Putin im deutschen Fernsehen: Der Lieblingsbösewicht
Putin hat die ARD zum Verlautbarungsmedium für seine Absichten gemacht. Jetzt steht die ARD wieder in der Kritik. Warum eigentlich?
Auftritt Diktator. Diktator? Darf man das sagen, wenn von Wladimir Putin die Rede ist? Schon lange sind keine Witze mehr in Umlauf, in der das exkanzlersche Diktum vom „lupenreinen Demokraten“ die ewig gleiche Pointe abgab. Die Lager und Knäste in Russland, in denen die Unangepassten jahrelang eingesperrt werden, sind längst zum Symbol für das System Putin geworden.
In Putins Gesellschaftsentwurf ist kein Platz für Schwule und Lesben. Und seit der gerne als Kremlherrscher bezeichnete Präsident der Russischen Föderation sein Staats- und Einflussgebiet vergrößert, indem er seine grünen Männchen in die Nachbarländer schickt, ist er für den Westen endgültig zum Feind geworden – vielleicht nicht zum Inbegriff des Bösen, aber zumindest zum Bösewicht. Darf man mit so jemand reden? Und wie sollte man mit ihm sprechen?
Die ARD hat es getan. Hubert Seipel hat Wladimir Putin zum Interview getroffen. Weil er den Bösewicht erzählen hat lassen, ohne besonders kritisch nachzufragen, steht er nun in der Kritik. Die journalistische Arbeit des Reporters wird auch deshalb in Zweifel gezogen, weil er selbst im anschließenden Talk bei Günter Jauch versichert hat, dass ihm der russische Staatschef keine Vorgaben gemacht habe. Er hätte also durchaus nachfragen können. Hat er aber nicht.
Und so blieb stehen, dass Russland die Krim vor einem Blutvergießen bewahrt hat, indem es die Halbinsel annektiert hat, dass es das Vorrücken der Faschisten in der Ukraine verhindert habe und so weiter. Hat Putin die ARD zum Verlautbarungsmedium für seine Absichten gemacht? Bot die ARD dem Bösewicht ein Forum für seine finsteren Ansichten? Darf das sein?
Putin kann ohnehin nicht viel richtig machen
Man darf kritisieren, wenn Journalisten unkritisch mit ihren Interviewpartnern umgehen. Aber wäre die Kritik an Seipel auch geäußert worden, wenn er nicht unseren Lieblingsbösewicht interviewt hätte?
Der kann derzeit ohnehin nicht viel richtig machen. Da werden Bilder gezeigt, auf denen zu sehen ist, wie Putin in Brisbane bei einem Dinner am Rande des G-20-Gipfels allein am Tisch sitzt. Dazu wird der Satz geliefert, dass er in Australien völlig isoliert gewesen sei. Dass Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff, die mit ihm am Tisch saß, nicht zu sehen war, weil sich ein Kellner zwischen sie und die Fotolinsen gestellt hatte, wen interessiert’s?
Und warum schreibt niemand vom isolierten US-Präsidenten? Es gibt auch Bilder, die ihn allein am Tisch sitzend zeigen. Er ist eben kein Bösewicht.
Kritische Nachfragen nicht vorgesehen
Ein Skandal wurde auch daraus gemacht, dass Putin in Brisbane australische Journalisten von einer Pressekonferenz ausgeschlossen hat und nur zu ausgewählten Journalisten sprach. Aber warum stößt sich hierzulande niemand daran, dass auch Bundeskanzlerin Angela Merkel nach ihrem vierstündigen Gespräch mit Putin nur deutsche Medienvertreter zugelassen hat, als sie ihr vierminütiges Statement dazu abgegeben hat?
Nur im Liveticker von welt.de aus Brisbane findet sich ein beinahe schon versteckter Post, aus dem hervorgeht, dass das „ausländische Journalisten verärgert“ hat. Kritische Nachfragen waren ohnehin nicht vorgesehen. Es war ein Statement, das brav verlautbart wurde. Einen Skandal wird das wohl kaum einer nennen.
Warum eigentlich nicht? Unvergessen sind die arschkriecherischen Interviews, die der frühere Fernsehdirektor des Bayerischen Rundfunks Wolf Feller mit dem damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß geführt hat: „Sehr verehrter Herr Ministerpräsident, ist es nicht so, dass …“ Antwort: „Ja, sicher.“
Allzu oft dominiert der Stolz darauf, einen der Großen der Politik vor das Mikrofon bekommen zu haben, den journalistischen Ehrgeiz, etwas wirklich Substanzielles aus den Gesprächspartnern herauszukitzeln. Seit den finsteren Zeiten des CSU-Staatsfunks hat sich da nicht viel geändert. Und so passiert es, dass eines der meistdiskutierten Bilder von Merkel in Brisbane ein Selfie ist, das die Kanzlerin mit dem Partyvolk in einem Kneipenviertel zeigt. Das darf man getrost als unterirdisch bezeichnen, auch wenn Merkel alles andere als eine Diktatorin ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen