Putin will Verhandlungen mit Ukraine: Europa muss nicht nur zugucken, sondern konsequent sein
Der russische Präsident Putin sucht keinen Kompromiss. Er sucht ein günstiges Format, um die Ukraine zur Kapitulation zu zwingen.

D en von der Ukraine ausgearbeiteten Vorschlag einer bedingungslosen Waffenruhe hat der Kremlchef erwartungsgemäß ignoriert. Eine 30 Tage lange Feuerpause ab dem 12. Mai sollte der erste Schritt zur Aufnahme von Friedensverhandlungen sein. Stattdessen setzte Wladimir Putin in seiner nächtlichen Ansprache an die ukrainische Seite ein Treffen in Istanbul für den 15. Mai „ohne Vorbedingungen“ an.
Ein solches bilaterales Format gab es schon, letztmalig im Frühjahr 2022. Es wurde damals abgebrochen, da Russland keinen Dialog mit der Ukraine suchte, sondern lediglich eine Liste mit Forderungen für ihre faktische Kapitulation vorlegte. Drei Jahre später bleiben diese Bedingungen für eine Beendigung der russischen Aggression unverändert: Annexion ukrainischer Gebiete, Aufhebung der Sanktionen, Neutralität der Ukraine sowie ihre Entmilitarisierung und „Entnazifizierung“.
Die Verhandlungen in Istanbul sind für Putin ein sehr günstiges Format. Weigert sich die Ukraine, die absurden russischen Forderungen zu erfüllen, kann Putin sie für das Scheitern der Friedensverhandlungen verantwortlich machen. Putin stellt sich als großzügigen Diplomaten dar, der angeblich Frieden anbietet – aber eigentlich den Krieg weiterführen will.
Trotz der enthusiastischen Kommentare aus verschiedenen Hauptstädten der Welt zum historischen Durchbruch in den Verhandlungen gibt es in Wirklichkeit keine neuen Inhalte: Die Ukraine ist nicht bereit, über die Bedingungen ihrer Kapitulation zu sprechen, und Russland will von seinem Ziel, die ukrainische Staatlichkeit zu zerstören, nicht abrücken. Es handelt sich nicht mehr um ein Schach-, sondern um ein Pingpongspiel, bei dem die eine Seite Bedingungen stellt, die für die andere Seite inakzeptabel sind. Und dennoch werden sie einfach wiederholt. Aus dieser Sackgasse kann nur ein Schiedsrichter herausführen, sonst geht das Hin und Her endlos weiter.

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In der aktuellen Situation bedeutet dies, dass die westlichen Partner konsequent sein müssen, falls Putin sich weigert, in einen Waffenstillstand einzuwilligen. In diesem Fall sollten sie bereits am 12. Mai verschärfte Sanktionen gegen Russland verhängen. Ob Friedrich Merz, Emmanuel Macron, Keir Starmer und Donald Tusk entschlossen genug sind und ob sie Donald Trump überzeugen können, sich ihnen anzuschließen, wird den weiteren Verlauf der Verhandlungen maßgeblich bestimmen. Wahrscheinlicher ist jedoch ein weiteres inhaltsloses Treffen in Istanbul, das nur um des Treffens willen stattfindet und nicht der Suche nach einem wirklichen Weg zum Frieden dient.
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