piwik no script img

Rassismus bei der Berliner PolizeiAnschiss auf offener Bühne

Kommentar von Plutonia Plarre

Innensenatorin Spranger (SPD) hält Polizeikritiker Ferat Kocak eine Standpauke. Das Signal: Es gebe keinen Grund, etwas zu ändern. Das wäre fatal.

Eine Frau der Gesten: Iris Spranger Foto: dpa

N ichts gegen rote Fingernägel, wenn man sie so zur Geltung zu bringen versteht wie Berlins Innensenatorin. Iris Spranger (SPD) spricht viel mit den Händen. Wenn sie in Fahrt ist, fuchtelt sie mit dem Zeigefinger, gern auch mit beiden. An dem leuchtend roten Nagellack kommt dann keiner vorbei. Von dem, was Spranger inhaltlich sagt, bleibt indes wenig hängen. Bisweilen hat man den Eindruck: Je wilder die Gesten, um so wirrer die Reden.

Auch am Montag im Innenausschuss war das so. Im Unterschied zu früheren Auftritten echauffierte sich Spranger diesmal allerdings wirklich. Eine Aussprache über die Rassismusstudie über die Polizei Berlin, durchgeführt von der Technischen Universität (TU) unter Federführung der Soziologin Christiane Howe, stand auf der Tagesordnung. Irgendwann meldete sich auch der Linkenpolitiker Ferat Kocak zu Wort – und stellte lapidar fest, dass die Polizei ein Riesenrassismusproblem habe.

Kocak, bekanntlich selbst Opfer eines rechtsextremistischen Anschlags in Neukölln, den ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss aufklären soll, hat das schon oft gesagt, auch bezogen auf seinen eigenen Fall. Die Polizei hatte die Ermittlungen so schlampig geführt, dass man durchaus auf die Idee kommen kann, nicht alles sei mit rechten Dingen zugegangen.

Noch etwas hatte Kocak im Ausschuss – durchaus sachlich – festgestellt: Dass es ein Machtgefälle gibt zwischen Bürgern und Polizisten. Letztere seien ja sogar mit einer Schusswaffe ausgerüstet.

Auf diese Weise in aller Öffentlichkeit demontiert zu werden, muss sich kein Koalitionspartner gefallen lassen.

Die Vehemenz, mit der Spranger auf Kocaks Äußerungen ansprang, lässt vermuten, dass sie regelrecht darauf gewartet hat, dem Linkenpolitiker einmal ordentlich die Leviten zu lesen auf offener Bühne. „Ich bin sauer“, rief Spranger, wild mit den Händen herumfuhrwerkend. Und zwar darüber, „dass immer wieder Polizeikollegen angegriffen werden, und dann im Gegenzug behauptet wird, es ist Rassismus auf breiter Reihe.“

Was meint sie eigentlich?

Auch sie habe einen Anschlag auf ihr Bürgerbüro erlebt, steigerte sich Spranger. Wie bitte? Den Gedankengängen der Innensenatorin war auch diesmal nur schwer zu folgen. „Ja, ja, ja“, rief die Senatorin, „das gehört alles mit rein, weil Rassismus erlebt die Polizei j-e-d-e-n Tag!“

Ferat Kocak, so viel wurde klar, ist für Spranger und die rechte SPD, die von der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey verkörpert wird, ein rotes Tuch. Und mit Kocak eigentlich alle, die rassistische Vorfälle in der Polizei nicht als Einzelfälle abtun. Bei Polizeigewerkschaften und rechten Wählenkreisen mag Sprangers emotionaler Auftritt gut ankommen. Der Sache selbst hat sie jedoch einen Bärendienst erwiesen.

Denn eigentlich ging es im Innenausschuss um die Rassismusstudie und die Folgen, die sich für die Polizei aus der 141 Seiten umfassenden Untersuchung ergeben. Der Ansatz, den die Soziologin Howe und ihr Team verfolgen, ist ein akademischer: Alltagsrassismus ist in der gesamten Gesellschaft vorhanden, also auch in der Polizei. Die Polizei habe als Behörde mit dem Gewaltmonopol aber eine größere Verantwortung, sich diesem Rassismus zu stellen.

