Psychologe über Klimapolitik: „Aufbruchstimmung gibt es nicht“
Zeitenwende aufgrund der Klimakrise. Aber für mehr Akzeptanz von Maßnahmen müsse die Regierung anders vermitteln, sagt Psychologe Stephan Grünewald.
taz: Herr Grünewald, glaubt man den Umfragen, war die Mehrheit der Bevölkerung lange für mehr Klimaschutz. Und dann kommt der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck mit seiner Wärmewende und plötzlich sinken die Zustimmungswerte. Ist es ein grundsätzliches Problem oder war das nur schlecht gemacht?
Stephan Grünewald: Das ist ein grundsätzliches Problem und hängt mit dem Nachhaltigkeitsparadox zusammen. In unseren Interviews wird deutlich, dass Nachhaltigkeit ein extrem konservativer Wert ist: Die Welt soll so erhalten bleiben, wie wir sie gewohnt sind und seit Kindertagen kennen. Aber gleichzeitig braucht Nachhaltigkeit eben auch eine entschiedene Veränderung, braucht Wandlung, braucht hier und da auch Verzicht.
Problematisch wird es also, wenn eine spürbare Veränderung ins Spiel kommt?
Das ist das Problem, was gelöst werden muss. Die Politik hat gerade eine Zeitenwende verkündet, aber psychologisch ist die bei den Menschen noch gar nicht angekommen. Zeitenwende bedeutet ja, dass man Abschied nimmt. Dass man um eine Zeit trauert, die vergangen ist, und sich visionär auf eine neue Zeit ausrichtet. Beides erfolgt aber nicht. Eine Aufbruchstimmung gibt es nicht.
62, ist Psychologe und Mitbegründer des Rheingold Instituts, das regelmäßig Tiefeninterviews auch zu aktuellen politischen Fragen durchführt. Anfang März war er bei der Kabinettsklausur in Meseberg zu Gast.
Wie kann sich das ändern?
Interessanterweise spüren die Menschen, dass die Zeiten, so wie sie sie kennen, vorbei sind. Der Klimawandel und auch die anderen Probleme werden in der Regel nicht geleugnet, aber man hofft noch mal auf einen letzten Aufschub – so wie beim russischen Roulette. Man weiß, dass eine Patrone im Revolver ist, aber hofft, dass man erst mal glimpflich davonkommt.
Was kann die Politik da tun?
Es gibt eine Art Machbarkeitsdilemma, das heißt, das Problem ist so groß, dass man gar nicht weiß, wo man es anpacken soll. Interessanterweise war die Energiekrise im letzten Jahr für die Menschen fast eine Entlastung. Mit der Entscheidung, die Heizung etwas runterzudrehen oder einen neuen Duschkopf einzubauen, konnten sie eine Art Selbstwirksamkeit spüren. Da gab es das Gefühl, man kann einen Beitrag leisten, etwas bewirken – und die Füllstände der Gasspeicher haben den Erfolg der gemeinsamen Anstrengung gezeigt. Wenn wir merken, dass unser Beitrag zählt, ist die Bereitschaft sehr viel größer, etwas zu tun, als wenn man das Gefühl hat, da ist ein abstrakter Staat, der das alles managt. Da muss man ansetzen.
Die Bundesregierung hat die Energiekrise im Winter nach allgemeiner Einschätzung ganz gut gemanagt, sie könnte anhand dieser Erfahrung auf einen Vertrauensvorschuss hoffen – also dass Habeck und die Ampel insgesamt die Wärmewende auch gut hinkriegen werden. Das scheint aber nicht so zu laufen.
Dafür wurde es kommunikativ nicht klar genug gespielt.
Heißt was?
In den Interviews, die wir führen, spiegeln uns die Leute, dass sie realisiert haben, dass es glimpflich gelaufen ist. Die großen Ängste, dass wir im Winter im Dunkeln und Kalten sitzen, sind nicht eingetroffen. Diese Ängste waren übrigens besonders gravierend, weil wir uns in der Coronazeit ins private Schneckenhaus zurückgezogen hatten. Und die Vorstellung, dass dieses Schneckenhaus dunkel und kalt wird, ist natürlich furchtbar. Aber die Menschen wissen nicht, woran es lag, dass es glimpflich abgelaufen ist. Lag es an ihren Anstrengungen, lag es an den LNG-Terminals oder am milden Winter? Das Vertrauen in die eigene Wirksamkeit und in die kollektive Anstrengung wurde nicht ausreichend aufgebaut. Das habe ich auch der Bundesregierung bei ihrer Klausurtagung in Meseberg gesagt.
Was hätte dafür anders laufen müssen?
Das Bundeswirtschaftsministerium hat ja im Spätsommer eine ganz gute Kampagne gemacht, wie Energie gespart werden kann. Das hätte konsequent fortgeführt werden müssen. Habeck und auch Bundeskanzler Scholz hätten den Bürgern vermitteln müssen: Wir haben es geschafft, wir sind stolz, wir haben gemeinsam gezeigt, dass wir krisenresilient sind! Danke an alle, die mitgemacht haben! So erzeugt man das Gefühl von Selbstwirksamkeit. Aber beim Thema Klima haben wir noch ein anderes Problem und das liegt an den unterschiedlichen Krisen, die sich gegenseitig relativieren.
Inwiefern?
Der Krieg in der Ukraine steht in einer Eskalationslogik. Es gibt ein furchtbares Bedrohungsszenario, man hat Angst, dass es zu einem dritten Weltkrieg kommen könnte, der das Ende der Zivilisation bedeutet. Diese Eskalationslogik führt am Anfang zu einer Art Schockstarre. Dann aber starten die Leute private Ablenkungsmanöver und verdrängen das Thema. Die Coronakrise stand in einer exponentiellen Logik, die Erregungskurve geht ebenso hoch wie die Erregerkurve, es kommt zu kollektiven Empörungen, zu Lagerbildungen, um sozusagen diesem Bedrohungsszenario der Exponentialität Herr zu werden. Die Klimakrise steht hingegen eher in einer linearen Logik: 1,5 Grad Erderwärmung in X Jahren. Das wirkt im Vergleich zur Eskalation des Krieges oder der exponentiellen Logik der Pandemie fast berechenbar. Wenn wir mit den Menschen in unseren Interviews über die Klimakrise sprechen, zeigt sich fast eine Entspannung.
Und was heißt das für die Politik?
Es ist einfacher, wenn sie in den Momenten agiert, in denen die Menschen spüren, die Linearität ist nicht auf ewig da, sondern kann umschlagen in eine Eskalation oder exponentielle Logik. Die Flut im Ahrtal war so ein Moment, oder der niedrige Wasserpegel des Rheins oder die Waldbrände. Da sind die Menschen viel stärker bereit, etwas zu tun, weil sie die reale Gefahr sehen.
Aber Habeck und die Ampel können ja nicht auf die nächste Katastrophe warten. Was also tun?
Generell sind Menschen zum Verzicht bereit, wenn es ein Bild oder ein Motiv hinter dem Verzicht gibt. Ich bin bereit, auf Essen zu verzichten, wenn ich meine Figur für den Sommer verbessern will. Churchill konnte zu Blut, Schweiß und Tränen aufrufen, weil es um die eigene Freiheit und den Sieg über Nazideutschland ging. Es braucht also immer den Link, wo führen uns diese Anstrengungen hin.
Und eine Erde, auf der man leben kann, reicht als Ziel nicht aus?
Ja, da sind wir wieder in dem Problem der linearen Logik und der Fiktion der Berechenbarkeit im Vergleich zu den anderen Krisen. Man braucht diese Weckrufe, wo man merkt, da gerät wirklich etwas aus den Fugen.
In der letzten Zeit hat insbesondere die Protestgruppe Letzte Generation mit ihren Aktionen versucht, den Menschen genau das deutlich zu machen. Dazu gibt es ja zwei Deutungen: Die einen sagen, das rüttelt die Leute auf, weil sie in ihrem Alltag irritiert werden. Und die anderen sagen, das ist kontraproduktiv, weil es die Menschen gegen die Klimapolitik aufbringt. Was sagen Sie?
Ich glaube, es bestätigt vor allen Dingen die, die schon im Aktivitätsmodus sind. Viele Menschen sind in der Ambivalenz. Sie sehen also die Notwendigkeit, sind aber fürchterlich verärgert, weil sie sich in der Situation konkret ausgebremst fühlen. Krisenerfahrungen sind ja immer damit verbunden, dass man sich ohnmächtig fühlt. Und die Aktionen setzen eine weitere Ohnmachtserfahrung drauf. Damit wird der festgeklebte Aktivist ein Problem, was sich buchstäblich lösen lässt, während die Klimakrise als ferne, vielleicht unlösbare Krise erscheint. Aber trotzdem sind diese Aktionen wichtig.
Warum?
Wir haben vor einigen Jahren eine Studie zu Fridays for Future gemacht, damit haben die Menschen viel stärker sympathisiert. Interessant dabei war aber, dass die jungen Aktivisten gesagt haben: Gut, dass die erwachsene Generation die Macht und Kompetenz hat, das zu ändern. Und die Erwachsenen sagten: Wir sind froh, dass da mal eine junge Generation auf die Straße geht und auf die Probleme hinweist. Wenn die später Macht und Kompetenz haben, werden sie es ändern. Man war sich einig in der Betroffenheit, hat aber die Verantwortung vom einen auf den anderen und damit in die Zukunft verschoben. Die Letzte Generation ist eine notwendige Metamorphose des Protests.
Inwiefern?
Weil bloße Betroffenheitssymbiose nicht voranbringt. Der Generationenkonflikt ist aber letztendlich ein Motor der Entwicklung: Neue Visionen entstehen erst durch die Dialektik des Streits. Das erzeugt natürlich Reaktanz, aber ohne diese Reaktanz gibt es auch keinen Fortschritt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance