßlichen Rechtsterroristen, ab Donnerstag steht er deswegen in Frankfurt am Main vor Gericht.
Den Wiener Vernehmer*innen erzählt Franco A. 2017, dass er mit Kameraden den „Ball der Offiziere“ in der Hofburg besucht habe. Am nächsten Tag sei er noch betrunken gewesen, er habe die Waffe beim Pinkeln in einem Busch gefunden, sie eingesteckt und vergessen. Erst am Flughafen sei ihm wieder aufgefallen, was er da mit sich herumtrage, und er habe die Pistole in der Toilette versteckt. Zwei Wochen später wollte er sie wieder holen und angeblich der Wiener Polizei übergeben.
Seit 2017 recherchieren Reporter:innen der taz zu Franco A. und dem rechten Netzwerk, zu dem er gehört: Hannibals Schattennetzwerk. Es verknüpft unter anderem Mitglieder aus Bundeswehr, Polizei und Verfassungsschutz. Kopf des Netzwerks ist der ehemalige KSK-Soldat André S. alias „Hannibal“. Mehrere Männer aus der Gruppe stehen unter Terrorverdacht. Mit ihren Recherchen zum Thema hat die taz schon mehrere Preise gewonnen. Alle aktuellen Texte des Schwerpunkts sammeln wir auf
Knapp drei Stunden dauert die Vernehmung. Franco A. rückt sein Handy samt PIN heraus, dann darf er gehen. Vorerst.
Die deutsche Polizei findet später heraus, dass Franco A. die Pistole wohl bereits im Juli 2016 in Paris gekauft hat. Es handelt sich um eine Waffe des Herstellers M.A.P.F., Modell 17, Kaliber 7,65 mm. Solche Waffen haben Wehrmachtsoffiziere im besetzten Frankreich benutzt. Die von Franco A. ist geladen mit sechs Patronen.
Auf seinem Smartphone finden die Ermittler*innen Sprachaufnahmen und Fotos, auch von einem mutmaßlichen Anschlagsziel. Sie finden Chatgruppen, darunter eine, in der sich Prepper auf einen „Tag X“ vorbereiten. Mit Franco A.s Fingerabdrücken ist außerdem ein Asylbewerber namens David Benjamin registriert, angeblich ein französischsprachiger Christ, der aus Syrien geflohen ist.
Franco A. muss in Untersuchungshaft, der Generalbundesanwalt übernimmt die Ermittlungen. Auf Notizzetteln, die bei Franco A. sichergestellt werden, sind Waffen erwähnt. Außerdem eine Art Reiseplan mit Motorrad, Zug und Auto. Die Stationen: Offenbach, Berlin, Straßburg, Bayreuth, Erding. Daneben steht das Wort „Schrotflinte“.
In den Notizen stehen konkrete Namen, der Generalbundesanwalt glaubt, dass Franco A. Anschläge auf bekannte Politiker*innen und Aktivist*nnen verüben wollte: auf den damaligen Justiz- und heutigen Außenminister Heiko Maas (SPD), die Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth von den Grünen und Anetta Kahane, die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung. Alle drei sind Hassfiguren der rechten Szene. Zum Gebäude der Amadeu-Antonio-Stiftung hat Franco A. eine Lageskizze angefertigt und in der Tiefgarage Fotos gemacht. Womöglich wollte er die Anschläge getarnt als Syrer verüben, um rassistischen Hass gegen Geflüchtete zu schüren.
Der Fall Franco A. setzt Bundeswehr und Politik unter Druck. Die damalige Verteidigungsministerin unterstellt der Armee ein Haltungsproblem und lässt Kasernen auf Wehrmachtsdevotionalien durchsuchen. Durch journalistische Recherchen entsteht der Verdacht, dass Soldaten und andere Sicherheitskräfte rechtsextreme Netzwerke gebildet haben. Die Behörden versuchen, das kleinzuhalten, doch die taz und andere Medien fördern immer mehr Belege zutage. Jetzt steht dennoch nur ein Angeklagter wegen „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ vor Gericht: Franco A. Er ist längst aus der Untersuchungshaft entlassen und von der Bundeswehr suspendiert.
Um ein möglichst genaues Bild von dem Soldaten und dem Netzwerk um ihn herum zu zeichnen, haben wir Ermittlungsunterlagen ausgewertet, außerdem Urteile und Gerichtsbeschlüsse, Papiere des Verteidigungsministeriums und interne Unterlagen aus den Organisationen, mit denen Franco A. zu tun hatte. Wir konnten geheime Chatgruppen einsehen und mit Menschen aus seinem Umfeld sprechen. Und mit Personen, die mit dem Fall beruflich befasst sind. Im Jahr 2019 haben wir auch mit Franco A. gesprochen. Mehrere Stunden lang, zitieren dürfen wir ihn nicht. Auf eine erneute Anfrage hat er nicht geantwortet.
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat zunächst zwölf Verhandlungstage angesetzt, um die Frage zu beantworten, ob Franco A. ein Terrorist ist. Was sich jetzt schon sagen lässt: Er hat gezielt die Nähe zu neurechten Organisationen gesucht und war tief in die rechtsextreme Szene verstrickt. Er scheint ideologisch gefestigt zu sein, lange schon. Nationalistisch, völkisch, antisemitisch.
Der Soldat
Franco A. ist in der siebten Klasse, als der Soldat in ihm erwacht. So steht es tatsächlich in der Zeitung seiner Offenbacher Schule. Während einer Nachtwanderung glauben die Schüler*innen, eine Gestalt zu sehen, und kriegen Angst. „Franco, einer der Jungen, näherte sich heldenhaft der,Leiche', die da im Wald stand“, hieß es in der Zeitung. „Der Soldat in ihm erwachte.“ Die Gestalt stellt sich als altes Schild heraus.
Als „loyal, einfühlsam, ehrlich“ beschreibt sich Franco A. in seinem Abibuch selbst. Olympiasieger für Deutschland möchte er werden, Traumjob Soldat, der Beruf, der ihn am meisten abschrecke: „Finanzbanker, Devisenhändler, Spekulant“.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Franco A. wächst in Offenbach auf. Seine Mutter zieht ihn und seinen Bruder neben ihrer Arbeit als Personalsachbearbeiterin groß. Zum Vater, einem italienischen Gastarbeiter, hat er keinen Kontakt. Im Haus wohnen auch seine Großeltern und sein Onkel.
Der Onkel ist Dachdecker und zieht später mit seiner Firma von Offenbach nach Weinböhla, in der Nähe von Dresden. Ein Teil der Familie wohnte schon zu DDR-Zeiten dort. Dem Onkel gefallen auf Facebook Seiten der AfD und von rechtsextremen Organisationen. Franco A. ist schon als Kind und Jugendlicher regelmäßig in Weinböhla zu Besuch. Das letzte Mal soll im Frühjahr 2018 gewesen sein, da hatte ihn der Generalbundesanwalt gerade angeklagt.
Der Onkel will nicht mit uns sprechen, aber ein Cousin von Franco A.s Mutter, der auch in Weinböhla lebt. Er sagt: Die Vorwürfe gegen Franco seien absurd. Dass er gegen Menschen mit Migrationshintergrund sei, könne gar nicht sein. „Er ist ja selbst Halbitaliener.“ Franco sei zu intelligent für bizarre Anschlagspläne, sich als Syrer auszugeben – eine Schnapsidee.