In den Interviews, die die Forscher für die Studie mit Betroffenenverbänden geführt haben, wird immer wieder über Diskriminierungen bei Polizeikontrollen und Racial Profiling geklagt. Im Anschluss haben die Forscher Polizisten in ihrem Arbeitsalltag begleitet. Rassistische Kontrollen, also Racial Profiling, haben sie dabei nicht festgestellt.

Gibt es nun ein Rassimusproblem?

Das ist die Crux der Studie: Jeder kann das herauslesen, was ihm gefällt. So war es dann auch am Montag im Innenausschuss. FDP und CDU erklärten, dass es bei der Berliner Polizei kein strukturelles Rassismusproblem gibt. Grüne und Linke zeigten sich zufrieden, weil sie in dem Ansatz des Alltagsrassismus auch die Existenz des strukturellen Rassismus bei der Polizei bestätigt sehen.

Doch dass die Autoren der Studie mehr Reflexion, Offenheit, Sensibilität und Fortbildungen in der Polizei fordern, um dem Alltagsrassismus bei der Dienstausübung zu begegnen, ging in der Aufregung, die Spranger mit ihrer Standpauke verursachte, völlig unter. Das fatale Signal, das die Innensenatorin damit aussendete: Alles ist gut bei der Polizei, es gibt keinen Grund etwas zu ändern. Das ist das eine.

Das andere: Nichts gegen einige lebendige politische Auseinandersetzung. Aber so in aller Öffentlichkeit demontiert zu werden, muss sich kein Koalitionspartner gefallen lassen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Redakteurin taz.Berlin
Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • @DANIEL KRETZSCHMAR

    Da bin ich ganz bei Ihnen. Personal. Ausbildung.

    Hätten die Einsatzkräfte vor Ort mehr zugang zu psychologisch geschulten Kräfte wären jetzt ein paar Menschen mehr am Leben.

    Was mich unsäglich ärgert ist, dass die leitenden Kräfte wie hier Frau Spranger mit dem Blick auf den Einzelfall (ob das jetzt ein böser Bulle war oder nicht, ob das ein Einzelfall sei oder nicht, ob nun die Mehrheit anständig ist oder nicht... uva) davon ablenkt... dass sie ihre Hausaufgaben halt noch machen muss.

    Billig.

  • "Alltagsrassismus ist in der gesamten Gesellschaft vorhanden, also auch in der Polizei."

    Seltsam: Wenn es um gewalttätige Übergriffe gegen Polizeibeamte geht, dann reagieren gewisse Leute 100 mal empfindlicher.

    • @wxyz:

      Wen meinen Sie?

      Die Innensenatorin muss da empfindlich sein, das ist hier Job.

      Sie ist deren Chefin.

      Aber ansonsten?

      Wann interessiert sich in Berlin jemand für gewalttätige Übergriffe gegen Polizeibeamt_innen?

  • „Doch dass die Autoren der Studie mehr Reflexion, Offenheit, Sensibilität und Fortbildungen in der Polizei fordern, um dem Alltagsrassismus bei der Dienstausübung zu begegnen…“

    Wir brauchen all das in der Polizei. Nicht nur, um Alltagsdiskriminierungen besser begegnen zu können, sondern um mit dem Dienst insgesamt besser zurecht zu kommen. Was aber ist dafür die Voraussetzung? Die Studie hat auch das sehr klar benannt: Personalmangel und damit Zeitmangel beenden, miserable Ausstattung ersetzen und auf modernem Stand halten, zerbröselnde Gebäude und Büros (energetisch und nachhaltig!) sanieren. Leider passt das mit den „Defund the police“-Phantasien gerade von Herrn Kocak nicht zusammen, der aus all diesen riesigen Baustellen einen Vorsatz ableitet, den selbst die Studie nicht finden konnte.

