Rechtsextreme Jugendorganisation der AfD: Sicherheitsbehörden ohne Überblick
Nur in einzelnen Ländern gibts es Daten zu Mitgliedern der Jungen Alternativen, die Waffen besitzen. Grüne und Linke warnen vor einem „Sicherheitsrisiko“.
Empfohlener externer Inhalt
Und auch eine zweite Ansage wiederholte die Sozialdemokratin zuletzt beständig: Rechtsextreme gehörten entwaffnet und aus dem Staatsdienst entfernt. Beide Absichtserklärungen richten sich nun auch auf die neu eingestuften Rechtsextremisten. Nach einer taz-Umfrage in den Innenministerien und Verfassungsschutzämtern von Bund und Ländern aber wird klar: Eine Übersicht, wie viele Mitglieder der JA Waffen besitzen oder im öffentlichen Dienst arbeiten, fehlt bisher. Und auch den Bundestag stellen die Neueinstufungen vor Probleme.
Eine Sprecherin von Faeser erklärte der taz, gefragt nach dem Umgang mit der JA nach der rechtsextremen Einstufung, nur allgemein, der Entzug von waffenrechtlichen Erlaubnissen und die Entfernung von Extremist*innen aus dem öffentlichen Dienst habe für die Sicherheitsbehörden „hohe Priorität“. Aber: „Zu konkreten Prüfungen oder aktuellen Zahlen können wir uns nicht äußern.“
Eine taz-Umfrage in allen 16 Bundesländern macht klar, was der Grund dafür sein dürfte: Nur die wenigsten Behörden haben einen genauen Überblick über Waffenerlaubnisse der JA-Mitglieder und Tätigkeiten im öffentlichen Dienst. Insgesamt zählen die Länder bundesweit inzwischen etwas mehr als die zuletzt offiziell benannten 1.600 JA-Mitglieder.
Bayern sagt nichts
Zu Waffenerlaubnissen heißt es aber lediglich aus Mecklenburg-Vorpommern, wo die JA bereits zuvor als gesichert rechtsextrem eingestuft war, dass es hier Erkenntnisse im „unteren einstelligen Bereich“ gebe. Beschäftigungen im öffentlichen Dienst seien nicht bekannt.
In Hessen wiederum, wo die JA seit 2019 ein Beobachtungsobjekt ist, meldete der Verfassungsschutz in zwei Fällen eine Waffenerlaubnis von JA-Mitgliedern an die Waffenbehörden. Eine Entwaffnung der Szene bleibe ein festes Ziel, erklärt das Landesamt. Und die JA sei „fest in die rechtsextremistische Szene in Hessen integriert“.
Rheinland-Pfalz teilt mit, eine „einstellige Anzahl von bekannten JA-Mitgliedern“ verfüge über waffenrechtliche Erlaubnisse. Die zuständigen Waffenbehörden seien darüber in Kenntnis gesetzt und prüften die Fälle nun.
Die anderen Länder geben sich zugeknöpfter. In Bayern, wo die AfD-Jugend seit 2019 eingestuft ist, will man sich zu Waffenbesitz von JA-Mitgliedern grundsätzlich nicht äußern – um keine Rückschlüsse auf die „Arbeitsweise“ des Verfassungsschutzes zuzulassen.
Teils wird in den Ländern noch separat geprüft
Aus Baden-Württemberg, wo die JA noch Verdachtsfall ist, heißt es zum Waffenbesitz oder zu JA-Mitgliedern im öffentlichen Dienst fehlten „belastbare umfassende Erkenntnisse“. „Nicht jedes JA-Mitglied unterliegt den Voraussetzungen der verfassungsschutzrechtlichen Bearbeitung“, so ein Sprecher des Innenministeriums.
„Nicht jedes JA-Mitglied unterliegt den Voraussetzungen der verfassungsschutzrechtlichen Bearbeitung“, so ein Sprecher des Innenministeriums. Und Thüringen und Sachsen erklären, es würden grundsätzlich „keine personen- oder organisationsbezogenen Statistiken zum Waffenbesitz“ geführt. In Thüringen ist die JA schon länger als rechtsextremistisch eingestuft. Der sächsische Verfassungsschutz reagierte nun prompt und stufte nach der Entscheidung des Bundesamts auch die sächsische JA sofort als gesichert rechtsextrem ein.
