Putin, Queen und AfD: Anständige Distanz

Russland hat Politiker gekauft, beim Tod der Queen gibt es Grenzen des Sagbaren und die AfD zieht Pimmel-Pfeile zurück. Zeit, über Anstand zu reden.

Rote Gummibärchen in Form von Pfeilen liegen auf einem Tisch

Pfeile oder Pimmel, die AfD hat den Schwanz eingezogen Foto: Christopher Weckwerth/dpa

Ich klinge jetzt wie ein pensionierter Oberstudienrat, aber wir müssen über Anstand reden! Darüber, was sich gehört und was nicht. Gerade in dieser von Unanständigkeiten geprägten Woche gab es dazu mehr als genügend Anlässe. Also, ich bin ja ein Freund des Prinzips, dass Politiker ordentlich bezahlt werden, damit sie frei von persönlichen wirtschaftlichen Interessen Politik machen können. Man könnte meinen, Politiker in westlichen Demokratien bekommen so viel Geld, dass sie sorgenfrei leben können. Dass sie also nicht bestechlich sind.

Nun ist aber die Gier bei Menschen unterschiedlich ausgeprägt, und auch Wladimir Putin weiß das. Aus einem Gutachten der US-Geheimdienste geht hervor, dass der Kreml seit 2014 mindestens 300 Millio­nen Dollar an Politiker in mehreren Staaten bezahlt hat, um sie zu einer russlandfreundlichen Agenda zu treiben. Mit anderen Worten: Putin hat sich Politik in seinem Sinne gekauft. Nun wurden zwar keine Länder genannt, aber sollte Deutschland dazugehören, fielen mir sofort zwei, drei Parteien ein, mindestens. Ich möchte auf jeden Fall alle Namen wissen. Alle. Whistleblower und Informanten, ihr erwieset der Welt einen großen Dienst, wenn ihr …

Bundeskanzler Olaf Scholz hat diese Woche ein Foto von sich an seinem Schreibtisch veröffentlicht. Er habe 90 Minuten mit Putin telefoniert, schreibt er auf Twitter. „Russland muss seine Truppen aus der Ukraine zurückziehen und die Souveränität und territoriale Integrität anerkennen. Anders ist eine diplomatische Lösung nicht vorstellbar.“ Das ist ziemlich anständig. Noch viel anständiger wäre, wenn er auch beim ukrainischen Präsidenten anriefe und ihm die Lieferung schwerer Waffen zusagte.

Anständig auch das britische Königshaus: Zum Staatsbegräbnis von Queen Elizabeth II. am kommenden Montag, was als „größtes Ereignis in Großbritannien seit dem Zweiten Weltkrieg“ angekündigt ist, ist kein Vertreter Russlands eingeladen. Putin ist beleidigt, die Kreml-Sprecherin schäumt, aber so ist das eben: Wer sich unanständig benimmt, ist bei der Party nicht dabei.

Man muss zivilisiert bleiben

Apropos Königin: Natürlich darf man sich über die britische Monarchie lustig machen. Und man darf, nein, muss sie kritisieren ob ihrer Verantwortung für koloniale Verbrechen. Übrigens ist auch meine Familie betroffen: durch die Teilung des indischen Subkontinents, ein Teil der Familie in Indien, der andere in Pakistan, dazwischen eine nahezu unüberwindbare Grenze, und an allem trägt Britannien keine geringe Schuld.

Aber ich finde, angesichts des Todes gibt es Grenzen des Sagbaren, die man, will man zivilisiert bleiben, nicht überschreiten sollte. Weil ich eine Professorin kritisiert habe, die der Königin via Twitter kurz vor ihrem Ableben einen qualvollen Tod wünschte, wurde mir von einer kleinen, lauten Gruppe „Rassismus“ und „Misogynie“ vorgeworfen. Weil die Professorin schwarz ist und eine Frau. Oookay. Wie heißt es so schön: Wenn man nur einen Hammer hat, ist jedes Problem ein Nagel.

Unanständig, auf „Wut-Winter“ zu freuen

Unanständig ist natürlich auch, die Gunst der Stunde – oder sollte man besser sagen: die Angst der Menschen? – zu nutzen, um Wucherpreise für Energie zu verlangen. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat gewiss zu einer Verknappung geführt. Aber schaut man sich die Rekordgewinne der Energiekonzerne an, ist das: unanständig. Die Verärgerung der Menschen kann ich nachvollziehen. Aber unanständig ist auch, wie die AfD und Teile der Linken sich auf einen „heißen Herbst“ und einen „Wut-Winter“ freuen und Proteste auf die Straße bringen wollen – seltsamerweise aber nicht gegen die Energiekonzerne und schon gar nicht gegen Russland.

Die Unanständigkeit der Woche kommt von der AfD: Für ihren Wahlkampf in Niedersachsen – dort wird am 9. Oktober gewählt – ließ diese Partei ihr Parteisymbol aus Fruchtgummi herstellen: kleine rote Pfeile. Die sehen aber aus wie, nun ja, kleine rote Pimmelchen. Das war selbst den AfD-Leuten, denen ja sonst nichts peinlich ist, unangenehm. Sie zogen die kleinen Tütchen aus dem Verkehr. War aber klar, denn im Schwanzeinziehen ist die AfD schon immer ganz groß.

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