Rechte versammeln sich in Bautzen: Breitbeiniger Stand
Neonazis gehen in Bautzen Gegendemonstranten und einen Kameramann an. Mit ihren Handys versuchen sie, ihren vorübergehenden Ruhm festzuhalten.
Später wird er sich auf den Weg machen zum Kornmarkt. Dorthin, wo in den vergangenen Tagen die Situation zwischen Rechten und Asylsuchenden immer wieder eskalierte, vor allem am Mittwochabend. Auch am Donnerstagabend versammelten sich wieder etwa 350 Personen auf dem Kornmarkt und den angrenzenden Straßen.
Die Altstadt von Bautzen ist ein malerisches Gewirr aus Kopfsteinpflaster-Gassen, gesäumt von bunten Fassaden. Direkt neben dem Stadtmuseum markiert der Kornmarkt die Grenze zur Innenstadt. Meistens treffen sich hier Jugendliche oder auch Erwachsene, oft fließt Alkohol. Die minderjährigen Flüchtlinge, mit denen es zum Streit kam, halten sich ebenfalls gerne an dem Platz auf, weil es freies WLAN gibt.
Nach den Ausschreitungen verhängte der Landkreis für sie eine nächtliche Ausgangssperre. Jetzt stehen sich nur noch eine Traube aus besorgten Bürgern und Journalisten gegenüber. Kamerateams von ARD, ZDF und RTL sind gekommen, Dutzende Fotografen.
Auf den Straßen, zwischen Antiquitätenläden, einem christlichen Buchladen und einem sorbischen Restaurant, sprechen die Bautzener über den Mittwoch, als es schlimmer war als vorher, weshalb jetzt auch wieder ganz Deutschland über sie herzieht. „Die Rechten machen unseren Ruf kaputt“, sagt ein Mann mit Glatze. Er und seine Frau führen ihren Staffordshire-Terrier Gassi, dann treffen sie einen Bekannten.
Das seien ja nicht unbedingt nur Rechte gewesen am Mittwoch auf dem Kornmarkt, sagt der. Was solle man machen, wenn immer mehr Flüchtlinge kämen. Wild gestikulierend deutet sein Gegenüber Richtung Kornmarkt: „Das waren definitiv Rechte, richtige Rechte, richtiges Pack.“ Am Ende gehen sie mit einem „Vergiss es“ und im Zwist auseinander.
Die Rechten trinken reichlich
Auf der „Platte“, wie die Bautzener ihren Kornmarkt nennen, sind sie sich einig. Die Stimmung ist regelrecht ausgelassen. Endlich haben sie ihren Platz wieder für sich allein. Bierkästen werden zu Sitzgelegenheiten, getrunken wird reichlich. Während manche sich eindeutig dem rechten Spektrum zuordnen lassen, sehen viele andere ganz gewöhnlich aus. Eisschleckende Ehepaare, ältere Männer mit weißen Socken in den Sandalen, die sich gegenseitig in der Annahme bestärken, ihre „wunderschöne Stadt schützen zu müssen“. Handykameras werden gezückt, um festzuhalten, wie berühmt Bautzen jetzt wieder ist. Im Hintergrund erhebt sich das Best-Western-Hotel und verschluckt die letzten Sonnenstrahlen.
Als Oberbürgermeister Alexander Ahrens auftaucht, will er eigentlich erst ein Interview geben, doch schon ist er von aufgebrachten Bürgern umringt. „Ich bin Ungar“, schreit ihm einer in tiefstem Sächsisch ins Gesicht, „und wir sind stolz auf unseren Präsidenten, den Herrn Orbán“. Ahrens, groß gewachsen und in gut sitzendem Anzug, blickt auf den kleinen Mann hinab, zurück ins Licht der Kamera, seufzt.
„Nicht rausschneiden“, ruft der Orbán-Fan da sofort. Ein paar Lügenpresse-Rufe folgen. „Du kannst in Bautzen nicht mal mehr mit deiner eigenen Tochter spazieren gehen“, brüllt er weiter, erhält tosenden Applaus. „Das hätten sich unsere Jungs mal erlauben müssen“, murmelt eine ältere Frau, etwas abseits vom Geschehen. „Aber unsere Jugend kümmert ja eh keinen“.
Den Dialog mit Rechten suchen
Ein wutentbranntes „Aber unsere Frauen!“ schallt an diesem Abend fast ununterbrochen über die Platte. Frauen könnten nicht mehr ins Schwimmbad gehen, nicht mit dem Hund raus, von überall müssten sie, ihre Männer, sie abholen. Von all den betroffenen Frauen ist übrigens kaum eine selbst gekommen, der Männeranteil dürfte bei etwa 90 Prozent liegen.
Die Bautzener schildern bürgerkriegsähnliche Zustände, erzählen von Quasi-Abgestochenen und Halb-Ermordeten. Ahrens versucht, auf jeden von ihnen einzugehen, selbst dann noch, als ihm vorgeworfen wird, dass er „Neger und Kinderficker“ ins Land lasse. Wenigstens können sie sich noch darauf einigen, dass sie alle noch nie Angela Merkel gewählt haben.
Später, fernab der Platte, wird Ahrens von seinen eigenen Kindern erzählen, von seiner 16-jährigen Tochter, die groß und blond ist und helle Augen hat. Schlechte Erfahrungen mit Asylsuchenden habe sie bislang keine gemacht, ebenso wenig ihre Freundinnen und Klassenkameradinnen.
Er wird außerdem sagen, dass sich nichts von dem, was er heute gehört hat, mit seinen eigenen Erfahrungen deckt, mit dem, was ihm in den Bürgersprechstunden begegnet, und – das sagt er nicht mit Worten, sondern mit einem Gesichtsausdruck – mit dem, was er für realistisch hält. Den Dialog wolle er trotzdem aufrechterhalten, mit jedem, der das möchte. Mehr Ideen hat er noch nicht.
Die rechte Parallelwelt
Anderthalb Stunden später als geplant wird auf dem Kornmarkt eine Gegendemo von Antifaschisten angemeldet. Sie halten Banner empor, auf denen „Besorgt es euch doch selbst“ und „Zivilcourage ist kein Verbrechen“ steht. Immer wieder versuchen die Rechten, die jetzt eindeutig in der Überzahl und noch eindeutiger gewaltbereite Neonazis sind, zu den Gegendemonstranten zu gelangen, ein Kameramann wird angegriffen.
Der Versammlungsleiter und Grünen-Abgeordnete Jürgen Kasek probiert es noch per Megafon und mit Argumenten, lässt dann aber die Schultern hängen und schaut ungläubig auf die andere Seite. „Diese Leute haben sich innerlich aus unserer Gesellschaft verabschiedet“, sagt er. Mittlerweile hätten sie sich eine Parallelwelt erschaffen, in denen Fakten nichts wert seien. Viele Bürgermeister in Sachsen hätten Angst, sich klar zu positionieren, viele Bundespolitiker hätten das auch gegenüber der AfD versäumt. „Das“, sagt Kasek und rudert mit den Armen Richtung Neonazis, „das ist der Bürgerkrieg von Frauke Petry“.
In einem Mülleimer auf dem Kornmarkt liegt eine Bildzeitung vom Vortag. Eine Überschrift lautet: „25 Jahre nach ausländerfeindlichen Übergriffen in Hoyerswerda – heute muss man hier keine Angst mehr haben“. In Bautzen gilt das unterdessen nicht.
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