Prozesse gegen rechte Hooligans: „Wir sind wegen den Zecken hier!“
Der Angriff von über 200 Neonazis auf Leipzig-Connewitz beschäftigt seit einem Jahr die Gerichte. Am Anfang gab es Haftstrafen, dann wurde es milder.
Am 11. Januar 2016 war die größtenteils vermummte und bewaffnete Gruppe durch den alternativ geprägten Stadtteil gezogen. Die Polizei setzte 215 der meist ortsunkundigen Angreifer fest. Sie waren vor den anrückenden Beamten in eine Seitenstraße geflüchtet, an deren Ende eine Polizeistation liegt. Doch bis die ersten von ihnen wegen des Angriffs vor einem Leipziger Gericht standen, vergingen mehr als zweieinhalb Jahre.
Es ist eine Mammutaufgabe für die sächsische Justiz: In 103 Verfahren an Amtsgerichten in Leipzig und Umgebung müssen sich meist zwei Angeklagte gleichzeitig für den „Sturm auf Connewitz“ verantworten. Gegen neun Personen wird gesondert in Dresden verhandelt. Die Zwischenbilanz: 30 der Angreifer wurden bislang in Leipzig wegen „besonders schwerem Landfriedensbruch“ verurteilt. Was zunächst hart klingt, ist tatsächlich relativ milde. Dabei wirkten die Gerichte zu Beginn noch konsequent.
Haftstrafe zum Auftakt
Ein Jahr und acht Monate Haft ohne Bewährung lautete das erste Urteil am 23. August 2018. Angesichts der massiven Zerstörungen sei dem Bürger auf der Straße eine Bewährungsstrafe nicht zu vermitteln, führte Richter Marcus Pirk in der Urteilsbegründung aus. Die Verteidigung hatte Freispruch für beide Angeklagten gefordert. Ihre Mandanten äußerten sich nicht zu den Tatvorwürfen.
Bereits drei Wochen nach dem ersten Urteil zeigt sich am Amtsgericht aber ein anderes Bild. Erneut ging es um den Angriff auf Connewitz, doch schon vor Verhandlungsbeginn stand fest, dass an diesem Tag keine Haftstrafen verhängt würden. In einer Verfahrensabsprache hatten sich Verteidigung, Staatsanwaltschaft und Gericht geeinigt, dass die Angeklagten Bewährungsstrafen erhalten, sofern sie gestehen. Dies entlaste vor allem potenzielle Zeugen, auf deren Befragung verzichtet werden kann, sagte Richter Pirk zur Begründung.
„Dass der Richter sich auf einen Deal mit einem einschlägig bekannten Neonazianwalt einlässt, ist ein Skandal“, kommentierte die Linken-Landtagsabgeordnete und Stadträtin Juliane Nagel und verwies auf die mögliche Rolle von Verteidiger Olaf Klemke. Im NSU-Prozess trat er als Anwalt von Ralf Wohlleben auf, seit seinem Auftritt am Leipziger Amtsgericht scheinen die Weichen für den weiteren Verlauf der Connewitzprozesse gestellt.
Nur das nötigste gestanden
„Geständige Einlassung gegen Bewährung“ scheint die Formel fortan zu lauten. Für den Deal reichen bereits minimale Einlassungen. Kaum ein Angeklagter gibt wesentlich mehr preis, als dass er am Tatabend vor Ort war. Nur eine Person räumt ein, selbst etwas beschädigt zu haben. Einige wollen den Gewaltexzess von ihrem Standpunkt aus kaum mitbekommen haben. Auf die Frage, in welchem Teil der Gruppe sie sich befanden, lautet die Antwort entweder „hinten“, „ganz hinten“, „im hinteren Teil“ oder „in der letzten Reihe“.
Zuweilen scheint es, dass dem Gericht mehr an effizienter Abarbeitung der Fälle als an neuen Erkenntnissen liegt. Aufgrund der Absprache dauern die Verhandlungen nicht mehrere Tage, sondern nur noch wenige Stunden.
Der Rekord liegt bei zwei Stunden zwischen Eröffnung und Urteilsverkündung – inklusive 45-minütiger Unterbrechung: Beide Angeklagten ließen innerhalb von dreieinhalb Minuten durch ihre Verteidiger erklären, dass sie am besagten Abend in Connewitz waren und mit der Gruppe mitgelaufen sind.
„Streng genommen sind wir als Gericht gar nicht in der Lage, all diese Verfahren vollumfänglich zu führen“, gesteht Richter Pirk zum Schluss der aktuellsten Verhandlung Mitte Juni ein. Eigentlich wollte er lediglich ausführen, warum die Geständnisse als wesentliche Erleichterung für Gericht und Zeugen strafmildernd zu werten seien. Letzten Endes legen seine Worte das zentrale Dilemma der Prozessreihe offen.
