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Psychologin über trauernde Kinder„Kinder trauern anders“

Der Bremer Verein „Trauerland“ bietet 184 trauernden jungen Menschen Raum für ihre Gefühle. Nun weitet der Verein sein Bildungsangebot aus.

Kinder haben ihre eigene Art, zu trauern. In Bremen kann man lernen, wie man sie dabei begleitet Foto: Jan Woitas/dpa
Alina Götz
Interview von Alina Götz

taz: Frau Kuhr, trauern Kinder anders als Erwachsene?

Johanna Kuhr: Ja. Wenn Kinder trauern, springen sie in sogenannte Trauerpfützen. Da drin sind sie traurig, aber sie springen eben auch schnell mal wieder heraus. Das scheint für uns Erwachsene manchmal komisch – so, als würden Kinder nicht trauern. Sie drücken Trauer zudem nicht so sehr über Reden oder Weinen aus, sondern ganz viel über Spielen. Wir haben hier einen sehr spielerischen Ansatz, um Gefühlen Raum zu geben.

Wie kann ich denn als Bezugsperson von Kindern oder Jugendlichen einen Prozess des Trauerns gut unterstützen?

Präsent sein, immer wieder hingucken, wie es den Kindern geht, und zeigen: Ich bin da, ich höre zu – egal, was bei dir so los ist. Und was auch wichtig ist, ist ehrlich mit den Kindern zu sein. Auch wenn die Todesumstände vielleicht eher so sind, dass man das als Erwachsener Kindern nicht zumuten möchte – wie Suizid.

Und wer nicht mehr weiter weiß, kommt zu Ihnen?

Meistens melden sich über das Beratungstelefon Eltern bei uns, die sich einfach nicht so sicher sind, wie sie mit ihren Kindern umgehen können. Aber auch Fachkolleg*innen suchen Rat bei uns. In den Kindertrauergruppen geht es vor allem um das Verarbeiten durch den Austausch mit anderen Betroffenen – mit mehreren Kindern, Familien oder Erwachsenen.

Glauben Sie, dass Sie auch Menschen erreichen, die nicht sowieso schon eine Sensibilität für das Thema mitbringen?

Wahrscheinlich rufen schon eher Leute hier an, die dem Thema offener begegnen. Aber oft ist der Leidensdruck auch einfach so hoch, dass sich Eltern melden. Und um zu zeigen, dass es uns gibt, machen wir auch viel Werbung in Schulen und Kinderarztpraxen, über alle Stadtteile hinweg. Auch die Erzieher*innen kommen seit ein paar Jahren im Rahmen ihrer Ausbildung zu uns.

Im Interview: Johanna Kuhr

29, Psychologin, ist stellvertretende pädagogische Leiterin bei Trauerland – Zentrum für trauernde Kinder und Jugendliche e.V.

Braucht es so eine Anlaufstelle wie Trauerland nicht auch für Erwachsene?

Ja, ich denke schon, dass ein breiteres Angebot fehlt. Es geht auch darum, das Tabu ein bisschen mehr zu brechen. Wir müssen zeigen, dass jeder Mensch trauert und es wichtig ist, Anlaufadressen dafür zu haben – die es auf politischer Ebene noch gar nicht gibt!

Ab Februar bieten Sie die Ausbildung zur systemischen Kinder- und Jugendtrauerbegleitung an. Was können Teilnehmende hinterher?

Kinder in ihrer Trauer achtsam begleiten. Aber nicht nur Kinder, nicht umsonst nennen wir es systemische Begleitung. Wir versuchen, den Kontext, in dem die Kinder leben, mit einzubeziehen und ebenfalls Betroffene und das gesamte System zu unterstützen. In der Ausbildung wollen wir auch vermitteln, sich mit eigener Trauer auseinanderzusetzen.

Wer kann die Ausbildung machen?

Grundsätzlich alle, die sich mit Kinder- und Jugendtrauer und der eigenen Trauer auseinandersetzen möchten. Vor allem aber Fachpersonal, das sowieso schon mit Kindern und Jugendlichen arbeitet und denen vielleicht die Information fehlt, wie man mit dieser speziellen Situation umgehen kann.

Wie sollten Teilnehmende menschlich gestrickt sein? Es ist doch bestimmt nicht jede*r dafür gemacht.

Ein empathisches Wesen ist immer hilfreich bei der Arbeit mit Menschen. Es braucht auch eine Wertearmut, also die Fähigkeit, den Kindern ohne der eigenen Vorstellung davon, wie das Kind zu sein hat, zu begegnen. Und ein achtsamer Umgang sowie ein ruhiges und stabiles Wesen.

Sie haben bereits eine Studie zur Wirksamkeit von Trauerbegleitung von Familien erstellt. Wie kam es dazu und welche Ergebnisse liefert sie?

Die Ausbildung

Ausbildung zur systemischen Kinder- und Jugendtrauerbegleitung bei Trauerland e. V., ab Februar 2021, 13 Monate, berufsbegleitend, Infoabend am 6. November

Wir wollten zeigen, dass unsere Arbeit auch eine präventive ist. Denn je stabiler die Kinder sind und je besser sie ihre Trauer ausdrücken können, desto stabiler sind sie natürlich später in ihrer Emotionalität. Die Studie zeigt, dass es den Kinder nach der Zeit, in der sie hier waren – oft sind das bis zu zweieinhalb Jahre –, psychisch besser ging.

Was kann denn passieren, wenn Kinder keinen Raum für ihre Trauer haben?

Es könnten vermehrt psychische und auch psychosomatische Probleme auftreten – denn Kinder drücken Trauer auch durch körperliche Symptome wie Bauch- oder Kopfweh aus. Auch Rückzug oder aggressives Verhalten kann sich verfestigen.

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1 Kommentar

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  • Zitat: „Wenn Kinder trauern, springen sie in sogenannte Trauerpfützen. Da drin sind sie traurig, aber sie springen eben auch schnell mal wieder heraus.“

    Das würden Erwachsene vermutlich auch tun - wenn sie nicht so „gut erzogen“ wären. Schließlich ist kein Verstorbener wirklich permanent präsent gewesen im Leben eines Hinterbliebenen. Nach dessen Tod permanent zu trauern um einen Verstorbenen, bedeutet also eine Umstellung sämtlicher Prioritäten. Genau deswegen, schätze ich, sieht unsere Trauerkultur aus, wie sie aussieht.

    Die Vorstellung, nach dem eigenen Tod völlig vergessen zu werden, muss manche Menschen schon immer extrem belastet haben. So stark, dass sie quasi Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt haben, um diesen „Supergau“ zu verhindern. Sie haben zum Beispiel Köster gegründet, in denen Profis (Mönche) für Geld die permanente Trauerarbeit übernommen haben. Zugleich haben sie versucht, durch Kriege unsterblich zu werden, sich in die Geschichtsbücher und Köpfe ihrer Mitmenschen einzuschreiben. Darüber, welche Traumata nach solch kollektiven „Lösungen“ für individuelle Probleme verlangen, mag ich hier nicht nachdenken. Fest steht für mich: Normal ist sowas nicht. Allenfalls normgebend.

    Ja, es „scheint für uns Erwachsene manchmal komisch“, wenn Kinder nur sporadisch trauern. Dann nämlich, wenn ihnen ihr Verlust mal wieder so richtig schmerzhaft bewusst wird. Aber „komisch“ sind eigentlich weniger die Kinder. Komisch sind wir. Und zwar mit unserem Absolutheits-Anspruch. Wobei wir als Erwachsene natürlich die Macht haben zu werten.

    Auch auf die Gefahr hin, dass wir uns selber und andere überfordern, wenn wir „ernsthafte“ (permanente) Trauer verlangen von uns und anderen. Eine Trauer, die für das Leben danach mitunter gar keinen Raum mehr lässt – abgesehen von Irgendwelchen Praxen ausgebildeter Psychologen ohne Einfühlungsvermögen. Oder Friedhöfen.

    Aber klar: Opfer müssen nun mal erbracht werden, wenn die Mächtigen zufriedengestellt werden wollen.