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Reaktionen auf den BrexitWut auf unsere Generation

Rechtspopulisten richten gerade Europa zugrunde. Sie profitieren von der Trägheit der nach 1980 Geborenen.

Sie sollten sich nicht durch Katzenbilder von den wesentlichen Dingen ablenken lassen Foto: dpa

Wir sind wütend. In einem Europa, in dem wir in kaum zwei Stunden von Berlin nach London fliegen, in dem die Menschen, die wir lieben, über den ganzen Kontinent verteilt leben, wo wir nächtelang mit Freunden aus Spanien, Frankreich, Polen oder Ungarn lachen und trinken und hinterher kaum mehr wissen, welche Sprache dabei gesprochen wurde – in diesem Europa fallen die einen zurück in die nationalstaatlichen Antworten des 20. Jahrhunderts, während die anderen abwarten und ohnehin nicht mehr glauben, dass ein Referendum mehr als ein Warnschuss ist. Warnschüsse aber flogen uns in letzter Zeit sehr viele um die Ohren. Wir sind aufgewachsen mit der Erinnerung an den Fall der Berliner Mauer, mit dem Versprechen, dass Grenzen zwischen den europäischen Staaten eine Sache der Vergangenheit sind. Um dieses Versprechen fühlen wir uns betrogen.

Am Tag nach dem Brexit sehen wir in den Social-Media-Kanälen dreierlei: einen grinsenden Nigel Farage, dessen politischer Narzissmus Großbritannien über Nacht geschrottet hat; einen betretenen David Cameron, der ein Referendum für ein hochspekulatives Machtspiel instrumentalisiert hat und gescheitert ist. Und ich sehe junge Briten, die fassungslos in Handykameras sprechen und die Älteren fragen: Warum habt ihr unsere Zukunft abgewählt?

Aber warum fragen sie, warum fragen wir erst jetzt?

Cameron trat noch am Tag der Brexit-Entscheidung zurück. Ebenso hätten Jean-Claude Juncker und Martin Schulz zurücktreten müssen. Sie sind mit der von ihnen maßgeblich gestalteten EU-Politik in drei relevanten Punkten gescheitert. Sie haben keine Idee mehr zur EU etablieren können, die über eine rein ökonomische hinausging, wobei diese Ökonomieerzählung oft mehr nach Schwarzer Pädagogik als nach Gemeinwohl klang. Sie haben aufgrund ihrer Kommunikationsmisere, aber auch aufgrund einer erschreckend stabilen Reformträgheit innerhalb der Institutionen den Glauben an die Legitimation der EU bei vielen Wählern schwinden lassen. Sie haben last but not least keine überzeugenden Antworten präsentiert auf die drängenden gesellschaftlichen Fragen, ob dies die griechische Schuldenkrise, die steigende Migration oder die zunehmend antidemokratischen Tendenzen, in einigen der Mitgliedsstaaten wie Polen oder Ungarn sogar mit Regierungsauftrag, waren.

Social-Media ist nicht alles

Nicht zuletzt sind wir wütend auch auf uns selbst, auf unsere Generation, die nach 1980 Geborenen. Dieses Europa, das Europa der offenen Grenzen, ist unser Europa. Anders als Cameron können wir nicht zurücktreten und die Verantwortung unseren Nachfolgern überlassen. Unsere Nachfolger sind unsere Kinder. Diese Kinder werden uns fragen, wo wir waren, als die Populisten das europäische Projekt zugrunde gerichtet haben. Was werden wir ihnen dann antworten? Dass wir uns damals nicht erwachsen genug gefühlt haben? Dass wir zu sehr mit unserer Selbstverwirklichung beschäftigt waren? Dass wir keine Zeit hatten, weil wir Kätzchenbilder in den sozialen Netzwerken anschauen mussten?

Sicher, die rechten Populisten schöpfen den Zorn derjenigen ab, die durch Globalisierung und Digitalisierung abgehängt werden. Sie machen sich die Ängste derjenigen zunutze, die sich in einer unter dem zunehmenden Druck beschleunigten Welt nicht mehr zurechtfinden und die sich daher nach Ordnung und Orientierung sehnen. Aber sie profitieren auch von der Trägheit unserer Generation. Angesichts des Rechtsrucks, den wir in unseren Demokratien erleben, reicht es nicht, hier und da einen Artikel in den Social-Media-Kanälen zu teilen. Es ist unsere Aufgabe, die Verantwortung zu übernehmen für eine menschenwürdige Politik und eine menschenwürdige Wirtschaft.

Vor allem ist es an uns, den ängstlichen Narrativen der Rechtspopulisten eine neue europäische Erzählung entgegenzusetzen. Die Generation vor uns zeigt gerade, nicht geschlossen, aber doch zu großen Teilen, dass sie es nicht mehr kann oder nicht mehr will. Ihr Verdienst ist es, die europäische Einigung nach 1990 vorangetrieben zu haben, doch nun erscheinen sie uns oft in Selbstgenügsamkeit oder Spott zu verharren. Die Antwort auf die Frage danach, was Europa im 21. Jahrhundert sein soll, müssen wir uns selbst geben.

Autorin und Autor

Nora Bossong (34) ist Schriftstellerin. Zuletzt erschien ihr Roman „36,9°“ (Hanser).

Aljoscha Brell (35) ist Schriftsteller. 2015 debütierte er mit dem Roman „Kress“ (Ullstein).

Was wir derzeit um uns herum vor allem wahrnehmen, sind Zynismus und Populismus, und das eine ist kaum erträglicher als das andere. Wir sind auf einem guten Weg, die Demokratie durch leichtfertige Instrumentalisierung zu verramschen, Wohlstand und Gemeinwohl zu verjubeln und die europäische Zukunft zu renatio­nalisieren. Das ist nicht die Gesellschaft, in der wir leben wollen, und das sagen wir im Wissen darum, dass wir vor über dreißig Jahren in eine Weltregion hineingeboren wurden, die wie kaum eine zweite privilegiert ist oder war mit Chancen für unsere Generation auf Freiheit, Frieden und Verantwortung. Wie kann es sein, das all das nun auf dem Spiel steht?

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38 Kommentare

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  • "Cameron trat noch am Tag der Brexit-Entscheidung zurück. Ebenso hätten Jean-Claude Juncker und Martin Schulz zurücktreten müssen."

     

    Das ist die These, dass Politik in Amt und Würden mit Verantwortlichkeit eiher geht. Das ist aber nur die Theorie, die Praxis sieht anders aus. Und die nach 1980er haben rationale Gründe, Distanz zur Politik zu halten. Allen voran solche Politiker wie Gerhard Schröder und Angela Merkel ersticken die Menschen mit Alternativlosigkeit und einem extremen Mange an echten Werten. Wie kann sich jemand, der 1998 geboren wurde, politisch orieniteren? Wohin und warum? Die Linke ist die alternative Partei in Deutschland und im Ergebnis wird sie von allen Parteien isoliert und ignoriert. Die Ideen, für mehr soziale Gerechtigkeit einzutreten, wurden in der Geschichte der BRD noch nie so effektiv erstickt, wie jetzt. Da hilft nur die Ich-AG, der Ein-Mann-Hilf-Dir-Selbst-Club, w e i l er funktioniert. Die Jusos, Julis, SPD, CDU, CSU, Grüne, AfD und wie diese bürgerlichen Parteien heißen oder sich nennen, bieten nur Karrierismus an. Wer soll solche Angebote annehmen? Und vor allem warum? Um in einem Landkreis in einem Ortsverein zu sein? Oder in einem städtischen Viertel mit lauter Beamten am Abend am Tresen zu stehen? Ich würde nicht Schuld bei Menschen suchen, die nach 1980 geboren sind, genausowenig sind die vor 1979er tolle Leute. Das sind willkürliche Grenzen, aber handfeste Bewertungen und die kann ich nicht teilen.

  • 1949 wurde ich in einer Holzbaracke eingeschult. Auf dem Heimweg, zu Fuß, zwischen zerbombten Häusern überlegte ich, wie schön wir wohl leben würden, wenn der Krieg nicht gewesen wäre.

    Seit dem Ende des 2. Weltkrieges wächst der Wohlstand in den Ländern der Europäischen Union beständig. Für die reichen Kapitalanleger leider viel schneller als für die Mehrheit der erwerbstätigen, produzierenden Bürger. Im Londoner Bankenviertel leben die Spekulanten schon im Zeitalter der "Finanzialisierung" (nach der "Industrialisierung"). Die Reichen tun, was ihnen die Regierungen erlauben.

    Leider hat die eine Hälfte der englischen Bevölkerung die Kriege bereits vergessen und hält die EU-Bürokraten für den Grund ihrer bescheidenen sozialen Fortschritte, statt sich die Einkommens- und Vermögensverteilung im eigenen Land anzusehen und viel der Jüngeren haben vermutlich geglaubt, dass dieser Brexit-Unsinn schon keine Mehrheit finden würde. Falsch gedacht, und die einfachen Leute den Gestrigen und Abstaubern überlassen, wie wir im Fall „Pegida“, statt mit den Verunsicherten zu reden.

    Auf die EU warten im Osten ungeduldige Beitrittswillige, Kooperationspartner und Friedensbereite bis nach Istanbul und Moskau. Hoffentlich werden bis zum Brexitvollzug weitere Engländer und Festlandeuropäer noch rechtzeitig aufwachen und die sich für die Weiterentwicklung der Vereinigung Europas einsetzen. Vielleicht wird ja der Vorschlag für eine „Scheidung mit weiterem Zusammenleben in der gleichen Wohnung“ doch noch als „Dummes Zeug“ erkannt. H.R.

  • Herrlich wie die Eliten (Reichen) Jeden gegen Jeden ausspielen :-)

     

    Die Menschheit hat total versagt!!

     

    Im übrigen basieren dies unerträglichen Zustände Heute auf den Eltern der Jugend auf!! Da diese immer die selben Parteien wählten bzw. sich nie wirklich für Politik in den letzten 24 Jahren interessierten!

     

    Das mit dem Wegfall des Ostblocks sich der Kapitalismus wieder in den Faschismus wandeln wird, hatte anscheinend keiner für möglich gehalten. Zumal zuviel Spielgeld im System vorhanden ist. DAS GRUNDÜBEL für die Spaltungen der Gesellschaft!!

     

    Und eine Gesellschaft, die sich entsolidarisiert ,wird zwangsläufig untergehen und im schlimmsten Falle im Bürgerkrieg enden!

     

    Hochkulturen sind IMMER untergegangen. Dank Dummheit der Menschen!

  • "Eine Idee wird dann zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen ergreift"

    W.I. Uljanow - Lenin

    Der Idee ist es egal, wer sie gebiert und wer sich darum bemüht, dass sie die Massen ergreift. Wenn sie es denn aber tut, dann geht es los - nach hinten oder nach vorn.

    Also, liebe "Spätgeborene", kümmert Euch um die Ideen, besser noch, kreiert selbst welche und lasst sie die Massen ergreifen. Massengejammere hat noch nie etwas bewirkt, außer Schallschutz.

  • ...noch einmal: der Brexit wird NICHT kommen. Großbritannien wird ihn formal nicht erklären. Die EU wird Großbritannien nicht ausschließen. Vielleicht zerfällt Großbritannien als einheitlicher Staat. Aber einen Brexit wird es NICHT geben. Niemand möchte ihn. Das britische Establishment möchte ihn nicht. Die EU möchte ihn nicht. Der Brexit wird NICHT kommen.

    • @Der Alleswisser:

      Niemand hat die Absicht, die EU zu verlassen...

  • 6G
    65522 (Profil gelöscht)

    Abgesehen von der Verallgemeinerung "unsere Generation" ,die schon etwas anmaßend ist, habe ich in der öffentlichen Wahrnehmung noch nie eine am unwesentlichen so kritische und von dem Gedanken "man gehöre dazu" getragene Generation an intelligenten erfolgreichen und karriere geilen jungen Menschen erlebt.

    Nach dem aufwachen ist aber immer noch Zeit für die Aufarbeitung der Frage - Wie konnte das geschehen?-. Wahrscheinlich findet sich irgendein größenwahnsinniger Verrückter für die Unschuld der Wasserträger.

  • und ?

    wo war die generation der nach-80er, als es hiess an die wahl urne ?

    zu sehr mit sich selbst beschäftigt und zu faul seiner stimme gewicht zu verleihen !

    das ist doch die wahrheit !

  • Zur "veramschten Demokratie, Wohlstand und Gemeinwohl" meint aber die Linke in ihrem programm, dass diese erst für die EU umgesetzt werden müssen, also nicht existieren: "Die Europäische Union muss zu einer tatsächlich demokratischen, sozialen, ökologischen und friedlichen Union werden. " (https://www.die-linke.de/partei/dokumente/programm-der-partei-die-linke/iv5-wie-wollen-wir-die-europaeische-union-grundlegend-umgestalten-demokratie-sozialstaatlichkeit-oekologie-und-frieden/)

  • 6G
    6474 (Profil gelöscht)

    ich bin auch ein nach 1980 geborener und mich nervt gerade alles nur noch an.

     

    von welcher generation ist die rede? wir sind eine nicht-generation die sich selbst nicht versteht und mit der ich genausviele gemeinsamkeiten finde, wie mit manch einem Ü40 jährigen. solche tragisch-dramtischen artikel zur selbstgeiselung sind doch nur selbstzweck. niemand weckt "unsere" generation damit auf indem er/sie immer den selben blödsinn von "süßen katzenbildchen auf facebook" erzählt, die mich persönlich noch nie interessiert haben.

    genauso brauche ich mir nicht vorwerfen zu lassen ich hätte den konflikt und die ausseinadersetzung mit den älteren kleingeistern vermieden.

     

    wofür soll ich aufstehen? für easy-jet reisen von berlin nach london oder vielleicht doch für den kommunismus?

    wahrscheinlich hätte ich als junger brite für den verbleib in der EU gestimmt, kann aber auch jeden verstehen der sich seiner nicht-wahl enthalten hat. warum? nur mal angenommen die EU-befürworter hätten mit 60 prozent gewonnen. das wäre für die EU eine bestätigung gewesen so zu bleiben wie sie ist-nämlich korrupt und ungerecht.

    das war eine wahl für unterdrückte schafe zwischen wolf und ungerechtem schäfer. die briten haben den wolf gewählt um den schäfer zu demütigen, aber freiheit stand nicht zur debatte.

  • 6G
    628 (Profil gelöscht)

    "In einem Europa, in dem wir in kaum zwei Stunden von Berlin nach London fliegen, in dem die Menschen, die wir lieben, über den ganzen Kontinent verteilt leben, wo wir nächtelang mit Freunden aus Spanien, Frankreich, Polen oder Ungarn lachen und trinken und hinterher kaum mehr wissen, welche Sprache dabei gesprochen wurde(...) "

    Das mag ja den Erfahrungen der Autoren entsprechen. Aber wie viele Prozent der Menschen teilen diese Erfahrungen? Es ist auch in der jungen Generation eine Minderheit. Und ein Problem von heute ist, dass jeder seine persönlichen Erfahrungen zum Maßstab aller Dinge machen will, was zwangsläufig zu falschen Schlussfolgerungen führt.

    Vielleicht sollte man in Zukunft verstärkt Auszubildenden, und nicht nur Studierenden, die Möglichkeit geben, Zeit im Ausland zu verbringen. Wenn sich alles nur noch um die Hoch- und Höchstqualifizierten dreht, und kein Durchschnittsmensch die Chance bekommt, von den Möglichkeiten der EU zu profitieren, braucht man sich über das Ergebnis vom letzten Freitag nicht zu wundern.

  • 3G
    34997 (Profil gelöscht)

    Dies ist mein erster Online-Kommentar seit März 2012 und ich weiß bereits jetzt: ich werde ihn bereuen.

     

    "Diese Kinder werden uns fragen, wo wir waren, als die Populisten das europäische Projekt zugrunde gerichtet haben“

     

    Ich würde den Kindern antworten:

    Ich begann 2014, eine Diss zur "Jungen Alternative" zu schreiben. Ich führte zu diesem Zweck Interviews mit JA-Mitgliedern und nahm an deren Stammtischen beobachtend teil. Politische Organisationen oder Bündnisse juckten meine Befunde nicht. Ich bekam kein Feedback von "Aufstehen gegen Rassismus" für einen Text, in dem ich die Ergebnisse meines Forschungsprojektes darstelle und Strategien gegen AfD und Co. vorschlage. Dasselbe galt für linke Netzwerke, in denen ich selbst lange aktiv war sowie für bestimmte Jugendverbände, Parteien oder die Presse. Der Friedrich-Ebert-Stiftung wiederum war meine Diss keine Förderung wert - offenbar wurden andere Themen als wichtiger eingeschätzt. In den Jahren 2012-2013 verfasste ich die Novelle "Weil sie wach waren", in denen ich ein von RechtspopulistInnen dominiertes Europa skizzierte, das sich einem liberal-autoritären Regime verschrieben hat. Das Manuskript versuchte ich auch unterzubringen - es stieß auf null Interesse.

     

    Engagement interessiert keinen. Politischer Einsatz wird deshalb oft zu der Selbstbespaßung, die in obigem Artikel moniert wird. Wir leben in einer Abstiegsgesellschaft (Nachtwey), die unsere Qualifikationen und Aspirationen entwertet. Von jungen Menschen, deren Potenziale nicht gewürdigt werden und deren Einfluss eh gleich null ist, ein zweites "1968" zu erwarten, kann nur als zynischer Idealismus (oder besser: idealistischer Zynismus?) bezeichnet werden. Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Oder: die gesellschaftliche "Hardware" (gibt es Arbeitsplätze? Gibt es Perspektiven?) bestimmt, was viele junge Menschen an (idealistischer) Software einzubringen bereit sind. Kurz: ich finde Ihren Artikel richtig, richtig schlecht.

  • Als 70 Geborener, Arbeiter in Dreierschicht (Metallverarbeitung, Schuddlerjob) geb ich mal meinen Senf dazu. Ich finde es falsch auf die ab 80-Generation loszugehen. Diese Generation empfinde ich als befreit von einigem Ballast. Als ich geboren wurde war 45 gerade 25 Jahre her. Als Kind kamen mir die Schwarzweißbilder wie aus einer völlig anderen Zeit vor - gefühlt 100 Jahre. Heute denke ich: 25 Jahre, was ist das schon? Wir waren noch nah dran. Im Gegensatz zu den ab 80ern hatte die breite Masse der Jungen noch Kontakt zur Generation 3. Reich. Es wurde viel geplaudert, es gab den Kalten Krieg, alles war politischer, vielleicht auch engagierter. Die ab 80er wuchsen mehr in eine Welt, frei von dem Ballast drumherum. Für sie gab es nicht "die Gründe" politisch zu werden. Die 90er gaben mir, wie wohl vielen, anfangs ein Freiheitsgefühl. Spätestens ab 9/11 und seinen Folgen, war das vorbei. An den ab 80 oder ab 90 ging das in der Masse vorbei: die Angst etwas zu verlieren. Heute hat die EU immense Probleme. Die Menschen verstehen "die da oben" nicht mehr. Ein Gefühl der Sinnlosigkeit, mit denen da oben zu reden. Geschaffen hat das aber nicht die Generation ab 80. Es war die Babyboomer-Generation. Wenn Frau Nahles heute beschließt dass Alleinerziehenden Müttern Hartz gekürzt werden soll, wenn die Kleinen beim Papi sind, verstehe ich als Schuddler die Welt nicht mehr. Vor allem: keine Sau von denen da oben (Medien, auch linke) interessiert es. Das ist halt kein sexy Thema für Linke. Wer wunder t sich da noch?

    • 6G
      628 (Profil gelöscht)
      @Haut's das Blech weg:

      Volle Zustimmung zu ihrem Beitrag.

       

      " Vor allem: keine Sau von denen da oben (Medien, auch linke) interessiert es. Das ist halt kein sexy Thema für Linke."

      Das Problem ist meiner bescheidenen Meinung nach unter anderem darin zu suchen, dass die Linke zum großen Teil mit der Zurschaustellung ihrer Toleranz und Weltoffenheit beschäftigt ist. Die Probleme der sog. kleinen Leute werden darüber völlig vergessen.

      Inzwischen geht sogar Angela Merkel als Linke durch. Ich denke, diese Tatsache belegt das Versagen der Linken in den letzten Jahren ziemlich deutlich.

      • @628 (Profil gelöscht):

        Sie arbeitet heute noch dort. Die 7.50/h wurden wohl gesetzlich aufgestockt. Keine Ahnung was sie heute verdient. Medial bestimmt ein Einzelfall, wie damals die Kik-Frauen...Auch sie ist alleinerziehend. Und jeder der mal Family hatte weiß, was das bedeutet. Aber family ist ja auch irgendwie oldschool, unsexy und keiner Lobby wert. Klar, uns geht's noch vergleichsweise gut. Wir müssen nicht hunderte Kilometer fahren, unsere Familie nicht sehen, wie z.B die Tschechen Jungs, die auf Zeitarbeit in dem Betrieb wo ich tätig bin, arbeiten (sehr gute Arbeiter übrigens). Unsere deutschen Zeitarbeiter + eingesessene Migranten werden in der Regel "vor Ort" +-100 km in Deutschland beschäftigt. Na prima. Das sind halt die Dinge, die "die da unten" beschäftigen und bei denen da oben nichts mehr finden, was sie noch anturnt. Man kann gar nicht mehr planen, Häusle irgendwas, da man nicht weiß ob und wenn ja , wohin und wie lange es einen +-100 km die nächste Zeit hinführt. Zum Glück muss ich das nicht ertragen. Praktisch für Arbeitgeber: fehlen Aufträge, kickt man einfach paar Leiharbeiter... Politiker können das nicht nachempfinden. Man hält privat "Vorträge", kassiert für 2h 20000 Flocken, ein Arbeiterjahreslohn...schon klar. Insofern: kein Vorwurf. Das sind eben Parallelwelten.

        • 6G
          628 (Profil gelöscht)
          @Haut's das Blech weg:

          Meine Schwester ist ebenfalls alleinerziehend. Leider gehen Alleinerziehende mit Kind in unserer Gesellschaft nicht als Familie durch. Wenn man die finanzielle Benachteiligung dieser Menschen gegenüber kinderlosen Ehepaaren vergleicht, wird einem schlecht. Alleinerziehende, sofern sie überhaupt einen Job haben, können in den seltensten Fällen deutlich über Hartz-IV-Niveau leben, haben immer noch massive Probleme mit der Betreuung des Kindes etc. Eigentlich ein klassisches Thema für Linke oder auch Feministen. Aber die bewegen sich inzwischen in anderen Sphären, wo Gendering und sonstige intellektuelle Spielereien einen höheren Stellenwert genießen. So zumindest mein Eindruck.

          Ich persönlich halte die aktuelle Rechtsentwicklung zwar für grundfalsch und brandgefährlich. Ich muss aber gestehen, dass mich diese Entwicklung immer weniger verwundert.

          • @628 (Profil gelöscht):

            Es ist klar, dass das Establishment für alles verantwortlich gemacht wird. Und das Establishment besteht aus sog. Linken, Liberalen und Konservativen. Nicht aus Leuten, die öffentlich rechts auftreten. Völlig klar, dass Rechte im Sinne "haben wir immer gesagt" profitieren. Wären sie Teil des Establishments, würden sie genauso verantwortlich gemacht werden. Eine echte rechte Welt, so wie man das begreift, etwa "Deutschland den Deutschen" ist heute doch unrealistisch. Nur mit Krieg und Gewalt wäre das möglich umzusetzen. Anderseits sind diese Superstaatschwärmereien die einige haben auch unrealistisch. Wir leben nun mal in Europa und das ist bunt, weil es verschiedene Völker und Nationen gibt. Wir Deutschen haben ein Problem mit uns bzgl. Patriotismus. Andere haben das halt überhaupt nicht. Viele Türken in meiner Arbeit mögen Deutschland, haben einen deutschen Pass. Aber sie sind Türke, wenn man sie fragt. Und so Antworten auch Tschechen, Slowaken, Griechen, Italiener usw. Was soll daran falsch sein? Viele Linke dichten dem sofort Nationalismus an. Zur Zeit, EM, was wäre das ohne Nationen, Volksgruppen, teils auch gemischt, die gegeneinander antreten? Nichts. Wer geht nicht gerne zum Italiener essen. Und im Ausland sind deutsche Waren "Made in Germany" oft heiß begehrt und werden mit Stolz vorgeführt. Wir Deutschen haben lieber was, was nicht deutsch klingt :-). Also was soll das immer damit das alles aufzugeben? Die Menschen hängen halt dran, sie identifizieren sich damit, wie Kleinkinder naturgemäß an den Eltern hängen. Ja und?

            • @Haut's das Blech weg:

              "Und das Establishment besteht aus sog. Linken, Liberalen und Konservativen. Nicht aus Leuten, die öffentlich rechts auftreten."

               

              Ach, so läuft der Hase. Gebt Pegida das Komamndo, oder was?

      • @628 (Profil gelöscht):

        Als jemand der damals Rot-Grün wählte - um Kohl endlich abzulösen- sage ich: es war ein Schock (Jugoslawien, Hartz usw.). Ich weiß nicht was das Linke noch ist. Parteipolitisch für mich nicht mehr als eine Etikette. Wenn ich linke Medien lese. Was soll das noch. Der Proletarier war das einfache Volk, der kleine Mann. Früher Dreh- und Angelpunkt. Heute gibt's verächtliche Kolumnen "die dummen Weißen" oder wie das heißt. Der kleine Mann, die Arbeiter, werden als Mob eher verachtet, das schimmert durch. Mit sowas gibt sich der Besserwisser nicht mehr ab, das hat man nicht mehr nötig. Irgendwie schade. Meine Exfrau hatte nach der Schwangerschaft 3 Jahre riesige Probleme eine Arbeit zu finden, trotz Abi, Ausbildungsberuf und Studium. Nach xxx Bewerbungen nahm sie einen 400 € Job damals an. Für 7.50 die Stunde. Immerhin - sie war froh- übernahmen

  • Schade, dass Eure Billigflieger-Jet-Set-Parties drunter leiden. Immerhin dürften Natur und Klima ein wenig aufatmen, wenn nicht jedes Wochenende ganze Horden von Hipstern zwischen Wien und London, zwischen Berlin und Barcelona, zwischen Paris und Rom zum Bussi-Bussi-Geben pendeln.

