Recherche-Projekt von „SZ“ und NDR: Großoffensive „Geheimer Krieg“
Die „Süddeutsche“ und der NDR rechechieren gemeinsam zum Antiterror-Krieg der USA auf deutschem Boden. Nun erreicht die Kooperation eine neue Stufe.
HAMBURG taz | „Die Süddeutsche Zeitung und der NDR bekamen jetzt Einblick in die Dokumente.“ Hinweise dieser Art waren in den vergangenen Monaten keine Seltenheit in der SZ, weil die Zeitung und der öffentlich-rechtliche Sender bei der Aufarbeitung der Enthüllungen Edward Snowdens gemeinsame Sache machten.
Ohnehin arbeiten das Investigativressort der SZ und das Rechercheteam des NDR Fernsehens schon seit längerem bei geheimdienst-bezogenen Themen zusammen. Intensiv war die Zusammenarbeit bisher bei den Offshore-Leaks, dem internationalen Mammutprojekt zu den weltweiten Steueroasen.
In diesen Tagen erreicht die Kooperation zwischen den beiden Häusern nun eine weitere Stufe. Das Oberthema lautet „Geheimer Krieg“. Es geht dabei um Orte in der Bundesrepublik, von denen aus die Amerikaner Teile ihres Antiterror-Kriegs organisieren. Sowohl die Zeitung als auch der Sender beginnen am Freitag mit einer Reihe von Beiträgen zu diesem Thema. Eine zentrale Rolle bei dem am Donnerstag in Hamburg vorgestellten Großprojekt spielt dabei die vom NDR verantwortete Website geheimerkrieg.de.
Teil davon ist eine interaktive Karte, für die Spezialisten „pseudotransparente US-Datenbanken“ ausgewertet haben, wie Julia Stein, die Leiterin des NDR-Rechercheteams es formuliert. Sie gibt Aufschluss über Orte und Unternehmen, die für die US-Sicherheitsarchitektur von Bedeutung sind.
Der regelmäßig für die SZ schreibende NDR-Reporter John Goetz und seine Kollegen haben unter anderem herausgefunden, dass Deutschland etwa beim Drohnenkrieg in Somalia in vielerlei Hinsicht eine Rolle spiele. „Das hat uns wahnsinnig überrascht“, sagt Goetz. Unter dem Motto „Jetzt spionieren wir“ haben die NDR-Leute unter anderem die Stuttgarter Kommandozentrum für US-Drohneneinsätze in Afrika sowie die Luftleitzentrale in Ramstein aufgesucht. Von diesen beiden Einrichtungen aus würden die, so Goetz, „Hinrichtungen“ in Somalia mitgesteuert.
Als Höhepunkt der Berichterstattung ist am 28. November eine Art Themenabend vorgesehen. Er besteht aus einer monothematischen Ausgabe des Politmagazins „Panorama“, einer Spezialausgabe der Talksendung „Beckmann“ und einer deutschen Fassung von Jeremy Scahills aktueller Kinodokumentation „Dirty Wars“, in der es um die sehr fragwürdige Arbeit der geheimen Joint Special Operations (JSOC) unter anderem in Afghanistan geht.
Gesprächige amerikanische Sicherheitsmenschen
Auf das Material, das Edward Snowden beschafft hat, konnten SZ und NDR auch beim aktuellem Großprojekt zurückgreifen. Das sei aber nur ein Element der Recherchearbeit gewesen, sagt Stephan Wels, der stellvertretende Chefredakteur des NDR Fernsehens. Man habe unter anderem davon profitiert, dass „pensionierte amerikanische Sicherheitsmenschen sehr gesprächig sind“, sagt Goetz.
Rein formal betrachtet ist die Kooperation zwischen Zeitung und Sender eine nicht ganz einfache Beziehungskiste. Schließlich ist das Verhältnis zwischen Verlagen und dem öffentlich-rechtlichen System angespannt. Seit 2011 klagen acht Zeitungsverlage – darunter auch der Süddeutsche Verlag, in dem die SZ erscheint – gegen die Smartphone-App der „Tagesschau“, weil die vermeintlich zu „presseähnlich“ sei. In der vergangenen Woche die Sache mal wieder in Köln verhandelt, dieses Mal vor dem Oberlandesgericht.
Die Debatte um die seit 2013 geltende pauschale Rundfunkabgabe ist ebenfalls von rauen Tönen seitens der Verlage geprägt; auch in der SZ fiel in dem Zusammenhang schon mal der unfreundliche Begriff „Zwangsgebühren“. Die Chefredaktion der SZ finde die Zusammenarbeit „toll“, sagte Hans Leyendecker, der Chef des Münchener Investigativteams, bei der Präsentation in Hamburg. Frei von Ironie ist die Zusammenarbeit zwischen SZ und NDR dennoch nicht: Indem in der SZ bzw. bei sueddeutsche.de Texte erscheinen, zu denen der durch öffentliche Gelder finanzierte NDR beigetragen hat, werden nun zumindest auf einem sehr geringen Level Verlagsinhalte durch die gern gegeißelten „Zwangsgebühren“ finanziert.
Radiowelle NDR info mit dabei
Die Kooperation zwischen Hamburg und München begann im Herbst 2011, vor fast genau zwei Jahren: mit einer Geschichte über CIA-Foltergefängnisse in verschiedenen osteuropäischen Ländern. Diese Gefängnisse spielen auch bei den aktuellen Recherchen eine Rolle, weil deren Aufbau in einer riesigen CIA-Einrichtung in Frankfurt erfolgte.
Mit im Boot beim Projekt „Geheimer Krieg“ ist auch die Radiowelle NDR info. Die Hörfunkleute werden über Sponsorengelder berichten, die von US-Militärs an hiesige Forschungseinrichtungen, unter anderem an Universitäten, fließen. An diesen Recherchen werden aber nicht nur Hörer zwischen Flensburg und Wilhelmshaven teilhaben, denn im Rahmen eines Sammelangebots stehen die Berichte sämtlichen 57 ARD-Hörfunkwellen kostenfrei zur Übernahme zur Verfügung.
Um in der heutigen Flut der Informationen Aufmerksamkeit zu erlangen und dann die Leser, Zuschauer oder Nutzer bei der Stange zu halten, sind Kooperationsprojekte wie das zwischen SZ und NDR gewiss hilfreich. Dass die Deutungsvielfalt gestärkt wird, wenn zwei große Player aus verschiedenen Welten gemeinsame Sache machen, lässt sich aber nicht unbedingt behaupten.
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