  • Auch ein Gewaltproblem mindestens bei einigen Polizist:innen. Zur Zeit verletzt die Polizei täglich mehrere Klimaaktivist:innen der LetztenGeneration.de, die sich gewaltfrei auch für deren Überleben auf diesem Planeten einsetzen. Mir hat einer vor 3 Monaten völlig überflüssigerweise das Schlüsselbein gebrochen, als ich bei grün ruhig und langsam zum zweiten Mal auf die Straße gegangen bin.

    • @Edmund Schultz:

      Wie ein Klimaaktivisten hat Ihnen ein Schlüsselbein gebrochen, das glaub ich nicht. Außerdem sind Klimaaktivisten nicht gewaltfrei, sonder hindern 1000ende ihrer Arbeit nachzugehen um die Brötchen für sich und die Familie zu verdienen. Was isr daran gewaltfrei, wenn ich meine Miete nicht mehr bezahlen kann und mein Kind nicht im Krankenhaus besuchen.

  • Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist das Akademische des Reports zu sehr zu betonen - würde man akademisch herausfinden, dass man nicht von Rassismus sprechen kann, wäre das Problem ja nicht weg, weil große Teile der Bevölkerung politisch unzufrieden und misstrauisch sind. Ich denke man sollte es daher auch so benennen: es geht um politische Auseinandersetzungen, und dabei nicht um kleine Verwaltungsfragen, sondern um die großen emotionalen Dinge, Vertrauensfragen, Werte.

    Grundlegender als ein prinzipieller Rassismus (den es denke ich bei wenigen gibt, sicher nicht bei Frau Spranger) ist glaube ich ein politischer Wechsel: die "rechte SPD" steht vielleicht für eine gesellschaftliche Offenheit, in der sie definiert, mit welchen Werten sie gegenüber wem offen sein will. Die Gesellschaft entwickelt sich aber weiter und neue Gruppen und Menschen würden gerne selber definieren nach welchen Werten sie wohin offen sein wollen.

    Ich würde das aber auch nicht zu sehr auf das Thema Rassismus schieben. Das würde bedeuten, es gäbe gar nichts politisch zu diskutieren und die anderen sind einfach nur noch böse und zu stoppen. So ist es aber (in der Breite) denke ich nicht. Die ganz bösen Dinge würden nichts am allgemeinen politischen Unbehagen ändern, hätte man sie alle gestoppt.

    Es geht um eine sich verändernde Gesellschaft, mit neuen politischen Interessen und Konfliktzonen. Ich denke so sollte man es auch austragen. Eine "rechte SPD", die noch darin lebt, dass sie die Werte und Offenheit festlegen können, wird ohnehin keine lange Zukunft haben. Aber es werden in der Richtung neue Konfliktlinien mit anderen kommen - die man besser gleich politisch angeht. Es ist ja nicht so, dass jenseits der rechten SPD sich alle einig wären und tiefes Vertrauen ineinander hätten.

  • "och dass die Autoren der Studie mehr Reflexion, Offenheit, Sensibilität und Fortbildungen in der Polizei fordern, um dem Alltagsrassismus bei der Dienstausübung zu begegnen, ging in der Aufregung, die Spranger mit ihrer Standpauke verursachte, völlig unter."

    Sehr richtig bemerkt: und genau das ist das Problem, das Frau Spranger eigentlich angehen müsste.

    Ihre erbärmliche Show ist wahrscheinlich der Tatsache geschuldet, dass sie keinen Bock darauf hat. Mit Absicht oder ohne (ich unterstelle ersteres).

  • taz-Zitat: "(...) Bei Polizeigewerkschaften und rechten Wählenkreisen mag Sprangers emotionaler Auftritt gut ankommen. (...)"



    In den polizeilichen Problem-Bundesländern Hessen und Berlin sind die Landesverbände der Polizei-Gewerkschaften GdP und DPolG derzeit auffällig ruhig. Will sagen: Bodo Pfalzgraf & Co. traten im gewerkschaftlichen Alltagsgeschäft schon mal lauter und selbstbewuster auf.

    • @Thomas Brunst:

      gdp- west DPOLg -Ost