  • 3G
    32795 (Profil gelöscht)

    Liebes Autor*innenteam,

     

    diese Analyse ist bezogen auf die Situation in D eine vollkommene Verirrung.

     

    Die Wähleranalysen zeigen, dass eben die jungen Wähler überproportional die AfD wählen. Das Abstimmungsverhalten im Falle des Brexits auf die Situation in D zu übertragen ist vollkommen falsch.

     

    Ich frage mich was da schief gelaufen ist. Eben jene die mit Multikulti und einem grenzenlosen Europa aufgewachsen sind wenden sich ab. Wieso? Das ist die Frage die Ihre Generation zuerst einmal beantworten muß.

     

    Im Übrigen ist dieser Trend in gamz Europa zu beobachten. Ich stelle jetzt hier einmal eine Vermutung in den Raum, wären sehr viel mehr junge Briten zur Abstimmung gegeangen, dann wäre das Ergebniss noch deutlicher ausgefallen. Könnte das zutreffen?

    • 1G
      10236 (Profil gelöscht)
      @32795 (Profil gelöscht):

      "Ich stelle jetzt hier einmal eine Vermutung in den Raum, wären sehr viel mehr junge Briten zur Abstimmung gegeangen, dann wäre das Ergebniss noch deutlicher ausgefallen. Könnte das zutreffen?"

       

      Nein. Grob gesagt haben die Jungen, die Gebildeten und die Gutverdienenden für "Remain" gestimmt. Und zwar deutlich: Ich stelle jetzt hier einmal eine Vermutung in den Raum, wären sehr viel mehr junge Briten zur Abstimmung gegeangen, dann wäre das Ergebniss noch deutlicher ausgefallen. Könnte das zutreffen?

       

      Die Frage ist: liegt es daran, weil die anderen (älter, shlechterverdienend) dumm, ungebildet und unwissend sin oder bloß mehr von den Veränderungen der letzten Jahrzehnte betroffen?

      • @10236 (Profil gelöscht):

        Dieser Punkt stösst mir schon die letzten Tage sauer auf, die TAZ ist ja nicht die einzige Zeitung in der groß über die bösen Alten und die guten Jungen in GB diskutiert wird.

         

        Wie kommt man eigentlich darauf, dass nur weil in der Abstimmung die jungen Menschen gegen den Brexit gestimmt haben, die jungen Menschen die nicht zu Wahl gegangen sind ebenfalls gegen den Brexit gestimmt hätten? Das Alter ist ja die einzige Korrelation zwischen den Gruppen, nicht jeder junge ist ja gebildet,weltoffen und gutverdienend.

         

        Das ca. auf dem argumentativen Niveau von puren Vorurteilen.

        • 1G
          10236 (Profil gelöscht)
          @Krähenauge:

          "Das Alter ist ja die einzige Korrelation zwischen den Gruppen, nicht jeder junge ist ja gebildet,weltoffen und gutverdienend."

           

          Nun, es gibt eine eindeutige Korrelation in der Gruppe, die abgestimmt hat: http://ichef.bbci.co.uk/news/624/cpsprodpb/15372/production/_90089868_eu_ref_uk_regions_leave_remain_gra624_by_age.png

           

          Dass die Jungen unter den Urnengängern unterrepräsentiert waren, ist Fakt. Dass sie, im Unterschied zu den Nichtwählern, überdurchschnittlich "Remain" abgestimmt hatten, Spekulation, die statistisch eher unwahrscheinlich ist.

  • Kommentar vom eu-präsidenten bei einer Sitzung der EU Tage nachdem Briten ausstieg zu cameron : warum sitzen sie eigentlich noch hier !

    Der EU kann es nicht vertauen, das die Mehrheit der britischen Bevölkerung gegen die EU sich ausgesprochen.

    Ich kann nur sagen: armes Zeugnis für den europäischen Kader

    • @Doma69 :

      Falsch, das war nicht zu Cameron (der ja wohl lieber in der EU geblieben wäre), das war eine - rhetorische - persönliche Frage an Nigel Farage und als solche durchaus berechtigt.

