Prozess gegen Flüchtlingsaktivist:innen: Auf die Hilfe droht die Haft
In Griechenland stehen ab Donnerstag 24 Flüchtlingshelfer:innen vor Gericht. Darunter sind der Ire Seán Binder sowie die Syrerin Sarah Mardini.
„Wir erwarten einfach, dass die Behörden ihre eigenen Gesetze einhalten – die Pflicht zur Rettung, den Grundsatz der Nichtzurückweisung, das Recht, Asyl zu beantragen“, schrieb Binder vor dem Verhandlungsbeginn auf Twitter.
Der heute 27-jährige Ire hatte sich 2017 als Freiwilliger der griechischen NGO International Emergency Response Centre angeschlossen. Er hatte vor der griechischen Insel Lesbos nach Booten in Seenot Ausschau gehalten, um sich um mögliche Schiffbrüchige zu kümmern. Zu jener Zeit ertranken in dem Seegebiet Hunderte Menschen bei der Überfahrt aus der Türkei.
2018 wird Binder zusammen mit 23 anderen Aktivist:innen, darunter die syrische Leistungsschwimmerin Sarah Mardini, verhaftet. Die Justiz warf ihnen unter anderem Spionage, Menschenhandel und die Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation vor. Nach mehr als drei Monaten in Untersuchungshaft werden Binder und Mardini am 5. Dezember 2018 gegen Kaution freigelassen.
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Justiz hält am Spionage-Vorwurf fest
Die Justiz hält weiter an den Vorwürfen Spionage, Schlepperei und Mitgliedschaft in einem kriminellen Netzwerk fest. Kürzlich entschied die Staatsanwalt in Lesbos, einen Teil der Anklagepunkte – darunter „unrechtmäßige Nutzung von Funkfrequenzen“ – in einem eigenen Verfahren vorzuziehen. Für diese Anklagepunkte allein droht Binder eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren. Die Mitangeklagte Mardini ist mit einer Einreisesperre belegt – gegen sie wird am Donnerstag in Abwesenheit verhandelt.
Es handele sich um eine „ungerechte und unbegründete Strafverfolgung, bei der ihnen sehr schwere Vorwürfe gemacht werden, die im Falle eines Schuldspruchs zu 25 Jahren Gefängnis führen können“, schreibt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International zu dem Fall. Die Haltung des Staates gegenüber Seán Binder unter den Regierungen von Syriza und der Nea Dimokratia „verleumdet Griechenland international“, sagte Ex-Finanzminister Yannis Varoufakis.
Derweil präsentierten die NGO Oxfam und der griechische Flüchtlingsrat eine Studie, die zeigt, dass nicht nur Helfer:innen, sondern auch Geflüchtete in Griechenland immer länger im Gefängnis bleiben. Seit 2019 dürfen Asylbewerber*innen auch zwecks Überprüfung ihrer Identität für bis zu drei Jahre inhaftiert werden, Alternativen zur Haft müssen nicht mehr geprüft werden. Im Juni 2021 waren in Griechenland rund 3.000 Migrant:innen inhaftiert, dies werde zum „De-facto-Standard“, so Oxfam. Sieben von zehn Migrant:innen ohne regulären Aufenthaltstitel – darunter Schwangere und Kinder – würden in Verwaltungshaft genommen und blieben auch dann inhaftiert, wenn sie einen Asylantrag stellen. Jede:r fünfte Inhaftierte werde länger in Polizeizellen festgehalten, wo sie eigentlich nur wenige Stunden bleiben sollten.
46 Prozent der inhaftierten Migrant:innen bleiben mehr als sechs Monate in Verwaltungshaft. „Die Verwaltungshaft soll Menschen davon abhalten, in Europa Schutz zu suchen. Deshalb wird sie zur Regel gemacht, statt eine Ausnahme zu bleiben,“ sagt Vasilis Papastergiou vom Griechischen Flüchtlingsrat. Das sei „moralisch untragbar“ und ein Rechtsverstoß.
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