Rassistische Ultras in Russland: Wasja, Artjom und die Schwarzen
Der harte Kern der Fans von Zenit St. Petersburg gilt als rassistisch und homophob. Unser Autor war mit zwei von ihnen in Leipzig unterwegs.
Am Dienstagabend spielt RB Leipzig bei Zenit St. Petersburg in der Champions League. Vor zwei Wochen haben die Leipziger mit 2:1 gewonnen. 2.000 Fans aus St. Petersburg waren in Leipzig. Darunter die berüchtigten Ultras. Unser Autor war mit ihnen unterwegs. Die Namen der Ultras haben wir für die Veröffentlichung geändert, um sie nicht in Gefahr zu bringen.
„Die mag ich auch nicht“, sagt Wasja, einer der Fans. „Und was die Schwarzen betrifft, da geht es schon zu weit. Da gibt es viele Leute mit viel zu radikalen Ansichten unter den Fans, die sich zu sehr aufregen. Ich würde mich freuen, wenn wir starke Spieler hätten. Ihre Hautfarbe ist mir dann egal.“
Für Wasja und seine Freunde studiere ich russische Kultur an einer Berliner Universität. Ich sage, dass ich an einer Arbeit über die moderne russische Gesellschaft schreibe. Für mich ist das eine Vorsichtsmaßnahme. Außerdem gewinne ich so das Vertrauen der Fans und hoffe, ehrliche Antworten zu erhalten.
Tanzen, messern, morden
Ich verbringe den ganzen Nachmittag mit den Fans. Wir unterhalten uns über Fußball und nach ein paar Bechern Bier, die wir gemeinsam getrunken haben, denke ich, dass ich nun auch die wirklich wichtigen Themen ansprechen kann. Eine Frage drängt sich mir besonders auf: „Mal ehrlich. Euer Land hat eine so wichtige Rolle im Kampf gegen die Nazis gespielt. Warum gibt es Leute unter euch, die genau die Ideen unterstützen, gegen die eure Großeltern unter Einsatz ihres Lebens gekämpft haben.“ Die Typen drucksen ein wenig herum. Schließlich sagt Wasja: „Weißt du, es kommen so viele Leute aus Dagestan, aus Tschetschenien. Die bringen das Chaos nach Russland. Sie tanzen ihre kaukasischen Tänze, messern, rauben, töten.“
Sein Kumpel Artjom schüttelt den Kopf. „Ich bin in Ufa gewesen, in Baschkirien, dort waren die Tschetschenen und Dagestaner viel gastfreundlicher, netter, einfach freundlicher als bei uns in St. Petersburg.“ Was in St. Petersburg genau stört an diesen Migranten, wollen sie nicht sagen, sie verdrehen die Augen. „Einen Scheißdreck weiß ich“, sagt Artjom.
Eine Gruppe Leipziger Fans kommt uns entgegen. Wasja rennt auf sie zu, um ein Selfie mit ihnen zu machen. „Dieser Trottel! Er ist am Arsch“, sagt der dritte der Fans, mit denen ich unterwegs bin. Artjom gibt ihm recht: „Ja, das ist er! In Russland, mit Fans von Spartak, hätte er das nicht machen können. Das wäre er sofort am Arsch gewesen.“ Wasja kommt zu uns zurück. „Die sind nett“, sagt er. Die Antwort kommt postwendend: „Wenn ich 2.000 Euro im Monat verdienen würde, wäre ich auch nett.“ Wir beobachten zwei Jugendliche, die aufgeregt diskutieren. Wasja sagt: „Als ich in ihrem Alter war, haben sie bei uns in der Schule einen Typen abgestochen. Weil er ein iPhone hatte. 2009 war das. Damals hatten bei uns im Dorf nur die Kinder von Abgeordneten ein iPhone.“
Russische Richter
Jetzt reden wir wieder über Russland. „Sie können alles mit dir machen“, sagt Wasja. „Du sagst irgendetwas über die Regierung, etwas verdammt Wahres. Zack! Die Führung sagt, dass man dich wegsperren muss. Zack! Dann kommen sie zu dir, schieben dir Drogen unter und das war’s dann.“ Das Gespräch kommt auf Iwan Golunow, den Journalisten, der dabei war, korrupte Strukturen in der Moskauer Stadtverwaltung aufzudecken, und den ein Richter dann wegen angeblichem Drogenbesitz unter Hausarrest gestellt hat. „Den kennst du doch?“, fragt Artjom.
„Er hat die Wahrheit gesagt, dass die Beamten Yachten haben, Reichtümer. Zack! Haben sie beschlossen, ihn einzusperren. Jetzt lutschen sie wieder seinen Schwanz. Das verstehe ich auch nicht.“ Tatsächlich hat man die Vorwürfe gegen Golunow nach Protesten fallengelassen. Artjom sagt: “Sie haben uns alle verarscht. Putin regiert, seit wir eins sind. Ich bin jetzt 21 und ich kenne kein Russland ohne Putin.“
Wasja redet sich jetzt in Rage. Im größten Land der Erde würden sie leben, sagt er, und es würde ihnen schlechter gehen als allen anderen. Die Leute hätten nichts zu fressen. Beamte würden sich in ihren Autos besaufen und einfach Menschen töten. Es geht um den verdammten Dollarkurs, die Sanktionen. „Wir haben sie 45 besiegt, und jetzt das“, sagt Wasja. Seine Freunde versuchen ihn zu beruhigen. „Ja, die Macht ist schlecht, aber sonst ist alles gut, die Menschen sind gut.“
Gleich beginnt das Spiel. Ich gehe nicht in die weiß-blaue Kurve der Zenit-Fans. Ich habe ein mulmiges Gefühl, schließlich sieht man mir an, dass ich nicht dazugehöre. Wir verabreden uns. Nach dem Spiel wollen wir miteinander telefonieren. Doch keiner ruft an. Es ist wohl genug gesagt.
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