Auch in Niedersachsen, wo der Verfassungsschutz die Parteijugend bereits seit 2018 beobachtet und aktuell eine „stetige Radikalisierung“ konstatiert, fehlen Erkenntnisse zu Waffenbesitz. Aus Bremen, wo der Verband ebenfalls seit 2018 eingestuft ist, heißt es, die JA entfalte seit 2020 keinerlei öffentliche Aktivität mehr – und es sei auch kein Mitglied mit Waffenerlaubnis oder im öffentlichen Dienst bekannt.
Andere Länder – wie Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein oder Brandenburg – prüfen dagegen immer noch, ob auch die dortige JA als klar rechtsextrem einzustufen ist. Solange gibt es von dort auch keine Zahlen zu Waffenbesitz. Sachsen-Anhalt, Saarland oder Berlin wollten sich, jenseits ihrer Jahresberichte, grundsätzlich nicht zur JA äußern. Auch in Hamburg, wo die AfD-Parteijugend „nahezu inaktiv“ sei, prüfe man Auswirkungen der bundesweiten Einstufung.
Auch im Bundestag keine Übersicht
Der Grünen-Innenpolitiker Marcel Emmerich hält die fehlende Übersicht für gefährlich. „Es ist jetzt die Aufgabe der Länder und des Bundes, sich schnell einen Überblick über die Zahl an Waffen bei JA-Mitgliedern zu verschaffen und die Informationen an die Waffenbehörden weiterzugeben“, so Emmerich zur taz. „Jeder Rechtsextremist mit Zugang zu Waffen ist eine enorme Gefahr für die öffentliche Sicherheit und darf unter keinen Umständen daran kommen.“ Gleiches gelte für JA-Mitglieder im Staatsdienst, so Emmerich. „Bund und Länder müssen wissen, wer Mitglied einer rechtsextremen Organisation ist und dann disziplinarrechtliche Schritte ins Auge fassen. Wer Diener dieses Staates ist, darf ihn nicht bekämpfen.“
Auch den Bundestag beschäftigt die Einstufung der AfD-Jugend. Mit Hannes Gnauck sitzt dort der JA-Bundesvorsitzende als Abgeordneter im Parlament. Im Verteidigungsausschuss, dem er angehört, wird bereits geprüft, ob und wie Gnauck dort abberufen werden kann. Wenigstens fünf weitere AfD-Abgeordnete sind oder waren Teil der JA, die meisten davon in Führungspositionen. Und die Fraktion gibt sich uneinsichtig: So gab der AfD-Abgeordnete Roger Beckkamp kurz nach der Einstufung von „Ein Prozent“ bekannt, dort aus Trotz Fördermitglied geworden zu sein.
Auch unter Mitarbeitenden der AfD-Fraktion sollen sich etliche JA-Mitglieder befinden. Indes: Auch hier fehlt eine Übersicht. Auf eine diesbezügliche Anfrage der Linkenabgeordneten Martina Renner antwortete die Bundesregierung nur, es sei bekannt, dass Mitglieder als Abgeordnete und Mitarbeiter*innen im Bundestag arbeiteten. Nähere Angaben aber seien nicht zulässig – aus „Gründen des Schutzes der Grundrechte, insbesondere der Persönlichkeitsrechte“, so die Antwort, die der taz vorliegt.
Renner hält das für unbefriedigend. Es sei „ein akutes Sicherheitsrisiko“, wenn Mitglieder der JA, des Instituts für Staatspolitik oder „Ein Prozent“ als Abgeordnete oder Mitarbeitende Zugang zum Bundestag und sensiblen Informationen hätten. Umso mehr angesichts der jüngsten Umsturzpläne aus dem Reichsbürgermilieu, die konkret den Bundestag zum Ziel hatten und bei denen auch die frühere AfD-Abgeordnete Birgit Malsack-Winkemann zu den Beschuldigten zählt. „Aufgrund erwiesener Bezüge von AfD-Abgeordneten und ihren Mitarbeiter*innen zu Rechtsterrorplanungen ist die Gefahr real, dass über sie Waffen und Personen unkontrolliert in den Bundestag eingeschleust werden könnten“, so Renner zur taz.
