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Proteste in IranEnde der 40-tägigen Trauer um Amini

In Iran dauert die Trauerzeit traditionell 40 Tage. Die sind nun seit dem Tod der 22-jährigen Kurdin Jina Mahsa Amini vergangen. Es wird mit heftigen Protesten gerechnet.

Zum Ende der traditionellen Trauerzeit werden weitere Proteste erwartet Foto: Hawre Khalid/ap

Paris afp/taz | Seit dem Tod der 22-jährigen Kurdin Jina Mahsa Amini sind an diesem Mittwoch 40 Tage vergangen. Ihre Familie soll der Staat unter Drohungen aufgefordert haben, keine traditionelle Zeremonie abzuhalten. Trotzdem werden landesweit Proteste erwartet, und laut Medienberichten bereiten sich auch die Sicherheitsbehörden darauf vor. Bisher gingen sie gewaltsam gegen Demonstrationen vor.

Doch trotz dieses Vorgehens setzten Stu­den­t*in­nen in Iran bereits am Dienstag landesweit ihre Proteste fort. „Eine Studentin mag sterben, aber sie akzeptiert keine Demütigung“, skandierten Stu­den­t*in­nen der Schahid Tschamran Universität in Ahvas im Südwesten des Landes am Dienstag in einem von der Nachrichtenagentur AFP verifizierten Online-Video. Weitere Online-Videos zeigten Protestierende an der Beheschti-Universität und der Chaje-Nasir-Toosi-Universität in Teheran.

Als Auslöser der Proteste gilt der Tod Aminis. Sie starb am 16. September in Teheran, nachdem sie dort zuvor von der sogenannten Sittenpolizei wegen des Vorwurfs festgenommen worden war, ihr islamisches Kopftuch nicht den Vorschriften entsprechend getragen zu haben. Ak­ti­vis­t*in­nen werfen den Sicherheitskräften vor, die junge Frau misshandelt zu haben.

In einer am Dienstagabend von der staatlichen Nachrichtenagentur Irna veröffentlichten Erklärung kündigte Aminis Familie an, dass es „in Anbetracht der Umstände und um unglückliche Probleme zu vermeiden, keine Zeremonie“ geben werde, „die den 40. Tag (nach dem Tod) unseres Lieblings markiert“.

Bisher 141 Tote bei Demonstrationen

Ak­ti­vis­t*in­nen zufolge warnten Sicherheitsdienste Aminis Familie davor, an diesem Tag in der Provinz Kurdistan eine Zeremonie abzuhalten und die Menschen zu bitten, das Grab ihrer Tochter zu besuchen. Der Familie sei gedroht worden, dass sie sich andernfalls „um das Leben ihres Sohnes sorgen“ müsse, hieß es.

Auf weiteren Videos, die im Onlinedienst Twitter geteilt wurden, skandierten Frauen auf Rolltreppen in Teheraner U-Bahn-Stationen Parolen wie „Tod dem Diktator“ und „Tod den Revolutionsgarden“.

Nach Angaben der in Oslo ansässigen Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights (IHR) wurden bei den Versuchen der iranischen Sicherheitskräfte, die landesweite Protestwelle niederzuschlagen, bislang mehr als 141 De­mons­tran­t*in­nen getötet, darunter zahlreiche Kinder. Tausende Protestierende wurden demnach festgenommen.

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2 Kommentare

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  • 》Christoph Schult, