Reaktionen auf Koalitionsvertrag: „Einigung mit Licht und Schatten“
Bei Gewerkschaften, Sozialverbänden und Linkspartei stößt das Kapitel Arbeit und Soziales im schwarz-roten Koalitionsvertrag auf gemischte Reaktionen.

Die schwarz-rote Vereinbarung enthalte „kluge und vernünftige Pläne, um die Wirtschaft anzukurbeln und Arbeitsplätze zu sichern“, lobte die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi. Die Umsetzung werde der DGB „kritisch begleiten“. Von einer „Einigung mit Licht und Schatten“ sprach Joachim Rock, der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. Kräftig aus teilte die Linkspartei-Vorsitzende Ines Schwerdtner: „Komplett mutlos, phantasielos und ohne sozialen Kompass präsentiert sich hier diese Koalition der Ignoranz und der Hoffnungslosigkeit.“
Was die Gewerkschaften freut: Dass jetzt endlich das bereits von der Ampel vereinbarte, aber von der FDP hintertriebene Bundestariftreuegesetz auf den Weg gebracht werden soll. Gelten soll es für Vergaben auf Bundesebene ab 50.000 Euro und für Start-ups mit innovativen Leistungen in den ersten vier Jahren nach ihrer Gründung ab 100.000 Euro.
Mit diesem Gesetz soll verhindert werden, dass Firmen, die mittels Lohndumping ihre Preise senken können, bevorteilt sind gegenüber Unternehmen, die tarifliche Löhne und Gehälter zahlen. „Maßnahmen wie das Bundestariftreuegesetz oder die steuerliche Absetzbarkeit von Gewerkschaftsbeiträgen sind zentrale Hebel für mehr Tarifbindung in Deutschland und damit für fairere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen“, sagte dazu DGB-Chefin Fahimi.
Mit der „neuen Grundsicherung“ zurück zu Hartz IV
Am 9. April 2025 hat Schwarz-Rot die Koalitionsverhandlungen abgeschlossen. Den Koalitionsvertrag zwischen SPD, CDU und CSU für die 21. Legislaturperiode finden Sie
Ebenfalls auf Zustimmung der Gewerkschaften trifft, dass ein weiteres Vorhaben, das bei der Ampelkoalition liegengeblieben ist, jetzt umgesetzt werden soll: Betriebsratssitzungen und Betriebsversammlungen sollen künftig auch online zulässig sein. Auch soll die Option, den Betriebsrat online zu wählen, im Betriebsverfassungsgesetz verankert werden.
Mit großer Skepsis blicken die Gewerkschaften hingegen auf die Absicht der neuen Koalition, „die Möglichkeit einer wöchentlichen anstatt einer täglichen Höchstarbeitszeit“ zu schaffen. Sie könne die künftige Bundesregierung nur vor „Beliebigkeit und Aktionismus bei der Änderung des Arbeitszeitgesetzes“ warnen, kommentierte Fahimi diesen Plan.
Noch deutlicher formulierte es der Verdi-Chef Frank Werneke: „Das Arbeitszeitgesetz schützt Menschen, die ohnehin unter prekären Bedingungen arbeiten müssen – deshalb darf es nicht ausgehöhlt werden.“ Daher seien die geplanten Änderungen „nicht akzeptabel“ und „absolut kontraproduktiv“.
Dem Paritätischen-Hauptgeschäftsführer Joachim Rock stößt besonders die geplante Umgestaltung des „Bürgergelds“ hin zu einer „neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende“ auf. De facto bedeutet das eine Rückkehr zum alten repressiveren Hartz IV-Modell. So sollen die „Mitwirkungspflichten und Sanktionen im Sinne des Prinzips Fördern und Fordern“ verschärft werden.
Dazu zählt, dass „Menschen, die arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit verweigern“, vollständig die Leistungen entzogen werden soll. Wie das vereinbar sein soll mit dem Bekenntnis, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu beachten, bleibt unklar. Außerdem soll die Karenzzeit für Vermögen abgeschafft werden und die Höhe des Schonvermögens „an die Lebensleistung“ gekoppelt werden.
„Die Rückabwicklung des Bürgergeldes, die Wiedereinführung des Vermittlungsvorrangs und die Verschärfung der Sanktionen gehen zu Lasten besonders benachteiligter Menschen“, kritisierte Rock. Auch Verdi-Chef Werneke hält den geplanten Vermittlungsvorrang bei der Bundesagentur für Arbeit für falsch. „Das erhöht den Druck auf Arbeitslose, jegliche Arbeit anzunehmen, wirkt sich negativ auf die Löhne aus und unterläuft die Bemühungen, über mehr Ausbildung und Qualifikation Einkommen zu stabilisieren und Arbeitsplätze langfristig aufzuwerten“, konstatierte er.
Dass man bei Union und SPD so tue, „als seien die Betroffenen allesamt Arbeitsverweigerer, ist Sozialdemagogie von der schlimmsten Sorte“, sagte Linken-Chefin Schwerdtner der taz. Es sei „verantwortungslos, jetzt wieder Totalsanktionen einführen zu wollen, obwohl das Bundesverfassungsgericht eindeutig entschieden hat, dass Menschen nicht unter das Existenzminimum fallen dürfen“. Allerdings überrasche es sie nicht, „dass Union und SPD nun Erwerbslose drangsalieren wollen, aber gleichzeitig nicht den Mut haben, die Reichen stärker zu besteuern“, so Schwerdtner.
„Aktivrente“, „Mütterrente“ und „Frühstart-Rente“
Bei der Rente versichern CDU, CSU und SPD, dass deren Niveau bei 48 Prozent bis zum Jahr 2031 gesetzlich abgesichert bleibt. Auch soll ein abschlagsfreier Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren möglich bleiben. Um jedoch einen Anreiz für längeres Arbeiten zu schaffen, soll das Gehalt für Menschen, die das gesetzliche Rentenalter erreichen und freiwillig weiterarbeiten, bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei gestellt werden. „Aktivrente“ nennt das die neue Koalition. Wie von der CSU gefordert, soll die Mütterrente künftig unabhängig vom Geburtsjahr des Kindes gezahlt werden.
Die Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent und die Erweiterung der Mütterrente wertete Verena Bentele, die Präsidentin des Sozialverbands VdK, als „sehr positiv“. Dies seien „wichtige Schritte zur Verhinderung von Altersarmut“, sagte sie. Der Paritätischen-Hauptgeschäftsführer Rock sprach von „wichtigen, aber nicht ausreichenden Maßnahmen, um den Anstieg von Altersarmut zu bremsen“.
Darüber hinaus will die schwarz-rote Koalition Anfang kommenden Jahres eine „Frühstart-Rente“ einführen: Für jedes Kind vom sechsten bis zum 18. Lebensjahr sollen vom Staat pro Monat zehn Euro in ein individuelles, kapitalgedecktes und privatwirtschaftlich organisiertes Altersvorsorgedepot eingezahlt werden.
Der in dieser Zeit angesparte Betrag kann durch private Einzahlungen bis zu einem jährlichen Höchstbetrag weiter bespart werden, so der Plan. Die Erträge aus dem Depot sollen bis zum Renteneintritt steuerfrei sein und das Sparkapital soll vor staatlichem Zugriff geschützt sein. Ausgezahlt werden soll es mit Erreichen der Regelaltersgrenze.
Mindestlohnerhöhung ungewiss
Erstaunlich, dass weder die Gewerkschaften noch die Linkspartei in ihren Stellungnahmen darauf eingegangen sind, dass sich die Koalitionäre nicht auf eine verbindliche Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns von derzeit 12,82 Euro auf 15 Euro brutto pro Stunde verständigen konnten. Das hatten im Wahlkampf nicht nur der DGB, die Linkspartei und die Grünen gefordert, sondern auch die SPD.
Stattdessen verweist der Koalitionsvertrag jetzt auf die unabhängige Mindestlohnkommission, die sich für die weitere Entwicklung des Mindestlohns „im Rahmen einer Gesamtabwägung sowohl an der Tarifentwicklung als auch an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren“ soll. „Auf diesem Weg ist ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar“, schreiben die Koalitionäre blumig.
Ob es so kommen wird, hängt jedoch davon ab, ob sich nicht wieder die Arbeitgebervertreter:innen in der Kommission verweigern werden. Das ist jedoch derzeit noch völlig unklar. Bis Ende Juni muss das Gremium über die nächste Erhöhung entscheiden.
Viel unverbindliche Prosa
Ansonsten enthält das Kapitel „Arbeit und Soziales“ vor allem viel unverbindliche Prosa. „Wir stehen für hohe Standards im Arbeitsschutz“, ist da zu lesen. Praktisch beschränkt sich das darauf, „alle nötigen Instrumente des Arbeitsschutzes auf ihre Wirksamkeit prüfen“ zu wollen. Allzu große Erwartungen sollte auch nicht in die Aussage gesetzt werden: „Wir wollen Kinderarmut wirksam bekämpfen und Alleinerziehende entlasten.“ Denn dazu fällt den Koalitionären nicht viel mehr ein, als den Betrag des Bildungs- und Teilhabepakets von 15 auf 20 Euro zu erhöhen.
Das gilt ebenso für das Postulat: „Wir werden die Aufnahme einer Arbeit für Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verstärkt fördern.“ Es fehle „eine klare Verpflichtung, Barrieren in allen Lebensbereichen abzubauen und die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu stärken“, monierte der Co-Linksfraktionsvorsitzende Sören Pellmann.
VdK-Präsidentin Bentele kritisierte, dass die Ausgleichsabgabe für Schwerbehinderte künftig wieder in Werkstätten und in stationäre Einrichtungen fließen soll. Das sei „eindeutig ein Rückschritt“, so Bentele. Das Geld solle vielmehr direkt für die Inklusion in den ersten Arbeitsmarkt verwendet werden, forderte sie.
Enttäuscht zeigte sich der Linksparteiler Pellmann auch davon, dass im Koalitionsvertrag die Menschen mit ostdeutscher Biographie mit ein paar warmen Worten abgespeist würden. „Gebrochene Erwerbsbiografien und Abwanderung gehörten für viele Menschen zu den Folgen des Zusammenbruchs der maroden DDR-Wirtschaft nach 1990“, ist da bloß zu lesen – ohne jegliche praktische Konsequenz daraus.
Das schwarz-rote Papier sei „eine verpasste Chance, endlich den sozialen und wirtschaftlichen Rückstand zwischen Ost und West zu überwinden und die Lebensverhältnisse der Menschen in den neuen Bundesländern nachhaltig zu verbessern“, bemängelte Pellmann.
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