  • Warum soll es den zwanghaften Smombie Starrern anders ergehen als "Hans guck in die Luft"?

  • Und es erfolgt der Aufruf zum Gebet:

     

    Brexit unser!

     

    usw.usw......

  • Nicht die Populisten haben das europäische Projekt zugrundegerichtet, sondern Politiker wie Juncker, Schulz, Merkel, Schäuble - wie Sie selbst korrekt schreiben.

    Die Populisten versetzen ihm nur den Gnadenschuss.

  • "den ängstlichen Narrativen der Rechtspopulisten eine neue europäische Erzählung entgegenzusetzen"

    ist nicht die Aufgabe von Leuten, mit denen ich etwas zu tun haben möchte.

    Eine ehrenvolle Aufgabe wäre es, die alte Erzählung (Teilhabe, Freiheit, Solidarität, Frieden etc.) Realität werden zu lassen. (Leider steht dem die aktuelle EU entgegen.)

    Natürlich haben die Rechtspopulisten Europa nicht zugrunde gerichtet. Das haben Schröder, Blair, Merkel und Juncker getan. Das scheinen die Verfasser auch irgendwie zu ahnen. Allein die Gewichtung im Artikel liegt doch mehr beim elitären "wir sind schlauer als die Rechten". Das Bewusstsein, dass nicht alle gleich viel von Europa profitieren bzw. darunter leiden, ist noch längst nicht so weit verbreitet, wie es sollte.

  • Danke. Das war mal ein richtig guter Kommentar. Leider sind die meisten denen das zwischen die Ohren gehämmert gehört, mit großer Wahrscheinlichkeit nicht im Besitz der taz, geschweige denn das sie überhaupt bekannt wäre.

     

    Die Generation nach 1980 ist zu großen Teilen politisch noch nichtmal aus den Windeln raus. Sie versteht nicht das Demokratie immer ein Kompromiss ist, sie versteht nicht das wem alles egal ist auch selbst allen egal sein wird, und sie kapiert nicht das es deren eigene Zukunft und die der eigenen Kinder ist die sie momentan gestalten. Gestalten könnten.

     

    Stattdessen gibts nur Facebook und Sorgen um Kinder und Tiere am Arsch der Welt. Vor der Tür ist uninteressant.

  • Zitat: "In einem Europa, in dem wir in kaum zwei Stunden von Berlin nach London fliegen, in dem die Menschen, die wir lieben, über den ganzen Kontinent verteilt leben, wo wir nächtelang mit Freunden aus Spanien, Frankreich, Polen oder Ungarn lachen und trinken und hinterher kaum mehr wissen, welche Sprache dabei gesprochen wurde"

     

    In welchen Kreisen muss man bitte verkehren, dass dies tatsächlich Normalität wäre? Für den von Ihnen beschriebene Vorgang haben wahrscheinlich 90% der Bevölkerung der EU überhaupt keine vergleichbaren Erfahrungen. Abseits vom Urlaub vielleicht, aber das hat nichts mit der EU zu tun.

    • @insLot:

      Der Kommentar der TAZ und Ihrer widerspricht sich nicht.

       

      Es sind genau die 10 % die so leben und das sind genau die die was ändern könnten aber eben nicht wollen.

       

      Die 90 % von denen Sie reden das sind die, die lokal leben und am WE ins Festzelt oder Fußballplatz gehen. Die sind aber meist nicht die Gestalter.

       

      Es geht darum die Leute die das können wieder anders zu fokussieren. (Blöd, dass das dann später die sog. Eliten sind auf die die LInken wieder schimpfen... aber das ist ein anderes Thema.)

      • 3G
        32795 (Profil gelöscht)
        @Tom Farmer:

        Nö, es geht darum die 90% (kommt mir bisschen viel vor) aus dem Festzelt mitzunehmen. Was bringt eine Veränderung wenn sie später durch ein Mehrheitsvotum wieder revidiert wird?

        • @32795 (Profil gelöscht):

          Ich bin so jugendlich optimistisch zu glauben, dass wenn die 3 oder 10 % der aktiven Leute ne gute Politik machen die eben nicht von den anderen 90 % abgewählt wird.

          Bei schechter Politik ist es natürich anders... :-)

    • @insLot:

      2014 haben 650 000 Studierende in Europa am Erasmus-Austauschprogramm teilgenommen..internationaler Austausch ist fast zur Normalität im curriculum eines Studierenden geworden..dank der EU! ..ich denke nicht, dass man hier von abgehobenen Eliten sprechen kann.