Demonstrative Nähe zu Kubitschek
Der Bundestag hatte zuletzt bereits angekündigt, in Kürze die Zugangsvoraussetzung im Bundes zu verschärfen. Möglich seien dann stichprobenartige Kontrollen von Inhaber*innen eines Bundestagsausweises und jährlich sich wiederholende Zuverlässigkeitsprüfungen, die auch zu Zutrittsbeschränkungen führen könnten. Anlass waren auch hier die Reichsbürgerumsturzpläne, aber auch Aktionen der „Letzten Generation“.
Die AfD selbst reagierte mit Solidarität auf die Einstufung ihrer Parteijugend und der verbandelten neurechten Vereine. Demonstrativ zeigten sich die Parteivorsitzende Alice Weidel und Thüringens Landeschef Björn Höcke am Wochenende bei einem gemeinsamen Auftritt in Erfurt im trauten Einklang mit der JA – inklusive Selfies mit dem Parteinachwuchs. Und auf der AfD-Demo mit rund 1.000 Teilnehmenden lief wohl nicht zufällig Götz Kubitschek mit, Lenker des nun ebenso eingestuften Institut für Staatspolitik.
Auf der Bühne hielt Höcke eine betont radikale Rede, nannte Verfassungsschutz-Chef Thomas Haldenwang einen „Typus williger Vollstrecker“ und verkündete: „Ich stehe zu unserer Parteijugend!“ Der Verfassungsschutz sei Teil eines „Regierungsextremismus“, der die Demokratie gefährde. „Und allen Spitzeln, die jetzt gerade ihren minderwertigen und primitiven Dienst an diesem Ort leisten, zeigen wir gemeinsam die Rote Karte: Stasi in die Produktion!“
Wie zum Beweis seiner Verfassungsfeindlichkeit sprach Höcke in der selben Rede der BRD ab, ein Rechtsstaat mit Gewaltenteilung zu sein – die Gerichte „in diesem besetzten Land und seinen besetzten Institutionen“ seien durchsetzt mit „Kartellparteienproporz“, weswegen er sich keine gute Chancen ausrechne für einen Klage gegen die Einstufung – schließlich sei man ja in keinem „wirklich demokratischen Staatswesen“.
Ideologische Taktgeber für die Rechten
Aus diesen antidemokratischen Erklärungen lässt sich wohl auch die PR-Strategie für einen möglichen bevorstehenden Prozess gegen Höcke ableiten, dessen Immunität erneut wegen Ermittlungen wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen kürzlich aufgehoben wurde. Er hatte bei einer Kundgebung die verbotene SA-Losung „Alles für Deutschland“ verwendet, als rechtsextremer Geschichtslehrer hat er wohl schlechte Karten sich mit Nichtwissen herauszureden – eine Anklage steht offenbar kurz bevor.
Tatsächlich sind Höcke und Kubitschek denn auch mehr ideologische Taktgeber für das rechtsextreme Vorfeld und die Junge Alternative als anders herum. Und weil Höckes Ruf ohnehin schon ruiniert ist, verbreitete er auf der Bühne auch gleich Reichsbürgerideologie: „Deutschland ist kein souveränes Land. Die Politik für Deutschland wird überwiegend in Washington gemacht“, rief er. Die Politiker seien Theaterpuppen und Russland der natürliche Verbündete Deutschlands.
Höcke hat auch Verbindungen zu Bekannten des inhaftierten Heinrich XIII. Prinz Reuß, dessen Gruppe der „Patriotischen Union“ in einem rechtsextremen Terrorakt unter anderem mutmaßlich plante, den Bundestag zu stürmen. Am Ende schloss Höcke damit, dass die AfD in Regierungsverantwortung kommen müsse, inklusive einer wenig verklausulierter Gewaltandrohung – die AfD sei die „letzte friedliche Chance für dieses Land.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben