Prozess um Anwaltshonorar in Hannover: „Ein unzumutbares Verhältnis“
Eine Mandantin wirft ihrem Anwalt vor, sie sexuell belästigt zu haben. Der hingegen erwartet ein Honorar für seine Arbeit und klagt.

Etwa ein Jahr später treffen die beiden vor dem Amtsgericht Hannover wieder aufeinander. Mustafa A., der sich selbst vertritt, besteht auf seinem Honorar. Das eine habe mit dem anderen nämlich nichts zu tun, skizziert die Vorsitzende Richterin den Standpunkt des Klägers. Er hatte sie wegen eines Verkehrsunfalls vertreten, konkret kam es zu einem Ordnungswidrigkeitsverfahren und einem Zivilverfahren.
Der taz berichtet Jeanne D. nach der Verhandlung, dass ihr Anwalt Fotos von ihr kommentiert und Termine angesetzt habe, „obwohl es nicht wirklich was zu besprechen gab“. Die 35-Jährige wirkt betroffen, sie spricht leise, erzählt, dass der Anwalt gewusst habe, dass sie sich unwohl fühle. Sie habe sich bemüht, ruhig und freundlich zu bleiben. Das Gefühl der Hilflosigkeit und gleichzeitig das Wissen darum, ihn als Anwalt zu brauchen, hätten sie belastet. Irgendwann habe es gereicht, sagt sie. „Enough is enough – ich will nichts mit ihm zu tun haben.“
Gerichtlich sollte am Dienstag vor dem Amtsgericht geklärt werden, ob die fristlose Kündigung der Mandantin rechtmäßig war. Hier ließ die Richterin keinen Zweifel: Das Verhältnis sei unzumutbar gewesen. Aus Sicht von Mustafa A. sei man sich während des Mandats bloß „freundschaftlich nähergekommen“. So paraphrasiert die Richterin die Sichtweise des Anwalts.
Jeanne D. über ihren früheren Anwalt
Sie kommt auf einen ihr vorliegenden Screenshot eines Chats zu sprechen: Auf ein Foto seiner Mandantin habe Mustafa A. mit den Worten „heißes Bild“, zwei Flammen und einem lächelnden Emoji reagiert. Jeanne D. habe sich bedankt, der Anwalt soll nachgelegt haben mit den Worten „Dein Freund hat Glück“. Äußerungen, die laut der Richterin ausdrücklich „nichts in einem anwaltlichen Verhältnis zu suchen haben und selbst freundschaftlich schwierig“ seien. Mustafa A. lässt sich auf die Bewertungen seines Verhaltens nicht ein. Als habe er nicht hingehört, erklärt er, auf dem Honorar zu bestehen.
„Ich habe jeden Tag Angst, ihm zu begegnen“, sagt Jeanne D. zur taz. Er habe ihr mit den Worten „Du wirst die Konsequenzen sehen“ gedroht, falls sie die Whatsapp-Nachrichten, die er ihr geschrieben hat, jemandem zeige.
Das Verfahren sollte nun klären, inwiefern die erbrachte juristische Leistung überhaupt noch einen Wert hat. Da Jeanne D. einen neuen Anwalt beauftragt hat, der sich, wie die Richterin sagt, „richtig der Sache angenommen“ habe, könnten die Zahlungsansprüche aus dem vorherigen Mandatsverhältnis verfallen. Tatsächlich habe der neue Anwalt das Ordnungswidrigkeitsverfahren übernommen. Dass das auch für das Zivilverfahren gelte, habe die Angeklagte versäumt, anzugeben. Daher müsse Jeanne D. ihren vorherigen Anwalt Mustafa A. dafür bezahlen.
Ihr neuer Anwalt habe sich eines „anwaltlichen Tricks“ bedient, wie Simon Künnen, Richter am Amtsgericht und Ansprechperson für den Fall, im Anschluss des Prozesses erklärt. Es seien keine Anträge vorgetragen und ein „Versäumnisurteil“ in Kauf genommen worden. Die Angeklagte habe zwei Wochen Zeit, Berufung einzulegen.
Auf Anfrage heißt es, dass das geplant sei. In einem zweiten Verfahren wolle die Verteidigung darlegen, dass beide Bestandteile des Falls von einem neuen Anwalt übernommen wurden – wodurch die Leistung von Mustafa A. vollständig wertlos werden könnte. Eine Beschwerde wegen Belästigung und Drohung habe der neue Anwalt von Jeanne D. außerdem eingelegt.
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