Zum Großvater hatte Franco A. ein enges Verhältnis. Das zeigt unter anderem eine Sprachaufnahme, die A. vor ein paar Jahren an dessen Grab in Offenbach aufgenommen hat. Er spricht in sein Handy, wie dankbar er seinem Großvater sei, weil der ihn geleitet habe. Auf dem Grabstein ist vor dem Geburts- und Sterbedatum jeweils eine germanische Rune. Die Nationalsozialisten haben diese beiden Buchstaben umgewidmet in Zeichen für Leben und Tod. Der Großvater sei bei der Kriegsmarine gewesen, sagt der Cousin von A.s Mutter. „Ich glaube, Francos ganze Einstellung stammt von ihm.“
Franco A. habe immer ein besserer Deutscher sein wollen „als die Deutschen selbst“, sagt sein Großcousin. A. sei auch gewiss kein Freund des Islams. Und ja, seine Abschlussarbeit, die sei sicher tendenziös gewesen.
„Politischer Wandel und Subversionsstrategie“ lautet der Titel der Masterarbeit von Franco A., er hat sie 2013 an der französischen Militärakademie Saint-Cyr geschrieben. Er setzt darin Einwanderung mit einem Genozid gleich und rechtfertigt Gewalt, da das Volk vor „ausländischen Elementen“ geschützt werden müsse. Ein Gutachter nennt die Arbeit „einen radikalnationalistischen, rassistischen Appell“. Franco A. wird ermahnt und darf eine neue Arbeit schreiben. Mehr passiert damals nicht.
Der Kamerad
Die Ermittler*innen haben nicht nur Franco A. nachgespürt, sondern auch mutmaßlichen Mittätern. Ein Bundeswehrkamerad und ein alter Freund aus dem Ruderverein saßen mehrere Monate in Untersuchungshaft. Mindestens neun Soldaten, die privat oder dienstlich mit Franco A. zu tun hatten oder haben, hat der Bundeswehrgeheimdienst MAD unter Rechtsextremismusverdacht gestellt.
Mathias F., der Ruderkumpel, hat für Franco A. Munition aufbewahrt, als der wegen der Ermittlungen nervös wurde. Mehr als 1.000 Patronen, darunter welche für Sturmgewehre der Bundeswehr. Wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz wurde Mathias F. zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Er wusste von Franco A.s Doppelleben als Flüchtling und er bekam von ihm auch mal Waffen gezeigt. Die Geheimdienste wussten von beidem nichts.
Der Soldat Maximilian T. war mit Franco A. am Abend vor dessen Festnahme in Wien unterwegs. Von der Pistole aus dem Busch will er nichts mitbekommen haben. Bei ihm finden die Ermittler*innen handschriftliche Notizen. Unter der Überschrift „Politik und Medien“ stehen Namen, Kategorie A bis D. Nicht alle sind prominent.
Die Ermittlungen gegen Maximilian T. werden im Herbst 2018 eingestellt. Da hat er schon einen Nebenjob im Bundestag angetreten, für einen AfD-Abgeordneten. Der nimmt ihn in Schutz und behauptet, T. habe die Namensliste für sein Studium gebraucht. In Sachsen-Anhalt ließ sich Maximilian T. in den Landesvorstand der Jungen Alternative wählen und kandidiert bei der Landtagswahl im Juni für die AfD.
Und welche Rolle spielte Josef R., ein Oberleutnant, der als Ingenieur bei der Bundeswehr arbeitet? Franco A. und er kennen sich aus der Offiziersausbildung. In einer Chatnachricht hat R. Franco A. „was Leckeres“ angeboten. Ein Code für Munition?
Josef R. wohnt in einer hessischen Kleinstadt, wo er im März für die AfD bei den Kommunalwahlen kandidierte. Wir klingeln bei ihm. Er will nichts sagen, sein Verfahren laufe schließlich noch. Warum habe er Franco A. „was Leckeres“ angeboten? Das habe mit dem Verfahren nichts zu tun, sagt er.
Gegen Josef R. hat der Generalbundesanwalt nach taz-Informationen wegen der Beihilfe zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat ermittelt, den Vorwurf aber fallen gelassen. Der Fall liegt jetzt bei der örtlich zuständigen Staatsanwaltschaft. Es geht allerdings nur noch darum, dass die Ermittler*innen bei R. unter anderem eine Nebelhandgranate der Bundeswehr gefunden haben.
Der Prepper
Franco A. hat sich auf eine Katastrophe vorbereitet. Im Keller seiner Mutter hat er Notfallnahrung gelagert, Benzinkanister, Tabak und Schnaps. Das machen viele sogenannte Prepper, sie wollen vorbereitet sein, wenn der Staat und die Infrastruktur zusammenbrechen. Franco A. lagert dazu noch Munition ein sowie Nebel- und Übungshandgranaten.
Ein Bundeswehrkamerad lädt ihn Ende 2015 in eine Telegram-Gruppe ein. Sie nennt sich schlicht „Süd“. Franco A. ist dort als „Franki“ unterwegs. Gleich zu Beginn wird der Chat gelöscht und wieder neu aufgemacht. Einer der Wortführer begründet das mit zuvor geposteten „Gedanken und Bildern“. Man müsse verhindern, dass der Chat „aus Sicht außenstehender als regierungsfeindlich, rechtsextrem, putschistisch oder sonst wie eingestuft wird“. Ab jetzt sollen nur noch die Chefs senden, die anderen empfangen.
Interessant ist, was die Männer in der Chatgruppe „Süd“ als problematisch ansehen und was nicht. Szenarien, in denen Geflüchtete aus Syrien gemeinsam mit US-Söldnern und Kämpfern der französischen Fremdenlegion Deutschland in eine Apokalypse stürzen, gehen als Fakten durch. Erst als ein Mitglied eine E-Mail postet, die auf „DEUTSCHLAND ERWACHE! HEIL, SEGEN UND SIEG“ endet, mischt sich jemand ein.
Verteidigt wird die Sieg-Mail ausgerechnet von „Franki“: „Moralisierungen, wie sie hier von dir betrieben werden, sind immer wieder aufs neue Grund für beklemmten und unfreien Austausch“, schreibt er. „Davon sollte unsere Gruppe frei bleiben.“
Die Gruppe „Süd“ ist Teil eines Netzwerks, es gibt ähnliche Chats in anderen Teilen Deutschlands, in Österreich und der Schweiz. Ins Leben gerufen wurde das Netzwerk von André S., einem Soldaten des Kommandos Spezialkräfte der Bundeswehr, der Einheit für die härtesten Einsätze. Dieser KSK-Soldat nennt sich selbst Hannibal.
Er versorgt seine Mitstreiter mit angeblich geheimen Informationen: Islamisten planten, Kasernen anzugreifen. „Man darf den Gegner nie unterschätzen“, schreibt er. Es geht auch um Sammelpunkte und Safe Houses, also sichere Rückzugsorte für den Tag X.
Als einen solchen Ort gibt Hannibal im Chat die Kaserne in Calw an, die offenbar übernommen werden sollte. Dort ist das KSK stationiert. Bei einem der persönlichen Treffen sprechen Mitglieder der Chatgruppe darüber, ob die Soldaten unter ihnen im Ernstfall die Kasernen aufmachen würden. Damit sie an Waffen, Munition und Fahrzeuge kommen. So berichtet es einer, der dabei war.
Auch Franco A. nimmt an diesem Treffen am 31. Januar 2016 teil, er ist inzwischen als syrischer Flüchtling dem Landkreis Erding zugewiesen. Das Treffen findet im Schützenhaus in Albstadt statt, im Süden Baden-Württembergs. Per Nachricht hat André S. alias Hannibal vorher befohlen: „Handys im Auto lassen.“ Mindestens einmal ist Franco A. auch in André S.’ Wohnung in Sindelfingen.
Für Szenarien wie die Übernahme einer Kaserne wären Verbündete hilfreich. Mehrere KSK-Soldaten hätten Franco A. gekannt, sagt ein Mann mit dem Chatnamen Petrus den Ermittler*innen. Auch Petrus ist beim KSK, genau wie André S. alias Hannibal. Er half Hannibal beim Organisieren der Chatgruppen und sagt, es sei in Calw bekannt gewesen, dass Franco A. sehr intelligent sei.
