Rechte Raumnahme: „Dann kannst du das Dorf eigentlich zumachen“
Im sächsischen Niesky steht das Jugendzentrum vor dem Aus. Der Trägerverein ist pleite. Füllen die rechtsextremen „Schlesischen Jungs“ die Lücke?
Was aussieht wie ein ganz normaler Abend in einem Jugendzentrum, ist der verzweifelte Versuch, die Insolvenz des bisher verantwortlichen Jugendrings Oberlausitz aufzufangen. Über drei Jahrzehnte war dieser eine der Anlaufstellen für Jugendarbeit im Landkreis Görlitz, in dem auch Niesky liegt. Im Dezember 2024 kam dann das Aus: Der Jugendring musste Insolvenz anmelden.
Mit ihm verschwanden zentrale Strukturen der Jugendarbeit: So beriet und vernetzte der Jugendring 49 freie Träger in der Region, übernahm die politische Vertretung im Jugendhilfeausschuss des Kreistags und schulte neue Jugendleiter*innen. Mit seinem flexiblen Jugendmanagement war der Jugendring im gesamten Landkreis unterwegs und betrieb zudem die beiden offenen Jugendtreffs in den Orten Reichenbach und Niesky.
All das fällt nun auf einen Schlag weg. „Wir haben immer an der Kante gearbeitet“, erzählt Jana Lübeck. Die 39-jährige Linken-Politikerin ist die erste Vorständin des als Verein organisierten Jugendrings. Über die Jahre sei dieser in ein finanzielles Defizit gekommen. „Wir haben immer schon im Dezember die Kündigungen ausgesprochen, falls das Geld nicht kommt.“
Dafür macht Jana Lübeck auch politisches Versagen verantwortlich: Immer wieder seien Fördermittel des Landkreises zu spät geflossen, der Verein habe mit finanziellen Rücklagen in Vorkasse gehen müssen. Fehlende Förderzusagen durch die prekäre Haushaltssituation auf Landes- und Kreisebene hätten dann das Aus des Jugendrings besiegelt.
Wer füllt die leeren Räume?
Weil Zeit und Geld beim Jugendring schon lange knapp waren, übernahmen der 36-jährige Michael Scheibe und seine Freunde den wöchentlichen Barabend. Die Ehrenamtlichen kommen nicht aus der professionellen Jugendarbeit – sie arbeiten als Hausmeister, Pflegefachkräfte und Laborassistenten. Neben einem wöchentlichen Reparaturcafé ist der Barabend das einzige Angebot, das dem einst täglich geöffneten Jugendzentrum noch Leben einhaucht. Hinter ihrem Engagement steckt aber noch eine weitere Motivation. „Für mich ist das H.O.L.Z. die letzte alternative Anlaufstelle. Wenn die in rechte Hände fällt, kannst du das Dorf hier eigentlich zu machen“, sagt Scheibe.
Sorge vor rechter Raumeinnahme hat auch Nieskys Bürgermeisterin Kathrin Uhlemann (parteilos). „Ich liebe meinen Job“, sagt sie. Für ihr Amt ist sie extra nach Niesky gezogen. Während das Rathaus am Freitagabend im Dunkeln liegt, brennt nur in ihrem Büro im ersten Stock noch das Licht. Die Zukunft des Jugendzentrums beschäftigt Uhlemann. Das Gebäude gehört der Stadt, die es bisher dem Jugendring vermietet hat.
Von wem und in welcher Form es in Zukunft weiter genutzt wird, ist offen. Uhlemann hat jedoch einen Verdacht, der sie beunruhigt: Die rechtsextreme Kameradschaft „Schlesische Jungs Niesky“ könnte am Gebäude interessiert sein. Laut Verfassungsschutz gehört die Gruppe zur „subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene“.
Uhlemann zufolge müssen die „Schlesischen Jungs“ ihr bisheriges Quartier – ein Nebengebäude des Bahnhofs – bald räumen. Wegen anstehender Sanierungsarbeiten sei ihnen gekündigt worden. Die „Schlesischen Jungs“ haben sich im Sommer regelmäßig auf dem Jugendringgelände zum Volleyballspielen getroffen, berichtet Uhlemann. Das bestätigt auch Jugendring-Vorständin Jana Lübeck.
Kameradschaft im Stadtrat
Für die Bürgermeisterin ist klar: Sie möchte das Gebäude weiterhin für die Jugendarbeit vermieten. Was schlussendlich passiert, entscheidet jedoch der Stadtrat – und Uhlemann vermutet nicht bei allen Stadträten Zustimmung für ihre Pläne. Besonders pikant: In dem Gremium sitzt mit Thomas Christgen auch ein Politiker, der laut der Bürgermeisterin selbst zu den „Schlesischen Jungs“ gehört. Bei den Kommunalwahlen 2024 ist Christgen auf der AfD-Liste angetreten. Wie die Sächsische Zeitung berichtet, war er bei der NPD und ist bis heute im rechtsextremen Spektrum aktiv. Zudem bildet die AfD im Nieskyer Stadtrat seit der Kommunalwahl 2024 mit sieben Sitzen die größte Fraktion.
Rechtsextreme Gruppierungen wie die „Schlesischen Jungs“ schaffen laut Rechtsextremismus-Forscher Gert Pickel von der Universität Leipzig gerade in strukturschwachen Regionen wie der Oberlausitz einen Ort zum Austausch und der Kameradschaft. Dabei gäben sie sich häufig bürgerlich und nahbar und böten Jugendlichen Halt in einer Region, in der es sonst kaum Alternativen gibt. „Wir reden immer so positiv von Zivilgesellschaft, aber Zivilgesellschaft aufbauen und Fördermittel beantragen, das haben auch die Rechtsextremen gelernt. Das wird in nächster Zeit wahrscheinlich verstärkt passieren“, prognostiziert Gert Pickel.
Diese Entwicklung beobachtet auch Bürgermeisterin Uhlemann in Niesky: „Die rechtsextreme Szene ist nach den Baseballschlägerjahren in den Neunzigern erwachsener geworden.“ Das Volleyballspiel der „Schlesischen Jungs“ sei ein Familiennachmittag. Auch bei ihren Rechtsrock-Konzerten seien Kinder und Familienmitglieder dabei. „Das Ganze wird positiv besetzt. Man hat Gleichgesinnte und Gemeinschaft“, sagt Uhlemann. Es sei wieder „in“, rechts zu sein.
Wo Strukturen wegbrechen, holt rechts auf
Gerade in Ostsachsen erleben Rechtsextreme einen Boom – auch bei Jugendlichen. Bei der U18-Bundestagswahl 2025 wählten in der Stadt Görlitz 43 Prozent die AfD mit ihrer Zweitstimme. Die Aktivistin Dorothea Schneider engagiert sich seit über 20 Jahren beim Verein Augen auf e. V. für die Demokratie und gegen Rechtsextremismus. Sie beobachtet eine „krasse Radikalisierung“ von Jugendlichen in der Region. „Und trotzdem nehmen wir weiter Angebote weg, die wenigstens noch ein bisschen Prävention ermöglichen könnten“, sagt sie. Angebote wie der Jugendring hätten ausgebaut werden müssen. Stattdessen wurden solche Angebote immer wieder durch Kürzungen und verzögerte Fördermittelvergabe weiter gefährdet.
Die Strukturen, die jetzt in der Jugendarbeit wegbrechen, sind nur ein Problem von vielen im Landkreis Görlitz. Laut dem Zukunftsatlas aus dem Jahr 2016 gehört der Landkreis zu den zehn strukturschwächsten Deutschlands. Die Strukturschwäche der Region betont auch Nadine Jukschat, Professorin für Angewandte Soziologie an der Hochschule Zittau/Görlitz. Die Region habe einen der bundesweit niedrigsten Löhne und eine überalterte Bevölkerung durch Abwanderung nach der Wende, so Juschkat.
Außerdem gebe es weniger stabile Vereinsstrukturen in der Zivilgesellschaft im Vergleich zu Westdeutschland. Gerade in solchen Gegenden spielten Jugendeinrichtungen eine Schlüsselrolle für politische Bildung und ein demokratisches Grundverständnis, da sie Teilhabe ermöglichen. Doch genau das fehle oft, kritisiert Jukschat. „Partizipationsversprechen, die nicht eingelöst werden, sind der Killer für weiteres Engagement“, sagt sie.
Eine Chance für die Jugendarbeit
Im H.O.L.Z. füllt sich der Raum langsam. Der nächste Song aus der Marshall-Box ist „Push It“. Die Jugendlichen scharen sich um den Billardtisch, die Erwachsenen um die Theke. Rund ein Dutzend Leute sind da. „Für die Jugend gibt es so gut wie gar nichts hier“, sagt Zamira, 19. Sie ist heute zum ersten Mal hier.
Die Ehrenamtlichen wollen kämpfen. Dafür sind einige von ihnen Mitglied im neu gegründeten Verein „Logo-Lausitz e. V. 2.0“. Eine Hürde hat der Verein schon geschafft und sich am 19. März beim Stadtrat vorgestellt. Der Verein möchte Teile des Gebäudes mieten und somit das H.O.L.Z. retten. Die Entscheidung darüber steht für diesen Montag auf der Tagesordnung des Stadtrats.
An den Holzsäulen des Jugendzentrums kleben verschiedene Sticker, einer von ihnen trägt die Aufschrift: Keep Calm and Fight Fascism. In einer Region, in der rechte Akteure an Einfluss gewinnen, klingt der Satz trotzig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wehrpflicht-Debatte
Pflicht zu „Freiheitsdienst“
Rechtsextreme Symbolik
Die Lieblingsblumen der AfD
Immer mehr Kirchenaustritte
Die Schäfchen laufen ihnen in Scharen davon
Debatte über ein Jahr Cannabisgesetz
Einmal tief einatmen, bitte
Trumps Gerede über eine dritte Amtszeit
Zerstörung als Strategie
Urteil gegen Marine Le Pen
Nicht mehr wählbar