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Rechte Aufmärsche in Chemnitz„Erstaunlich, wenn nichts passiert“

Die rechte Szene beklagt, dass ihr „Schweigemarsch“ abgebrochen wurde. Sie hetzt gegen das Anti-Rechts-Open-Air und plant neue Aktionen.

Anmeldung abgelaufen: Gegen 19 Uhr gab die Polizei die Auflösung des rechten Marsches bekannt Foto: dpa

„Wir vergessen nicht“: Keine 24 Stunden nach dem Schweigemarsch in Chemnitz wird einer der Hauptverantwortlichen deutlich. Auf Facebook beklagt Björn Höcke die Blockade durch Gegendemonstranten. „Wir mussten unseren Schweigemarsch abbrechen. Dieser Staat ist nicht in der Lage uns zu schützen, er ist nicht mehr in der Lage unser Demonstration durchsetzen.“

Der Staat sei „unter die Räuber“ gefallen, wettert der thüringische Landtagsfraktionsvorsitzende der AfD. Schon nach dem Abbruch des Marsches kippte die Stimmung. Gut 500 Meter waren die 5.000 vermeintlich besorgten Bürger und bekennenden Rechtsextremen an Sonntagabend gekommen. „Widerstand, Widerstand“ und „Wir sind das Volk“ skandierte die Menge, als die Polizei knapp nach 19 Uhr die Auflösung des Marsches bekanntgab, da die angemeldete Zeitspanne abgelaufen war.

Vereinzelt versuchten Aufmarschierende, eine Polizeiabsprechung zu durchbrechen. Dass die Anmelder von AfD und Pegida sich offensichtlich zeitlich verkalkuliert hatten, blendeten diese Teilnehmer aus. Etwas moderater als sein Parteikollege schimpfte vor Ort der AfD-Bundestagsabgeordnete Armin-Paul Hampel, auch darüber, dass die Polizei nicht in der Lage sei „diese Blockade zu räumen“. Die Demonstrationswege wären lange bekannt gewesen. Eine „gute Polizeiführung“ hätte ein Zusammentreffen verhindern können. „Das war keine gute Polizeiarbeit.“

Die Wut der selbsternannten Wutbürger versucht der Pegida-Begründer Lutz Bachmann erst gar nicht zu kanalisieren. Auf dem Rückweg sagt er in einem Livestream auf seiner Facebook-Seite: „Wir hätten an dieser Stellen heute die Versammlung nicht abgebrochen.“ Aber die AfD habe die Versammlungsleitung gehabt und sei auch weniger geübt mit Aktionen. Der Rechtsstaat hätte vor linken Chaoten kapituliert. „Peinlich“, meint er und sagt weiter, in Dresden passiere so etwas nicht. Und mit einem Augenzwinkern verspricht Bachmann, beim zweiten Versuch werde es besser.

Den Abbruch beklagt ebenso „Pro Chemnitz“. Am Abend erklärte die rechtsextreme Vereinigung um Martin Kohlmann auch: „Wir von Pro Chemnitz haben die Veranstaltung nicht aufgelöst und hätten sie auch nicht aufgelöst.“ Sie wiesen auch gleich die Verantwortung von sich: Die AfD konnte oder wollte nicht das Versammlungsrecht durchsetzen lassen, heißt es auf ihrer Facebook-Seite.

Open-Air-Festival wird als Provokation wahrgenommen

Wer sie kennen würde und mit ihnen „seit Jahren auf die Straße gehen“ würde, wüsste, dass sie „auf die Räumung bestanden“ hätten. Sie wären „zu der Zeit aber keine Veranstalter mehr“ gewesen. Nach dem Auftakt am Karl-Marx-Denkmal hatte „Pro Chemnitz“ ihre Aufmarsch für beendet erklärt, um sich bei dem Schweigemarsch von AfD und Pegdia einreihen zu können. Sie versichern nun: „Wir machen weiter und geben Euch den nächsten Termin zeitnah bekannt!“

Am Sonntagmittag ist noch unklar, ob bereits am Montagabend aufmarschiert werden soll. Das geplante Open-Air-Festival „Wir sind mehr“ wird als antifaschistische Provokation wahrgenommen. Ab 17 Uhr wollen bei dem kostenlosen Konzert Marteria, Casper, K.I.Z, Feine Sahne Fischfilet, Nura (SXTN), Die Toten Hosen, Kraftklub und Trettmann ein Zeichen „gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Gewalt“ setzen.

Kaum war das Event angekündigt, postete Höcke zum „Belehrungskonzert“ in Chemnitz: „‚Die Toten Hosen‘: Merkels inoffizielle Staatskapelle“ und schreibt, dass die Band von der Bundesregierung Geld für Auftritte bekam. Die Junge Freiheit greift derweil auf, dass Unternehmen das Event unterstützen und lässt nicht unerwähnt, dass „Feine Sahne Fischfilet“ in ihren Lieder gegen „Deutschland, Polizisten und Andersdenke“ hetzen würden.

Auf AfD-Kompakt wird spekuliert, ob nicht „das Bundespresseamt hinter der Aktion“ stünde. Der AfD-Bundestagsabgeordnete René Springer meint auf der Webseite zudem: „So schnell wie möglich soll der brutale und sinnlose Mord an einem Deutschen durch ‚Flüchtlinge‘ mit einer Mischung aus ‚buntem Protest‘ und großer Show auf der Bühne übertüncht werden.“

Die Stimmung werde von Rechtsextremen und Rechtpopulisten weiter angeheizt, sagt Kerstin Köditz von der Linken im Dresdener Landtag. „Es wäre erstaunlich, wenn nichts passiert.“

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