Prozess gegen Klima-Aktivist*innen: Zweierlei Maß bei Nötigung
Vor dem Amtsgericht Achim müssen sich Klimaaktivisten wegen schwerer Nötigung rechtfertigen. Eine ähnliche Anklage in Bremen wurde nicht zugelassen.
Nötigung, um genau zu sein, sogar Nötigung im besonders schweren Fall. Sechs Monate bis fünf Jahre Haft drohen darauf. Der Vorfall, der verhandelt werden soll, ist nun bereits gut drei Jahre her. Im April 2021, anlässlich der Verkehrsministerkonferenz in Bremen, sollen sich die Verkehrswendeaktivist*innen von der Autobahnbrücke abgeseilt und Transparente angebracht haben, „in der Aufmachung eines Autobahnschildes“, liest der Staatsanwalt vor. „.Weiter so! Immer weiter Richtung Klimawandel!“ habe darauf gestanden.
Die Vorwürfe, die die Staatsanwaltschaft aufzählt: Gemeinschaftlich handelnd in abgeschlossene Räume eingedrungen zu sein; rechtswidrig Gegenstände zum öffentlichen Gebrauch zerstört zu haben; Tausende Menschen menschenrechtswidrig genötigt zu haben. Oder, konkret gefasst: Aktivist*innen hätten eine abgesperrte Schilderbrücke an der Autobahn betreten; das Autobahnschild sei durch Klebeband beschädigt worden; und als sie von der Brücke geholt wurden, da gab es einen Stau. Einen menschenrechtswidrigen.
Der Vorwurf der schweren Nötigung erfordert für gewöhnlich den bedenkenlosen Einsatz physischer Gewalt. Das Strafgesetzbuch nennt zwei Beispiele für besonders schwere Fälle: Eine Schwangere zum Schwangerschaftsabbruch nötigen und Nötigung durch Amtsmissbrauch. „Dass die Aktion an der A27 damit verglichen wird, das ist“, der Angeklagte Ruben G. sucht nach Worten, „widerlich“, ruft ein Zuschauer im Prozess.
Nötigung oder Wahrnehmen von Grundrechten
Der Vorwurf der Nötigung wurde nach der Verkehrsministerkonferenz auch von der Staatsanwaltschaft Bremen für die ähnlich gelagerten Aktionen auf Bremer Landesgebiet erhoben – der damit begründete Antrag auf eine Hausdurchsuchung wurde aber sowohl vom Amts-, als auch in zweiter Instanz vom Landgericht abgelehnt. Dem Ziel der Aktion – auf die Notwendigkeit des Klimaschutzes hinzuweisen, stünde als „existenzielle Frage der Allgemeinheit“ größeres Gewicht zu als Eigeninteressen – hier also den Eigeninteressen der Autofahrer.
„Eigentlich wird bei jeder Versammlung jemand genötigt“, findet auch Tabea M., die heute in Achim angeklagt ist. „Wer das anklagt, untergräbt wesentliche Freiheitsrechte.“ Schließlich schreibe das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht vor, wo man sich versammeln solle – in der Fußgängerzone, auf einer Autostraße oder auch auf einer etwas größeren Straße.
M. und ihr Mitangeklagter stehen mit etwa zwanzig Unterstützer*innen vor der Tür des Amtsgerichts im Zentrum von Achim. Der Prozess verzögert sich, sodass sie die Möglichkeit haben, ihren Standpunkt zu erläutern.
In ihrem Fall, sagt sie, sei der Vorwurf besonders absurd. „Es wurde ja überhaupt kein physisches Gewaltmittel angewandt“, sagt M.. Nicht einmal den Stau hätten die Aktivist*innen bei der fraglichen Aktion selbst verursacht – „den gab es nur durch die Polizeisperrung“.
Der Vorwurf der Nötigung wird dennoch gern in Prozessen gegen politische Aktivist*innen verwendet. Es ist schlicht schwierig, im Strafgesetzbuch andere mögliche Paragrafen gegen Aktionen zivilen Ungehorsams zu finden. „Es geht ihnen nicht wirklich um Strafparagrafen“, kritisiert der Angeklagte Ruben G., „sondern um eine moralische Ablehnung.“
Einige ihrer Unterstützer*innen befinden sich auf einer Art Prozesstour durch Deutschland: Mittwoch war Lingen, Freitag folgt Flensburg.„Ich weiß, wie es sich anfühlt, vor Gericht zu stehen“, sagt Emma, die heute als Unterstützerin dabei ist. „Es hilft mir, meine Stimme zu finden, wenn ich weiß, dass Leute hinter mir stehen.“
Deshalb sei es für sie selbstverständlich, dabei zu sein. „Das ist kein Spaß für uns, das ist einfach notwendig.“ Für manche ist derweil vielleicht auch ein bisschen Spaß dabei: Die Aktivistin Hannah Poddig erzählt gerade von ihren schönsten Prozessen, den derbsten Vorwürfen, den besten Verkleidungen. Im Gerichtssaal wird gescherzt und gelacht.
Politische Prozessführung – mit Laienverteidigung
Beide Angeklagten lassen sich von Laienverteidiger*innen vertreten. „Wir verteidigen uns gegenseitig“, erklärt Verteidigerin Salome. Jura hat sie mal studiert, wenn auch ohne zweites Staatsexamen. Laienverteidiger sorgten vor Gericht für eine andere Atmosphäre.
Strafverteidiger wollten zumeist einen schnellen Prozess, drängten auf einen Vergleich, knieten sich nicht so rein. „Wenn es die Prozesse gegen uns schon gibt“, sagt Salome, dann wollen wir sie auch auf Augenhöhe führen. Wir führen sie politisch.“ So ein Prozess sei beides, sagt sie, „Einschüchterung und Bühne – die Frage ist, was wir draus machen“.
Was das heißt? Ausschweifen, vor allem. Es geht um abgehackte Wälder und darum, wie grün Elektroautos sind, um Wirtschaftswachstum, um kranke Flüsse, fehlende Natur in Europa, um Nationalismus und abgeriegelte Grenzen gegenüber Geflüchteten – und viel um Prozessrechte, ein paar alberne Gags gibt es: „Nicht, dass das Gericht mich wegen Entziehung von elektrischer Energie anklagt.“
Die Richterin ist ein bisschen genervt von dem Aktivismus, zeigt aber Humor. „Schade, dass wir heute nicht darüber sprechen!“, klagt Ruben G., nachdem er die Nötigungen durch Feinstaub, Verkehrsunfälle und Umweltzerstörung beklagt hat. „Das wissen wir doch noch gar nicht“, entgegnet die Richterin. „Wir haben doch noch keinen einzigen Zeugen gehört. Wer weiß, zu was wir noch alles kommen.“ Der Prozess wird kommende Woche fortgesetzt.
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