Prozesse wegen Krebs durch Glyphosat: US-Richter drängt Bayer zu Vergleich
Bereits nach dem ersten Schuldspruch unter seiner Leitung: Richter Chhabria ordnet Gespräche über eine gütliche Einigung an.
Glyphosat ist der weltweit meistverkaufte Pestizidwirkstoff und ein Symbol für die chemiegetriebene Landwirtschaft. Zwei US-Gerichte haben ihn für Krebserkrankungen verantwortlich gemacht und der Bayer-Tochterfirma Monsanto zu jeweils rund 80 Millionen Euro verurteilt. Daraufhin brach der Aktienkurs des Konzerns um rund 40 Prozent ein. Auch in Europa wird diskutiert, Glyphosat zu verbieten. Das Gift tötet so gut wie alle nicht gentechnisch veränderten Pflanzen und damit auch Nahrung für Vögel und Insekten.
Die Anordnung zu Vergleichsverhandlungen zum jetzigen Zeitpunkt überrascht, weil Richter Chhabria eigentlich erst drei Musterverfahren abwarten wollte. Offenbar scheint ihm die Sache aber bereits nach dem ersten Schuldspruch Monsantos unter seiner Leitung so klar, dass er einen Vergleich für angemessen hält. Anfragen der taz ließ er bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
„Wir werden selbstverständlich dem Beschluss des Gerichts hinsichtlich des Eintritts in eine Mediation Folge leisten“, sagte Bayer-Sprecher Rolf Ackermann. Allerdings befinde sich der Verfahrenskomplex nach erst zwei Jury-Urteilen noch in einer frühen Phase, zumal in noch keinem Fall die Berufung durchlaufen worden sei. Bayer konzentriere sich daher weiterhin darauf, seine glyphosatbasierten Unkrautvernichtungsmittel und deren Sicherheit vor Gericht zu verteidigen.
Einigung zum jetzigen Zeitpunkt unwahrscheinlich
Bayer hatte Ende März einen richtungweisenden Fall am Bundesbezirksgericht in San Francisco unter Vorsitz von Chhabria verloren. Die Geschworenen-Jury urteilte, dass Monsanto für Krebsrisiken des Unkrautvernichters Roundup mit dem Wirkstoff Glyphosat haftbar ist und dem 70-jährigen Kläger Edwin Hardeman Schadenersatz in Gesamthöhe von 80,3 Millionen Dollar (71,4 Mio Euro) zahlen muss. Bereits im letzten Jahr hatte eine Jury an einem anderen Gericht Monsanto in einem weiteren Fall zu einer Millionenzahlung verdonnert.
Ende Januar lagen Bayer bereits Klagen von 11.200 Klägern vor. Analyst Richard Vosser von der US-Bank JPMorgan geht davon aus, dass die Zahl auf mindestens 15.000 steigen wird. Er rechnet mit Belastungen für Bayer in Höhe von 5 Milliarden Euro.
Analyst Daniel Wendorff von der Commerzbank bezweifelt angesichts der vielen Klagen, dass Bayer sich schon jetzt auf einen Vergleich einlassen werde, da sonst ein Präzedenzfall geschaffen werden könnte. Daher werde eine Mediation vermutlich nicht zu einem für alle Beteiligten akzeptablen Ergebnis führen.
Schuldspruch auch in Frankreich
Bayer war auch am Donnerstag unter den größten Verlierer in Deutschen Aktienindex (Dax) mit einem Minus von 1,1 Prozent. Bayer-Chef Werner Baumann hatte eingeräumt, dass die Übernahme des Glyphosat-Herstellers Monsanto die Reputation des Unternehmens beschädigt habe. Zudem urteilte das Berufungsgericht im französischen Lyon, dass ein weiteres Monsanto-Pestizid verantwortlich für die Gesundheitsprobleme eines Landwirts ist.
Dabei geht es um den Unkrautvernichter „Lasso“ mit dem Wirkstoff Alachlor. Kläger ist der heutige Biobauer Paul François, der mit dem inzwischen verbotenen Mittel früher seine Felder behandelte. Der Landwirt gibt an, unter schweren neurologischen Schäden zu leiden, seit er 2004 Dämpfe des Herbizids einatmete.
In erster Instanz 2012 und im Berufungsverfahren 2015 gaben französische Gerichte François Recht, Monsanto legte jedoch Rechtsmittel ein. François will mehr als eine Million Euro Schadenersatz von dem Unternehmen erstreiten.
Das Lyoner Gericht hat laut Bayer nicht entschieden über eine mögliche Entschädigung für den Landwirt. Darum gehe es in einem separaten Verfahren. Monsanto solle aber 50.000 Euro für den Anwalt des Klägers zahlen. Lasso ist seit 2007 in Frankreich verboten, in Deutschland seit 1992.
Neuer Beleg für Krebs durch Glyphosat?
Unterdessen hat ein Berichtsentwurf der US-Behörde für giftige Substanzen und das Seuchenregister (ATSDR) einen Zusammenhang zwischen Glyphosat und Krebs bestätigt. „Zahlreiche Studien berichten von einem relativen Risiko größer als 1 für Zusammenhänge zwischen Glyphosat-Exposition und dem Risiko von Non-Hodgkin-Lymphomen oder myeloischer Leukämie“, heißt es in dem Papier, das die Behörde nun zur öffentlichen Diskussion gestellt hat. „Größer als 1“ bedeutet ein erhöhtes Risiko für diese Krebsarten.
Zwar ergänzte das Amt, dass die Verbindungen „nur in wenigen Studien“ statistisch signifikant seien. Aber das heißt, dass es sehr wohl aussagekräftige Belege gibt. (mit dpa/afp)
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