Prozess gegen die Letzte Generation: Schläge, die keine waren
Zwei Vertreterinnen der Letzten Generation wurden am Mittwoch freigesprochen. Bei der Aktion in der Hamburger Kunsthalle waren sie nicht gewalttätig.
Tränen sind keine juristische Kategorie, von daher ist es in einem Gerichtssaal eher unerheblich, ob eine Journalistin weint oder ob die Wimperntusche verlaufen ist. Aber sie sind interessant in einem Prozess, den die Angeklagten als Gelegenheit verstehen, die Dringlichkeit ihres Anliegens verständlich zu machen. Am Mittwoch standen Eika J. und Gertrudis K. vor dem Hamburger Amtsgericht, weil sie als Mitglieder der „Letzten Generation“ versucht haben, ein Gemälde in der Hamburger Kunsthalle zu überkleben.
Das Gemälde war „Wanderer über dem Nebelmeer“ von Caspar David Friedrich und laut Eika J. hat der Direktor der Kunsthalle im Nachhinein erklärt, dass er die Bildauswahl der Letzten Generation schlüssig fand. Die wollte es mit einem Poster überkleben, auf dem der Sächsische Wald nicht mehr im Nebel liegt, sondern brennt.
Die Pressebank ist dicht gefüllt an diesem Mittwoch, weil Prozesse gegen die „Letzte Generation“ immer Leserschaft garantieren, aber dieser ist besonders interessant, weil die Anklage Eika J. und Gertrudis K. neben versuchter gemeinschädlicher Sachbeschädigung auch gefährliche Körperverletzung vorwerfen. Sie sollen mit Fäusten auf den Wachmann Farid S., der sich schützend vor das Gemälde stellte, eingeschlagen haben.
Das wäre für eine Aktion der Letzten Generation, die sich zivilen Ungehorsam und Gewaltfreiheit gleichermaßen auf die Fahnen geschrieben hat, verheerend. Kein Wunder also, dass auf der Bank rechts vorne fünf Männer und Frauen sitzen, die, nach den aufmunternden Gesten Richtung Anklagebank zu urteilen, ebenfalls zur Letzten Generation gehören.
Mülltrennung reicht eben nicht
Und kein Wunder, dass Gertrudis K. in ihrer Erklärung zum Verhandlungsauftakt sagt, dass Gewaltfreiheit die „oberste Maxime“ sei und dass sie den Wachmann „nicht körperlich angegangen“ hätten. K. ist eine schmale Frau mit leiser Stimme, 57 Jahre alt und Mutter zweier Kinder. Ihre Hand mit dem Papier zittert, als sie die Erklärung vorliest.
Es ist tatsächlich im engeren Sinne eine Erklärung, wie sie als Tochter eines sehr christlichen Elternhauses dazu angehalten worden sei, „selbstständig zu denken“. Dass sie eben als „durchschnittliche Bürgerin Deutschlands“ erkannt habe, dass es nicht ausreiche, treu seinen Müll zu trennen, wenn die Politik ihre Aufgabe, die Lebensgrundlagen zu erhalten, nicht erfülle.
Bildungsbürgerliche Menschen wie K. und J. sieht man in der Regel eher als Schöffen denn als Angeklagte im Gericht und K. thematisiert diesen Hintergrund auch: „Ich sehe uns besser Situierte in der Pflicht“, sagt sie und erst am Schluss erlaubt sie sich etwas Pathos: „Ich bin bereit, Repressionen auf mich zu nehmen, um meinen Kindern weiter in die Augen schauen zu können.“
Eika J., die zweite Angeklagte trägt ein Blumenkleid, das nicht über ihre Entschlossenheit hinwegtäuscht, sie ist Mutter vierer Kinder und hat Mathematik und Biologie studiert. Sie hat sich bei Fridays for Future engagiert, Vorträge gehalten, aber ihre Wut, dass „Lobbyismus und Einzelinteressen die Überhand behalten“ wuchs. Sie findet, „dass wir uns Protest, der ignoriert werden kann, nicht mehr leisten können“.
Gemälde blieb heile
Gut für beide Angeklagte, das zeigt sich schnell, dass die Letzte Generation die Aktion in der Kunsthalle im März dieses Jahres gefilmt hat. Das Gericht nimmt ein Video in Augenschein, auf dem zu sehen ist, wie sich die Angeklagten in Warnwesten dem Gemälde nähern, das durch eine Glasscheibe geschützt ist. Der Wachmann Farid S. stellt sich mit dem Rücken schützend davor. „Hört auf“, „Security“ ist zu hören, ein Besucher zieht J. weg, die sich nicht dagegen wehrt. Anschließend kleben K. und J. das Poster auf den Boden und J. ruft „Wir lassen euch nicht länger wegschauen“.
An keiner Stelle attackieren K. und J. den Wachmann. Der kommt als Zeuge, ein kompakter Mann mit weißem Hemdkragen unter dem dunklen Pullover. Er sagt, dass die Aktivistinnen ihn attackiert hätten, dann versuchten, das Poster aufzukleben und als das gescheitert sei, es auf den Boden geklebt hätten. Er sagt, dass er das Bild geschützt habe und dass die Kollegen ihn später dafür gelobt hätten.
Die Staatsanwältin hält ihm vor, dass seine Aussage bei der Polizei eine andere gewesen sei: Dort habe er gesagt, dass die Frauen erst versucht hätten, das Poster anzubringen, dann Farid S. schubsten und danach an dem Gemälde gezogen hätten. „Es war so, wie es im Papier steht“, sagt Farid S. Das Gericht lässt das Video noch einmal abspielen. „Das ist doch Quälerei für ihn“, sagt Gertrudis K.
Danach geht alles ziemlich schnell. Die Staatsanwältin plädiert auf Freispruch. Die Anwältinnen schließen sich an. Und die Richterin gibt ihn. Es gebe keine Anhaltspunkte für eine Körperverletzung, sagt sie. Warum Farid S. das behaupte, sei nicht zu klären. Die Angeklagten hätten eine Beschädigung des Gemäldes nicht gewollt – damit bleibe deren Handeln knapp im Bereich der Fahrlässigkeit. Dann merkt sie noch etwas an, was das Formaljuristische verlässt: Sie könne die Motive der Angeklagten menschlich nachvollziehen. Aber was sie täten, „hat durchaus Konsequenzen für Dritte“.
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