Psychologin über Krisenangst: „Angst, Trauer, Wut sind normal“
Wer sich mit der Klimakrise beschäftigt, kann durchaus Angst bekommen, sagt Psychologin Katharina van Bronswijk. Was tun damit?
taz: Frau van Bronswijk, Sie beschäftigen sich eigentlich mit der Frage, wie sich die Klimakrise auf unsere psychische Gesundheit auswirkt. Nun befinden wir uns aber in einer ganz anderen Krise, die vielen Sorge bereitet. Verdrängt die Angst vor dem Corona-Virus die vor dem Klimawandel?
Katharina van Bronswijk: Es gibt tatsächlich eine psychologische Theorie zu einem „finite pool of worry“, die besagt dass wir eine begrenzte Kapazität für belastende Themen haben und uns nicht über alles gleichzeitig Sorgen machen können. Demnach beschäftigt uns vor allem das, was wir als näher und akuter wahrnehmen. Für viele ist das gerade ganz klar die Corona-Pandemie. Es gibt aber auch Menschen, für die sich die Bedrohung durch den Klimawandel bereits sehr akut anfühlt. Sie denken die Krisen und mögliche Lösungen zusammen. Das finde ich sehr hilfreich. Dabei vermischen sich aber natürlich auch die Sorgen.
Katharina van Bronswijk arbeitet als Psychologin in Hamburg und ist Sprecherin der Gruppe „Psychologistis/Psychotherapists for Future“.
Angst vor dem Klimawandel, ist das eine psychische Störung?
Klimaangst oder auf englisch climate anxiety, das sind Wörter, die man gerade häufig hört. Neu ist das Phänomen allerdings nicht. Angst als Reaktion auf den Klimawandel gibt es, seit es die Klimawissenschaft gibt. Aber Klimaangst ist keine Diagnose. Als Psychologin kann ich nur sagen, es gibt alle möglichen Emotionen, die der Klimawandel auslösen kann: Angst, Trauer, Wut, Frust. Diese Gefühle zu empfinden ist erstmal normal, sogar ein Stück weit gesund. Behandlungsbedarf sehen wir Psycholog*innen erst, wenn es jemanden so weit einschränkt, dass er seinen Alltag nicht mehr geregelt bekommt.
Meinen Sie, Klimaangst wird bald in den Katalog der psychischen Störungen aufgenommen?
Nein. Erstens weil die Diagnosen sich an Symptomen orientieren und nicht an den Ursachen für eine Störung. Bei einer Depression wäre das zum Beispiel eine über mehr als zwei Wochen bestehende Niedergestimmtheit, nicht etwa ein Arbeitsplatzverlust. Und zweitens, weil man nicht sofort krank ist, nur weil man unangenehme Gefühle hat. Dass eine Angst zu einer Störung führt, beobachte ich im Bezug auf den Klimawandel noch nicht so oft. Was allerdings sein kann – und da gibt es auch schon Studien zu – ist, dass der Klimawandel zu einer Zunahme anderer psychischer Störungen führen wird. Aber da geht es dann um Posttraumatische Belastungsstörungen nach Katastrophen zum Beispiel.
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Ein Pressesprecher von Fridays for Future erzählte uns, dass sich alle Jugendlichen in der Bewegung mal erschöpft und niedergeschlagen fühlen. Manche hören auf. Macht sich FFF selber kaputt?
Klimaaktivismus ist anstrengend. Es ist völlig normal, dass man mal einen Durchhänger hat, nachdem man einen Großstreik organisiert hat. Da hilft Ausschlafen und sich eine verdiente Auszeit gönnen. Und natürlich macht uns der Klimawandel auch hilflos, weil wir als einzelne Menschen das Problem nicht komplett lösen können. Wir sind immer auch davon abhängig, dass die anderen mitmachen. Da hilft es wiederum, sich nicht nur die Katastrophenmeldungen reinzuziehen, sondern gezielt nach Handlungsmöglichkeiten zu suchen.
Haben die Medien das Phänomen Klimaangst im vergangenen Jahr befeuert?
Man weiß aus psychologischen Studien, dass es super wichtig ist, eine permanente Berichterstattung über die aktuelle Situation zu haben. Und ein Stück weit gehört es dazu, ehrlich zu sein und zu sagen, ja, es ist ernst und es kann richtig scheiße werden. Menschen reagieren aber unterschiedlich auf etwas, das sie als Gefahr wahrnehmen. In der Psychologie unterteilt man in die drei Reaktionen fight, flight und freeze, also Kampf, Flucht und Erstarren. Im Bezug auf den Klimawandel ist die beste und langfristig eigentlich einzige Variante, in den Kampf zu gehen. Wenn dieser Kampf Aussicht auf Erfolg hat, dann brauchen wir auch nicht mehr über Klimaangst zu sprechen.
Was genau muss man tun?
Aktiv werden, sich mit der Frage auseinandersetzen, in was für einer Gesellschaft wir leben möchten. Dafür wäre es hilfreich, dass die Medien mehr positive Meldungen über die Fortschritte bringen und Handlungsoptionen aufzeigen. Und was ich mir noch von ihnen wünschen würde: dass wir nicht darüber debattieren, ob jetzt die Klimabewegung aus lauter Hysterikern besteht, die alle krank sind, sondern dass wir tatsächlich Lösungen finden für die Probleme, die da auf uns zukommen.
Wie kann sich die Gesellschaft psychisch auf die Probleme vorbereiten, die da auf uns zukommen?
Zuerst müssen wir alle einen reiferen Umgang mit den eigenen Gefühlen erlernen. Der allererste Schritt ist erstmal zu akzeptieren, dass unangenehme Gefühle zum Leben dazugehören, und nicht innerlich dagegen anzukämpfen, sondern lieber mit anderen darüber zu sprechen. Und dann ist natürlich die Frage, wie wir damit umgehen werden, wenn es krisenhaft wird. Es wird Ressourcen-Engpässe geben. Es werden Menschen ihr Zuhause verlassen müssen und woanders hinziehen. Werden wir dann egoistisch und fangen an, Hamsterkäufe zu machen? Oder kriegen wir das anders organisiert. Im Umgang mit Corona zeigt sich ja gerade: Menschen können auch solidarisch sein und sich umeinander kümmern.
Und wenn es jemandem doch wegen der Klimakrise schlecht geht, kann er sich dann an die Psychologists for Future wenden?
Klar, man kann uns eine E-Mail an beratung@psychologistsforfuture.org schreiben. Auch schon, bevor man das Gefühl hat, überhaupt nichts mehr zu schaffen. Wir arbeiten lieber präventiv.
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