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Proteste nach Mubarak-Urteil in ÄgyptenGewalt gegen Demonstranten

Ägyptische Sicherheitskräfte gehen gewaltsam gegen Proteste in Kairo vor. Tausende Demonstranten gingen nach dem Freispruch für Mubarak auf die Straße.

Rund 2000 junge Menschen gehen in der Nacht in Kairo auf die Straße. Bild: ap

KAIRO dpa | Nach der Einstellung des Prozesses gegen Ex-Präsident Husni Mubarak sind ägyptische Sicherheitskräfte in der Hauptstadt Kairo mit Gewalt gegen Proteste von Gegnern des früheren Staatschefs vorgegangen. Rund 2000 junge Menschen protestierten gegen das Urteil. Ihre Wut richtete sich auch gegen das Militär, dessen früherer Chef Abdel-Fattah al-Sisi mittlerweile Präsident des Landes ist.

Sicherheitskräfte hätten in der Nähe des Tahrir-Platzes Tränengas gegen die Demonstranten eingesetzt und Dutzende von ihnen festgenommen, berichtete die ägyptische Internetseite Al-Masry al-Youm am Samstagabend. Ein Sprecher des Gesundheitsministeriums sagte dem US-Sender CNN, ein Mensch sei getötet und neun weitere seien verletzt worden.

Der Tahrir-Platz selbst war zuvor abgeriegelt worden. Er war im Frühjahr 2011 das Zentrum von Massenprotesten, die zum Rücktritt Mubaraks führten. Im Küstenort Alexandria lösten die Sicherheitskräfte eine Kundgebung von Mubarak-Gegnern auf. Vier von ihnen seien festgesetzt worden, berichtete die Zeitung Al-Ahram.

Ein Strafgericht in Kairo hatte am Samstagmorgen die Anklage gegen den 86-Jährigen wegen des Todes von mehr als 800 Demonstranten während des Aufstands gegen ihn fallengelassen. Damit entgeht Mubarak einem Schuldspruch. Die Staatsanwaltschaft hatte die Todesstrafe gefordert. Zugleich sprach das Kairoer Gericht Mubarak vom Vorwurf frei, Staatsgelder veruntreut zu haben.

Im Januar und Februar 2011 hatten Demonstranten tagelang den Tahrir-Platz besetzt und den Rücktritt des Langzeitpräsidenten gefordert. Polizeikräfte und Schlägertrupps gingen mehrmals auf die Protestierenden los, bevor Mubarak am 11. Februar 2011 seinen Rücktritt bekanntgab. Eine vom Militär eingesetzte Richterkommission ermittelte im Anschluss den Tod von mindestens 846 Menschen. Laut Kommission konnte ein Schießbefehl gegen die Demonstranten nur mit der Zustimmung des Präsidenten erteilt werden.

Vage Begründung

Richter Mahmud al-Raschidi sagte in seiner Begründung, nur die Geschichte und Gott sollten angerufen werden, um ein Urteil gegen jemanden zu fällen, der Ägypten mehr als 30 Jahre als Vize-Präsident und Staatschef gedient habe. Auch Ex-Innenminister Habib al-Adli und Mubaraks Söhne wurden freigesprochen.

Trotz der beiden Urteile kommt Mubarak vermutlich vorerst nicht auf freien Fuß. In einem weiteren Verfahren war der Ex-Präsident im Mai wegen Korruption zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Diese Strafe ende erst im August 2016, zitierte die Internetseite Youm 7 eine Justizquelle. Eine offizielle Bestätigung dafür gab es nicht.

Bei dem neuen Richterspruch handelt es sich um eine Entscheidung in einem Revisionsprozess. Mubarak war im Juni 2012 in einem ersten Verfahren zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das Urteil wurde aber wegen Verfahrensmängeln aufgehoben.

Der 86-Jährige hatte auch im zweiten Prozess jede Schuld an dem Tod der Demonstranten zurückgewiesen. Vor dem Strafgericht sagte er aus, er habe sein Amt aufgegeben, um ein Blutvergießen zu vermeiden. Der gesundheitlich angeschlagene Mubarak lebt seit Monaten in einem Kairoer Militärkrankenhaus. Dorthin wurde er am Samstag zurückgebracht. Jubelnde Anhänger empfingen ihn.

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2 Kommentare

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  • "nur die Geschichte und Gott"...

    Wozu dann Rechtsstaat? Oder Staat überhaupt?

    Eine Staats- und Justiz-Schmierenoperette, wobei die Schmieren aus Blut sind.

    Erinnert an gleiches Verfahren mit Pinochet (und Stroessner, usw.). Und bestätigt eine alte russische Volksweisheit: Kleine Diebe hängt, grosse ehrt man.

    Allertiefsten Respekt vor jenen tausenden, die sich angesichts eines Staats/einer Justiz in solchen Blutvergiesser- und -vertuscherhänden erneut auf die Strasse wagen. Hoffe stark, dass Amnesty International auf stand by ist.

  • Bäumchen wechsel dich, die Seilschaften geben sich gegenseitig die Klinke in die Hand.

    Das ganze erinnert an eine ganz miese Theateraufführung.Die Ägypter müssen dringend politische Kompetenz entwickeln.Bildung, Bildung, Bildung sonst ziehen sie euch weiter über die Rolle.Und bloss nicht dahin wo das Neopatriarchat doktriniert wird.