Hannibal postet in der „Süd“-Gruppe immer wieder zu einem Verein namens Uniter, etwa die Einladung zur Jahresfeier. Uniter hat er mit Weggefährten gegründet, darunter Soldaten, Polizisten und ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Baden-Württemberg. Recherchen der taz haben ergeben, dass der Verein sektenartig geführt wurde, der Verfassungsschutz stuft ihn inzwischen als rechtsextremen Verdachtsfall ein. Uniter arbeitete konspirativ am Aufbau einer bewaffneten Einheit. Angeblich sollte diese Rettungseinsätze im Ausland absichern. Denkbar ist aber auch, dass sie in Deutschland zum Einsatz kommen sollte – gegen die Feinde, die Hannibal und seine Chatgenossen ausgemacht hatten.
Dass Hannibal den Ernstfall gut vorbereitet wissen wollte, zeigt unter anderem eine Nachricht in der „Süd“-Chatgruppe, laut der „Patches als Erkennungszeichen“ ausgeteilt worden seien. Ein Patch ist ein Aufnäher. Die Patches von Uniter zeigen das Logo des Vereins: ein Schwert, dahinter ein blaues T auf schwarzem Grund. 100 solcher Aufnäher hat der Verein fertigen lassen, zusätzlich 25 in Camouflage. Es sind keine Fan-Artikel, die einfach verteilt oder verkauft werden. Die Patches dienen dazu, am Tag X zu wissen, wer Freund ist und wer Feind. Zwei Uniter-Patches werden bei Franco A. gefunden.
Dass man am Tag X so die Guten von den Bösen unterscheiden soll, davon hat Franco A. auch einem Waffenhändler aus der Oberpfalz erzählt, den er für Uniter werben wollte und zur Gruppe „Süd“ einlud. So hat es der Waffenhändler ausgesagt. Ihm hat Franco A. demnach von seinem G3-Sturmgewehr erzählt, er soll es im Juli 2016 auf dem Schießstand des Waffenhändlers eingeschossen haben. Gefunden wurden die Waffen, die A. neben der Pistole vom Wiener Flughafen besessen haben soll, jedoch nie.
Franco A. sei nie offizielles Mitglied von Uniter gewesen, so verteidigt sich Hannibal später. Aber das ist gar nicht entscheidend: Der Chat und Uniter gingen ineinander über, bis Anfang 2017, als der Chat gelöscht wurde.
Hannibal und Franco A. glauben beide, dass Deutschland von Geflüchteten Gefahr droht, sie teilen rechtsextremes und rassistisches Gedankengut. Beide sind von Geheimbünden und Rittergesellschaften fasziniert. Sie halten sich für die Guten, vielleicht sogar für Retter.
„Ihr glaubt immer noch, Teil dieses Staates zu sein“, sagt Franco A. in einer Sprachaufnahme auf seinem Handy vom 18. Januar 2016. Man müsse sich aber davon befreien, den bestehenden Staat aufrechtzuerhalten. „Jeder, der dazu beiträgt, dass dieses Konstrukt kaputt geht, tut Gutes.“
Der Redner
Spätestens 2014 beginnt Franco A., solche Sprachaufnahmen zu machen. Gedankenfetzen, Notizen, Dialoge. Mehr als 100 dieser Aufnahmen haben die Ermittler*innen gesichert. Wir konnten Abschriften davon einsehen.
Franco sinniert über Leben, Liebe und Selbstzweifel. Mal macht er eine Ansprache an seinen Gruppenführer, mal bezeichnet er seine politischen Gegner als Schweine. Er erwähnt einen drohenden dritten Weltkrieg. Er sagt: Alles, was Hitler schlecht mache, sei eine Lüge. Ob er diese Aufnahmen verschickt hat und wenn ja, an wen, wissen wir nicht.
Anfang 2016 spricht er eine Rede über die „Diaspora im eigenen Lande“ ein. Es drohe die systematische Zerstörung Deutschlands und der gesamten Menschheit. Er spricht über einen gesteuerten Bevölkerungsaustausch und davon, dass die Zionisten versuchten, die Weltherrschaft an sich zu reißen.
Im Dezember 2016 hält er eine Rede mit ähnlichem Inhalt. Dieses Mal vor Publikum, beim „Preußenabend“ in München. Man kommt nur mit Einladung hinein und das Spektrum, an das die Organisatoren des Preußenabends ihre Einladungen verschicken, reicht bis weit rechts außen. Holocaust-Leugner haben dort geredet, darunter Bernhard Schaub von der Europäischen Aktion. Frühere Mitglieder dieser Organisation wurden in Österreich jüngst wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung verurteilt.
Wir treffen den Organisator des Preußenabends im April 2021 in einem Münchener Vorort. Er sitzt in einem Rollstuhl auf der Terrasse seines Hauses, die weißen Haare zurückgekämmt, die Beine sind mit zwei Wolldecken bedeckt. Er ist 96 Jahre alt. Ja, sagt er, er habe Franco A. als Redner eingeladen. Es seien aber nur wenige Leute da gewesen, er selbst jedenfalls nicht.
Franco A. sei ein ganz ordentlicher Typ, korrekt, höflich. Und dann: „Jetzt stell ich mal eine Frage: Ist es denn Unrecht, wenn jemand in der Vergangenheit forscht?“
Der Mann sagt, er habe Franco A. bei einer anderen verschwiegenen Gesellschaft kennengelernt: dem rechtskonservativen Jagsthausener Kreis. Das ist ein Zirkel, in dem sich seit Jahrzehnten unter anderem Militärs, Geheimdienstler, Beamte und Wirtschaftsleute aus deutschsprachigen Ländern treffen. Im Herbst 2016 standen als Redner unter anderem auf dem Tagungsprogramm: der AfD-Politiker Alexander Gauland und der neurechte Publizist Bruno Bandulet. Einer der führenden Köpfe des Jagsthausener Kreises, ein Ingenieur aus Salzburg, erinnert sich gut an Franco A., wie er am Telefon sagt. A. habe sich rege an der Diskussion beteiligt.
Beim Preußenabend in München lautet der Titel von Franco A.s Vortrag: „Das neue Selbstverständnis der deutschen Konservativen als Zentralrat der Deutschen oder: Deutsche Konservative, die Diaspora im eigenen Land“. Die Idee eines Zentralrats geistert seit Jahren durch die rechtsextreme Szene. Die Ziele, die Franco A. damit verfolgte, waren laut Ermittler*innen radikal: „Angriffe durch die Antifa inszenieren / Verrätern das Handwerk legen.“ Und: „System zu unseren Gunsten ausnutzen / Schlüsselpositionen ausschalten oder es infiltrieren oder das ganze System zerreißen.“
Der taz liegt Franco A.s Redemanuskript vor, über das der BR zuerst berichtet hat. Darin ist vom „absoluten Triumph der Liebe über dieses Teuflische“ zu lesen und von seinem Bekenntnis, Antisemit zu sein, da er nicht toleriere, „dass eine Gruppe die Opferrolle für ewig gepachtet hat“. Es geht Franco A. darum, das System zu ändern, das zulasse, „dass die autochthone Mehrheit völlig untergebuttert wird“. Im Redetext schwört A. das Publikum auf einen Kampf ein: „Wir müssen selbst Hand anlegen und dazu haben wir jedes gottgegebene Recht.“
Einen Tag nach diesem Vortrag bekommt Franco A. als Flüchtling David Benjamin in Bayern „subsidiären Schutz“ zuerkannt. Fünf Wochen später versteckt er die Pistole im Wiener Flughafen.
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