Rassismus gegen Ukraine-Geflüchtete: Kein Zugang für Rom*nja
In Mannheim verwehrt Bahn-Personal drei ukrainischen Romafamilien Hilfe. Geflüchtete berichten auch andernorts über Antiziganismus.
Natice Orhan-Daibel ist freiwillige Helferin am Mannheimer Bahnhof und immer noch fassungslos über den Vorfall, den sie in der letzten Woche miterlebt hat. Wie alle anderen Geflüchteten habe sie auch die 22-köpfige Gruppe gegen 22 Uhr in den Rückzugsraum geleitet, weil ihre Kontaktperson in Mannheim nicht erreichbar war. Schnell seien das Sicherheitspersonal der Deutschen Bahn, Beamte der Bundespolizei und eine Frau mit Dobermann erschien und hätten darauf bestanden, dass die Familien den Raum verlassen.
„Solche Menschen kommen hier nicht rein“, habe Orhan-Daibel an dem Abend mehrmals gehört. Dabei seien unter den Schutzsuchenden überwiegend müde Kinder und eine schwangere Frau gewesen. Als Begründung hieß es, dass sich keine Männer in den Räumen aufhalten dürfen – während zeitgleich andere geflüchtete Männer anwesend waren. Außerdem hätte in der Woche zuvor eine Gruppe Roma den Raum chaotisch zurückgelassen und geklaut.
„Das ist, wie wenn man allen Schwaben Hausverbot geben würde, weil einer geklaut hat“, sagt Chana Dischereit über die verallgemeinernde Erklärung. Sie arbeitet für den Verband Deutscher Sinti und Roma in Baden-Württemberg und ist oft mit solchen Vorurteilen konfrontiert. „Es wird nicht davon ausgegangen, dass Roma auch Flüchtlinge sein können. Stattdessen existiert das Stereotyp von Roma, die jetzt nur kommen, weil es etwas umsonst gibt.“
Ähnliche Fälle in Erstaufnahmezentren
Orhan-Daibel und einige ihrer Kolleg:innen hätten sogar angeboten die Nacht mit den Familien in dem Raum zu verbringen, um im Notfall vor Ort zu sein. Aber auch das sei keine Option für das Sicherheitspersonal gewesen. „Dabei schlafen hier sonst jede Nacht Geflüchtete auf den Feldbetten“, weiß die freiwillige Helferin.
Noch während der Diskussion hätte eine weiße Familie aus der Ukraine ebenfalls den Rückzugsraum betreten, ohne vom Sicherheitspersonal kontrolliert zu werden. Diese ungleiche Behandlung ist für sie unbegreiflich: „Es kann nicht sein, dass eine Gruppe Geflüchteter diskriminiert wird und nicht die gleiche Hilfe bekommt, wie blonde Ukrainerinnen.“
Da es in Mannheim bisher keine Erstaufnahmeeinrichtung gibt, mussten die 22 Kinder und Eltern nachts weiter nach Heidelberg fahren. Dischereit erzählt, dass es nicht der erste Fall sei, bei dem Roma Diskriminierung auf der Flucht erfahren. Auch in Erstaufnahmezentren hätte es ähnliche Vorfälle gegeben. Mittlerweile vertrete ihr Verband daher die drei Familien.
Die Deutsche Bahn entschuldigt sich für dafür, dass es am Mannheimer Bahnhof zu „Missverständnissen“ gekommen sei. Zwischen den Helfer:innen, dem Verband Deutscher Sinti und Roma Baden-Württemberg und dem Bahnhofspersonal habe es ein klärendes Gespräch gegeben. Um die Angestellten der Bahn für die Minderheit zu sensibilisieren, sei eine Fortbildung geplant.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut