Prozess wegen versuchten Mordes: Ein Nazi knallt durch

In Hamburg steht ab Dienstag ein Mann vor Gericht: Er soll auf seine schwangere, muslimische Nachbarin geschossen haben.

T-Shirt-Aufdruck "Rassismus mordet"

In Hamburg hatte eine Frau Glück: Die Schüsse ihres rechten Nachbarn traf sie nicht (Symbolbild) Foto: Florian Schuh/dpa

Hamburg taz | Am 27. Mai hätte das Leben von Aliya Malik* zu Ende sein können. Und mit ihr hätte auch ein ungeborenes Leben enden können. Um 21.45 Uhr schoss an jenen Samstag Ulf M. mit einem Gewehr auf die Schwangere durch die geschlossene Wohnungstür. Die muslimische Frau hatte Glück, dass ihr rechtsgerichteter Nachbar sie nicht traf. Heute Nachmittag beginnt vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Hamburg der Prozess. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: versuchter Mord.

Die „Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“ – kurz: Empower – befürchtet, dass die politische Dimension der Tat eine zu geringe Beachtung finden könnte. Die Befürchtung kommt nicht ohne Grund: Einige Medien stellten anfänglich den Angriff als Nachbarschaftsstreit dar. Mit einigen Nachbarn soll Ulf M. auch öfters Streit gesucht haben.

Nicht alleine mit der damals 24-Jährigen, mit der der Täter in dem Mehrparteienhaus am Tibarg im Stadtteil Niendorf wohnt. Die Betroffene berichtete jedoch nicht alleine von anhaltenden rassistischen Beleidigungen und Bedrohungen, sagt Nissar Gardi von Empower. Weitere Nachbarn erzählten Medien später ebenso, dass der Angeklagte immer wieder lautstark durch rassistische und rechtsextreme Äußerungen auffiel. Der 48-Jährige soll nicht nur die Frau bedrängt haben.

Empower begleitet die 24-Jährige. Über Jahre tyrannisierte Ulf M. seine Nachbarin. Sie informierte ohne Erfolg den Vermieter. Sie soll auch Ulf M. wegen Nötigung angezeigt haben. An dem Samstagabend schoss Ulf M. mehrmals durch die Tür der Erdgeschosswohnung. Mit ihrer Schwiegermutter war das Opfer in der Wohnung. Auch die Schwiegermutter hatte Glück. Sie blieb unverletzt.

Hitler-Bild und Dolch mit SS-Gravur

Malik wählte den Notruf. Mehrere Polizeiwagenbesatzungen als auch Spezialeinsatzkräfte eilten zu dem Haus in der zweiten Reihe des vermeintlich ruhigen Quartiers. Ohne Auseinandersetzung konnte die Polizei den Täter festnehmen. Malik wurde vorsorglich ins Krankenhaus gebracht.

Bei der anschließenden Durchsuchung der Wohnung von Ulf M. stellten die Polizeikräfte nicht bloß die mutmaßliche Tatwaffe und weitere Schusswaffen und ein Messer sicher. Sie entdeckten auch rechte Utensilien. Ein Bild von Adolf Hitler und einen Dolch mit eingravierten SS-Runen fanden sie. NPD- und AfD-Material soll zudem entdeckt worden sein, ebenso Unterlagen zum Ku-Klux-Klan.

Vor zehn Jahren bestellte Ulf M. beim rechtsextremen Versand „Hatecore Lüneburg“, berichtet das Hamburger Bündnis gegen Rechts (HBgR). Die Funde und Hinweise deuten auf ein rechtsextremes Weltbild hin, das sich lange bildete und festigte.

Mit der Festnahme von Ulf M., der in Untersuchungshaft kam, erfolgte aber keine Erleichterung für Malik. „Sie leidet an Belastungsstörungen“, sagt Gardi der taz.

Ähnliche Fälle finden kaum Beachtung

Die Polizei gab ihr zwar die Kontaktdaten zu Empower, aber schnelle weitere Hilfe von staatlicher Seite erfolgte nicht. „Es kann nicht sein, dass wiederholt die Unterstützung bei den gesundheitlichen und materiellen Folgen solcher Taten im Wesentlichen von Betroffenen selbst erkämpft werden müssen“, sagt Gardi. Die Referentin weist zudem darauf hin, dass es „ein beunruhigendes Sig­nal an Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“ sei, „wenn in der Öffentlichkeit, Zivilgesellschaft und Politik diese Vorfälle kaum Beachtung finden“.

Unterstützung bedeute, die Vorfälle ernst zu nehmen, so Gardi. Das HBgR ruft deshalb zu einer „solidarischen Prozessbegleitung“ auf. „Wir vermissen bis heute den öffentlichen Aufschrei, dass es einen rechten Mordversuch in Hamburg gab“, sagt Kim Uhrig vom Bündnis und schiebt nach: „Wir fragen uns, warum 2023 ein eindeutig rechtes Tatmotiv nicht sofort als solches erkannt wird.“

Neun Verhandlungstage bis ins kommende Jahr hat das Gericht angesetzt. Malik ist – trotz der Belastung – Nebenklägerin.

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