Politikprofessor über Bundesregierung: „Die Ampel ist stabil“

Trotz Streits funktioniert die Ampelkoalition, sagt Wolfgang Schroeder. Die Grünen müssten jedoch noch lernen, wie eine alternde Gesellschaft tickt.

Christian Lindner, Olaf Scholz, Robert Habeck

Foto: Mike Schmid/imago

taz: Herr Schroeder, die Stimmung in der Bundesregierung ist nach eineinhalb Jahren mies. Hält die Ampel bis 2025?

Wolfgang Schroeder: Es spricht nichts dagegen.

Ist die Gereiztheit zwischen FDP und Grünen, mit Putin-Vergleichen, nicht extrem?

(62) ist Professor für das politische System der Bundesrepublik Deutschland in Kassel. Er ist Mitglied der Grundwertekommission der SPD.

Abgesehen von dem kurzen Honeymoon mit Selfies gab es diese Gereiztheit bereits recht früh. Die FDP verlor eine Landtagswahl nach der anderen, war entsprechend nervös und sah sich als Verliererin in der Ampelkoalition. Jetzt hat sich die Rollenverteilung zu Lasten der Grünen verändert, die sich nun in der Defensive sehen und nervös wirken. Das mag an der besonderen Dynamik einer Dreierkoalition liegen. Die produziert schnell 2:1 Verhältnisse, in denen sich jene Partei als Verliererin fühlt, die im Machtspiel Alleine zu sein scheint. Das interne Streitniveau der Ampel ist aber nicht besonders hoch. Man erinnere sich an den erbitterten Kulturkampf zwischen CDU und CSU nach 2015.

Die Grünen haben aber den Eindruck, beim Klimaschutz nun gegen FDP und Scholz kämpfen zu müssen. Zu Recht?

Die Grünen sind stark an Inhalten orientiert, Scholz und die SPD-Elite folgen eher einer Funktionslogik. Sie sorgen für die Machtbalance in der Koalition. Der grüne Wirtschaftsminister Habeck hat zwei Gesetzesvorhaben miserabel gemanagt, die zentral für die Energiewende sind: zuerst die Gasumlage und nun das Heizungsgesetz. Scholz und SPD hegen den Verdacht, dass die Semiprofessionalität der Grünen gefährlich für den Bestand der Koalition wird. Für Scholz ist entscheidend, dass das Projekt Ampel funktioniert.

Ein früher Gesetzentwurf des Wirtschaftsministeriums zum Austausch fossiler Heizungen wurde an „Bild“ durchgestochen, die eine wuchtige Angstkampagne starteten. Lag der Fehler also bei Habeck?

Ja. Dass Gesetzentwürfe früh zum Schaden der Urheber kommuniziert werden, muss man einpreisen. Es war absehbar, dass alleine schon die Kommunikation darüber, dass fossile Heizungen ausgetauscht werden müssten, vielen den Angstschweiß auf die Stirn treiben würde. Vor allem Ältere haben das als existenzielle Bedrohung empfunden. Es war ein handwerklicher Fehler, diesen älteren Eigentümern nicht vorab zu signalisieren: Nur die Ruhe, es gibt Vorlaufzeiten und soziale Kompensationen.

War Habeck nicht doch das Opfer einer Kampagne, so wie beim Veggieday und der Eigenheimdebatte?

Die Grünen haben die von den Boulevard-Medien geschürten Emotionen unterschätzt, was vermutlich auch damit zusammenhängt, dass sie die politische Dynamik in einer alternden Gesellschaft zu wenig verstehen. Und sie haben übersehen, dass sie der FDP als Korrektiv damit eine Steilvorlage geben und zu deren möglicher Neustärkung beigetragen.

Denn auch viele SPD-Wähler hatten den Eindruck: Es war gut, dass die FDP an diesem Punkt auf die Bremse getreten ist und eine schnelle Änderung auf unsere Kosten verhindert hat. Die Grünen hatten in der Ampel bisher einen guten Lauf; vielleicht sogar etwas Prinzessinenhaftes. Das ist erstmal vorbei.

Was können die Grünen aus dieser Niederlage lernen?

Sie müssen das Verhältnis zwischen notwendigen Veränderungen und Zumutungen auf der einen und den Überforderungsgefühlen auf der anderen Seite besser ausbalancieren. Vor allem den betroffenen Menschen muss früher und glaubwürdiger gezeigt werden, dass keine Überforderung droht.

Und sie müssen in ihrer Kommunikation – und Politik generell – die Alterung der Gesellschaft viel stärker beachten. Sonst drohen Blockaden bei notwendigen politischen Reformen. Allerdings gilt auch: dass die Grünen nun als Verlierer dastehen, ist nur eine Momentaufnahme. Das große Verdienst der Grünen ist ja, dass sie die ambitionierte Klimapolitik der Ampel zum Laufen gebracht haben.

SPD und Grünen konkurrieren um die Rolle, führende Kraft der linken Mitte zu sein. Ist auch das ein Grund für die angespannte Stimmung in der Ampel?

Das ist eine strukturelle Konkurrenz, die bleiben wird. Aber ich halte das für eine positive Herausforderung. Die Grünen sind treibender Akteur der Klimawende. Dagegen ist die SPD eher in der Lage, für eine angemessene Übersetzung zu sorgen. Sie ist in den unteren und mittleren Schichten besser verankert und hat ein besseres Gespür für die schwächeren Teile der Gesellschaft. Das kann ein nützlicher Wettbewerb mit einer produktiven, korrektiven Wirkung in beide Richtungen sein.

Scholz Interesse ist es, die Grünen nicht zu groß und die FDP nicht zu klein werden zu lassen. Der Dämpfer für die Grünen scheint ihm nicht unlieb zu sein.

Scholz ist Zentrist, und versucht vom Zentrum aus, die jeweils schwächeren Teile der Koalition aufzuwerten. Das entspricht der Funktionslogik dieser Koalition. Der Kanzler muss ein elementares Interesse an der Handlungsfähigkeit der FDP haben, ohne die die Ampel nicht funktioniert. Die Ampel ist aber kein bloß zufälliges machtpolitisches Bündnis mit einer abstrakten funktionellen Logik, sondern ein durchaus repräsentatives Abbild der Gesellschaft. Und indem die drei Parteien mit ihren Korrektivfunktionen die Interessen der Gesamtgesellschaft widerspiegeln, müssen auch die gesellschaftlichen Reaktionen mitgedacht werden.

Scholz ist, wie Merkel, blass in den Begründungen seiner Politik. Den Ampel-Kompromiss „sehr, sehr, sehr gut“ zu nennen wirkte unsouverän…

Dieser leichtfertige Superlativ sollte sein Bild als guter Hirte bekräftigen, der dafür sorgt, dass niemand zu sehr belastet wird und am Ende alles rund läuft.

Scholz Hirten-Botschaft – Wandel ohne Zumutung – ist riskant. Denn wenn es doch Belastungen gibt, schwindet seine Glaubwürdigkeit…

Scholz hält die Bereitschaft der Gesellschaft, sich auf den schwierigen Weg der Transformation einzulassen, für eher gering. Es spricht viel dafür, dass er damit richtig liegt. Daher die Rolle des guten Hirten. Habeck verkörpert das rhetorische Gegenmodell. Er sendet: Der Weg ist dornig, aber wir werden es gemeinsam schaffen. Habeck ist ein Meister dieser widersprüchlichen Rhetorik,die farbiger wirkt als Scholz Versprechen, dass alles gut wird. Aber Habeck ist auch nicht Kanzler.

Die Haushaltsverhandlungen sind unter den Bedingungen der Schuldenbremse stressig. SPD-Linke wollen die Einnahmen erhöhen. Geht da was mit der FDP?

Das scheint gegenwärtig unwahrscheinlich. Sinnvoller als Phantomdebatten über Sparpolitik oder Steuererhöhungen zu führen scheint es mir deshalb, das vorhandene, nicht abgerufene Geld zu mobilisieren und das Verhältnis von dringlichen und wichtigen Ausgaben besser in eine austarierte Agenda zu bekommen. Das setzt aber voraus, dass zwischen den Parteien und innerhalb der Ampel um diese Prioritätenordnung gerungen wird.

Nämlich?

Das fängt bei den 100 Milliarden fürs Militär an und endet nicht mit dem Digitalpakt Schule. Da sind von sechs Milliarden erst rund 1 Milliarde abgerufen worden. Es gibt viele solcher Programme, bei denen es ähnlich ist. Planungszeiten und Arbeitskräftemangel leisten auch ihren Beitrag dafür, dass gar nicht so viel ausgegeben werden kann, wie notwendig wäre.

Und Schuldenbremse ist gar kein Problem?

Doch, wir brauchen mittelfristig eine Reform der Schuldenbremse und mehr Mittel für Investitionen, um ein nachhaltigeres, moderneres Deutschland zu schaffen, mit Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz, modernem Verkehr, gutem Bahnsystem und gedämmten Gebäuden. Dafür müsste auch der Teil, der jetzt blockiert…

die FDP…

…mit ins Boot steigen.

Wie schneidet die Ampel verglichen mit der letzten Großen Koalition ab?

Sie ist viel erfolgreicher. Sie hat mehr in Bewegungen gesetzt, siehe Mindestlohn, Bürgerversicherung und die vielen Projekte, um auf Krieg, Inflation und Energiemangel zu reagieren. Und bei der Kindergrundsicherung wird noch etwas kommen. Die Ampel läuft aber nicht von selbst oder auf Autopilot. Und es gibt personalisierte und elektorale Nervositäten. Aber das ist nichts, was ihre Fortdauer oder Handlungsfähigkeit gegenwärtig gefährdet, so lange die Union als Koalitionspartner keine Chance hat.

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