Nur Sachschäden im Fokus
Eine Zahl findet sich jedes Mal in der Schadensliste: 516,73 Euro. Es sind die Kosten für das zerstörte Fenster einer Wohnung. Was unter den Tisch fällt: Hinter dem Fenster, das mit einer Rauchpatrone durchschossen wurde, stand der Bewohner. Entgegen der in fast jedem Termin geäußerten Wahrnehmung, nur durch Glück sei niemand verletzt worden, gab es an dem Abend keineswegs nur Sachschäden.
Erst als die taz und das Leipziger Stadtmagazin kreuzer berichteten, dass ein Anwohner durch ein Rauchgeschoss verletzt wurde und dies den Behörden nachweislich bekannt ist, lud das Amtsgericht ihn kurzfristig als Zeugen zu einem der Prozesse. Es blieb bei einer einmaligen Aussage.
Der Mann ist nicht die einzige Person, die am Tatabend angegriffen und verletzt wurde. Bei den Verhandlungen am Landgericht Dresden spielen Angriffe auf Menschen auch eine entscheidende Rolle. So hat die Generalstaatsanwaltschaft dort gegen acht Personen nicht nur Anklage wegen besonders schwerem Landfriedensbruch erhoben, sondern auch wegen gefährlicher Körperverletzung in vier tateinheitlichen Fällen. Bei der Staatsanwaltschaft Leipzig heißt es dagegen, diese Körperverletzungen hätten das Gesamtgeschehen „nicht wesentlich geprägt“.
Zaunlatten und Totschläger
Dass einige der Angreifer keineswegs nur auf Sachbeschädigungen aus waren, war schon vor Beginn der juristischen Aufarbeitung klar. Noch am Tatabend stellte die Polizei zahlreiche Messer, mit Nägeln gespickte Zaunlatten, Totschläger und mindestens eine Axt sicher. Mit Zahnschutz und Quarzhandschuhen ausgestattet, schienen mehrere Angreifer auf eine körperliche Auseinandersetzung bestens vorbereitet. Polizeivideos zeigen, wie eine vermummte Person mit Holzlatte in der Hand den Beamten entgegenbrüllt: „Wir sind wegen den Zecken hier! Die wollen wir haben!“
In Chats der Angreifer wird das Bedrohungspotenzial ebenso offensichtlich. »Es ist Krieg«, schrieb ein Leipziger Hooligan nur wenige Stunden vor dem Angriff an einen Bekannten, um zu beratschlagen, welche Waffen sie mitnehmen. Vor Gericht spielten diese Nachrichten anfangs kaum eine Rolle, obwohl sie Planungen, Verabredungen zu Gewalttaten und Klarnamen enthalten.
Ende frühestens 2023
Ein Ende der Prozessreihe ist nicht in Sicht. Zwar verhandelt das Amtsgericht mittlerweile zuweilen nicht nur zwei, sondern gleich vier Angeklagte auf einmal. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es schneller vorangeht. Zahlreiche Personen, die seit Jahren wichtige Rollen in der Neonazi-Szene einnehmen, warten noch auf ihren Prozess. Ob diese sich auf einen Deal mit der Justiz einlassen und den szeneüblichen Schweigekodex brechen, ist fraglich.
Wie aufwendig sich solche Prozesse gestalten können, zeigte sich, als im Februar mit Dirk Waldschmidt ein weiterer NSU-Anwalt in Leipzig auftrat. Waldschmidt beantragte, die Richterin wegen Befangenheit abzulehnen. Sie habe den Verhandlungstermin vorsätzlich auf neun Uhr morgens gelegt, obwohl er und sein Mandant eine mehrstündige Anreise haben. Es folgten weitere Anträge, Beschwerden und Rügen der Verteidigung.
Diese Verfahrensverzögerung zelebrierte Waldschmidt bereits bei dem Prozess gegen die Neonazi-Organisation „Aktionsbüro Mittelrhein“ in Koblenz, mit 26 Angeklagten einer der größten Prozesse dieser Art. Das Verfahren, in dem bisher über tausend solcher Anträge gestellt wurden, zieht sich seit 2012 hin. Diese Erfahrung mag einer der Gründe dafür sein, dass in Leipzig statt eines Riesenprozesses lieber auf viele kleine Verfahren zum Connewitzangriff gesetzt wird.
Doch geht es im aktuellen Tempo weiter, würde das letzte erstinstanzliche Urteil frühestens 2023 fallen, sieben Jahre nach dem Angriff. Zudem sind bislang nur 17 Urteile rechtskräftig. Acht Personen schwiegen bislang und wurden zu Haftstrafen verurteilt, alle haben Berufung eingelegt. In diesen Fällen muss am Landgericht erneut verhandelt werden. Termine dafür gibt es bisher nicht.
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