Rassistische WM-Tweets: Hass von der virtuellen Tribüne
Das WM-Spiel Deutschland gegen Ghana war ein rauschendes Fußballfest. Rassistische Kommentare bei Twitter trüben das Bild.
BERLIN taz | Götze hatte gerade das 1:0 gegen Ghana erzielt, als ein Flitzer das Spielfeld stürmte. In der Live-Berichterstattung wollte man dem Mann aus Polen keinen großen Raum geben. Und so entbrannte erst nach dem Spiel eine Diskussion über dessen Auftritt – vor allem über das, was er auf seinen Oberkörper geschrieben hatte.
Viele erkannten SS-Runen. Der Beschuldigte dementierte und sagte, es sei lediglich seine Telefonnummer gewesen. Bei den mutmaßlichen Runen habe es sich um zwei Vieren gehandelt. Auf den Rängen gab es weiteren Diskussionsbedarf: mehrere Fans mit schwarz bemalten Gesichtern sollen das Spiel verfolgt haben. Im Netz veröffentlichte Bilder legen diese Vermutung nahe. Die Fifa erwägt Ermittlungen einzuleiten. Zwei Fälle, die zeigen: Auf mögliche Diskriminierungen reagiert die Fußballwelt mittlerweile sensibel.
Rassismus im Stadion ist auch heute noch keine Seltenheit, wird jedoch meist rigoros geahndet. So wurden zwei argentinische Fans festgenommen, weil sie während des Spiels gegen Bosnien und Herzegowina rassistische Sprüche gegen Brasilianer grölten. Auf der virtuellen Tribüne der sozialen Netzwerke fehlen solche Sanktionen. Unter dem Deckmantel der scheinbaren Anonymität wimmelt es von rassistischen Äußerungen und diskriminierenden Kommentaren.
Hugo Kaufmann, Autor des Blogs Lichterkarussel, ist während des WM-Spiels Deutschland gegen Ghana auf einen Kommentar aufmerksam geworden. „Hoffentlich sterben paar Schwarze mitten auf dem Spielfeld an Aids“, schrieb ein vermutlich minderjähriges Mädchen. „Ich fand das schockierend, wenn auch nicht verwunderlich“, sagt Kaufmann. „Mich hat interessiert, ob es weitere Tweets in diese Richtung gibt.“
Auswahl rassistischer Äußerungen
Auf dem Blog, dessen Verfasser der linken Fanszene des FC St. Pauli nahestehen, hat er daraufhin eine Auswahl rassistischer Äußerungen während und nach dem Spiel der deutschen Nationalmannschaft zusammengetragen – eine Art Social-Media-Rassismus-Spiegel.
Die dort veröffentlichten Tweets sind eine Mischung aus Geschmacklosigkeit und Fremdenfeindlichkeit. Teilweise handelt es sich um vermeintlich harmlose Wortspiele: „Neuer sah heute öfter Schwarz, als ihm Lieb war!“. Andere Tweets sind offen rassistisch: „Eins muss ich den #Neger lassen, sie spielen doch sehr fair und Gut. Ich hasse sie förmlich!“
Alles Nazis? Nein, denn ein Blick auf die Tweet-Verläufe lässt vermuten, dass es sich nicht selten um Alltagsrassismus handelt. Beiläufig formulierte und oft gedankenlose Äußerungen, die retrospektiv mit Ironie und Satire entschuldigt und verharmlost werden.
Die Mehrheit lehnt das deutlich ab: Rassismus darf niemals unter einem „Man kann es nicht allen recht machen“-Motto laufen, so der Grundtenor der Kritiker. Zahlreiche User äußerten sich kritisch auf die diskriminierenden Beiträge, doch die Reaktionen nehmen zuweilen ebenfalls extreme Formen an. Mindestens zwei der Accounts erhielten Morddrohungen. In Folge des oben erwähnten Tweets, mit dem den ghanaischen Spielern der HI-Virus gewünscht wurde, entwickelte sich ein Shitstorm.
„Das kann nicht im Interesse unseres Blogs sein“, so Kaufmann. Er betont, Ziel sei gewesen, „rassistische Kommentare zu dokumentieren“. Mittlerweile wurden alle Screenshots anonymisiert und die Links zu den Tweets entfernt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen