Rechtsextreme Bücher im Onlinehandel: „Bibel der rassistischen Rechten“
Lesestoff mit Genozidfantasien und Verbindungen zu echten Nazi-Morden. Große deutsche Buchhändler boten über das Internet ein indiziertes Buch an.
Dieses Ereignis schildert der Roman „The Turner Diaries“, den der Autor William L. Pierce unter dem Pseudonym Andrew Macdonald schrieb. Das Buch wurde 1978 veröffentlicht und vom FBI einst als „Bibel der rassistischen Rechten“ bezeichnet. Es beschreibt einen Genozid an den BIPoC (Black, Indigenous, People of Color) und wird mit über 200 rassistischen Morden weltweit in Verbindung gebracht. Die Täter des Amoklaufs auf Utøya, der Morde in Christchurch, der NSU-Morde und der Ausschreitungen im Kapitol bezogen sich auf das Buch.
Trotzdem boten die größten deutschen Onlineversandhändler die „Turner Diaries“ zum Verkauf an. Ein anderes Buch desselben Autors sowie unzählige weitere rassistische, antisemitische, geschichtsrevisionistische und holocaustleugnende Bücher sind ebenfalls dort zu finden. Wie gelangen diese Bücher auf die Verkaufsplattformen? Warum tun die Buchhandlungen nichts dagegen? Und wie gefährlich ist das?
Der Büchertisch war einmal, heute wird rund ein Viertel aller Bücher online bestellt, etwa über die Onlineshops von Osiander, Amazon, Hugendubel und Thalia. Doch im Gegensatz zur Buchhandlung bieten Onlineplattformen nicht nur ausgewählte Literatur an.
Auch Bücher mit menschenverachtenden Inhalten sind dort leicht zu finden: Es stehen SS-Glorifizierungen neben historischen Romanen, rassentheoretische Pseudowissenschaft neben Biologiebüchern und Abgesänge auf das sogenannte Abendland neben Gegenwartsliteratur. Und so wurden eben auch die „Turner Diaries“ angeboten. Bei Hugendubel, Osiander und Amazon waren sie bis vor Kurzem im Sortiment.
Es mag in einer digital vernetzten Welt vielleicht verwundern, aber Bücher würden für die rechtsextreme Szene nach wie vor drei wichtige Funktionen erfüllen, sagt Rechtsextremismusexperte Samuel Salzborn: Erstens dienten sie zur Aneignung eines rechten Weltbildes. Zweitens zur Anbindung an die rechte Szene. Und drittens enthielten einige Bücher direkte Handlungsanweisungen, wie man rechte Interessen politisch durchsetzt – im legalen wie auch im illegalen Bereich.
Diese Literatur dient zudem dazu, Neurechten den Anschein von Intellektualität zu geben, ihrer menschenverachtenden Ideologie ein pseudotheoretisches Fundament und eine Geschichte jenseits des Nationalsozialismus, sagt die österreichische Expertin für die Neue Rechte, Natascha Strobl. Umso wichtiger ist es für die Szene, dass die Bücher nicht im Nischenhandel, sondern bei den umsatzstärksten Onlinebuchhändlern neben seriöser Literatur auftauchen. Dazu passt auch die Aufmachung einiger Bücher: die Einbände des rechten Antaios Verlags etwa gleichen denen von Suhrkamp.
Die menschenverachtenden Inhalte der „Turner Diaries“ und anderer Bücher werden durch das kontextlose Nebeneinander aufgewertet. Der Rahmen des Sagbaren verschiebt sich dadurch weiter nach rechts – was Hugendubel anbietet, kann ja nicht so schlimm sein. Diese Strategie nennen vor allem Neurechte oft „Metapolitik“.
Dabei gehe es darum, „schleichend über bestimmte Themenfelder die gesellschaftliche Meinung zu verändern, Debatten zu prägen und Begriffe zu lancieren“, sagt Salzborn und nennt die zunehmende Verwendung von Naturkatastrophen-Metaphern für migrationspolitische Ereignisse („Flüchtlingswelle“) als Beispiel. Dies führe zu einer Naturalisierung des Sozialen und Migration erscheine so als etwas unausweichlich Apokalyptisches.
Glaubwürdigkeit und Reichweite
Trotzdem hätten die Bücher auf den Plattformen nicht nur symbolische Funktion: Sie erreichten dort eben auch ein Publikum, das sich in der Szene noch nicht auskennt, sagt Salzborn. Hinzu käme ihr problematischer Werbetext, vor dem der Verfassungsschutz bereits 2012 warnte: „So erreichen entsprechende Veröffentlichungen auch einen nicht rechtsextremistisch vorgeprägten potenziellen Kundenkreis“.
Das sieht auch Natascha Strobl so: „Dadurch, dass man die Bücher aus einer Nischensparte neben normalen Verlagen platziert, macht man sie größer, als sie eigentlich sind.“ Das verleihe ihnen Glaubwürdigkeit.
Damit konfrontiert, verweisen die Buchhandlungen zunächst aufs System: Ihre Onlinekataloge synchronisierten sich automatisch mit den Datenbanken des Verzeichnisses lieferbarer Bücher (VLB) sowie mit Katalogen einzelner Verlage und anderer Großhändler – und überprüften nicht systematisch, welche Art von Büchern sie unter ihrer eigenen Marke anbieten.
Die Pressestelle des Versandriesen Amazon zeigt sich selbstbewusst und versichert, dass ein „Zusammenspiel aus Algorithmus und Mensch“ mit „proaktiven Maßnahmen“ gegen solche Bücher vorgehe, die gegen die Amazon-Richtlinien verstoßen. Dieses Vorgehen habe sich als effektiv erwiesen. Nichtsdestotrotz wolle man im Sortiment eine Vielfalt an Meinungen abdecken.
Hugendubel will „alles abbilden“
Auf Amazon sind unzählige holocaustleugnende Kriegsberichte zu finden, aber auch die Biografie eines Rechtsrockers oder das Buch eines weißen Nationalisten, der auf seinem Youtube-Kanal ein Interview mit dem ehemaligen Ku-Klux-Klan-Chef David Duke veröffentlichte.
Eine Sprecherin bei Thalia erklärt auf Anfrage der taz, Bücher mit antisemitischen und rassistischen Inhalten würden manuell gelöscht, allerdings nur, wenn Kund:innen darauf aufmerksam machen. Zudem arbeite Thalia neuerdings „mit betroffenen externen Organisationen zusammen, um diskriminierende Inhalte zu identifizieren“. Welche Organisationen das sind, will sie jedoch nicht bekannt geben.
Hugendubel hingegen setzt auf Vollständigkeit und sagt auf Anfrage der taz: „Online wollen wir grundsätzlich alles abbilden“. Man greife nicht in das Sortiment ein, es sei denn, ein Buch verstoße gegen das Gesetz. Das ist bei „Turner Diaries“ der Fall.
Das Buch steht seit 2006 auf dem Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien und darf deshalb nur noch „unter dem Ladentisch“ angeboten werden. Trotzdem landete es in den Onlineshops von Amazon, Osiander und Hugendubel. Dann verschwand es auf Hinweis der taz vorübergehend. Kurz danach war es bei Osiander und Hugendubel jedoch wieder auffindbar – in französischer Übersetzung.
Wie politisch ist es, Bücher zu verkaufen?
Die Schwierigkeit sei, sagt die Thalia-Vertreterin, dass es noch nicht gelang, Bücher durch bestimmte Schlagworte automatisch aus dem Sortiment zu filtern. Das liege daran, dass Anbieter solcher Bücher verschiedene Strategien verwenden, um ihre Bücher zu platzieren. Zum Beispiel vergeben sie immer wieder neue ISBN-Nummern für dieselben Titel.
Noch schwieriger sei es, fremdsprachige Bücher und Bücher aus Versandlagern außerhalb von Deutschland aufzuspüren. Das indizierte „Turner Diaries“ nahmen alle Anbieter auf Hinweis der taz erneut, und auch in französischer Version, aus dem Sortiment. Einige nichtindizierte Bücher von Autoren, die mit anderen Büchern auf dem Index stehen, sind aber weiterhin auffindbar.
Die Debatte darüber, ob und wie gefährlich es ist, rechtsextremen Ideologien eine Plattform zu bieten, kocht regelmäßig hoch. Zuletzt etwa, als Donald Trump von Twitter gesperrt wurde. Oder nachdem die Stände rechter Verlage auf der Frankfurter Buchmesse in einen Seitenflur verlegt wurden. In der rechten Presse hieß es dazu: Schaut her, in der vermeintlich weltoffenen Buchbranche herrscht eigentlich die totale Zensur.
Auch diese Empörung ist Metapolitik – und funktioniert: „Inzwischen wird in deutschsprachigen Medien viel öfter die Frage aufgeworfen, ob es sich beim Widerstand gegen Rechte nicht um ‚Deplatforming‘ oder um Empörungskultur handle“, sagt Lisa Mangold vom Netzwerk „Verlage gegen Rechts.“ Dabei sei es im Kapitalismus nie ein neutraler Akt, Bücher zu verkaufen.
Auf Onlineplattformen kommt im Vergleich zur Buchhandlung aber noch ein weiteres Problem dazu: Die Algorithmen vergessen nichts. Sie mochten Bücher eines französischen Alt-Right-Youtubers? Vielleicht gefällt Ihnen dann auch dieses Manifest zu weißem Nationalismus – und munter dreht die Radikalisierungsmaschinerie.
Dabei könnte das umstrittene „Deplatforming“ ganz gut funktionieren: Die Studie „Hate not found“ des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) stellt fest: „Es bricht die Inszenierung der extremen Rechten zusammen, eine normale politische Kraft zu sein, wenn man nicht mehr im digitalen Mainstream erscheint.“ So könnten sich Reichweite und Bedeutung rechter Akteur:innen erheblich reduzieren, wenn sie auf gängigen Plattformen nicht mehr auftauchen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste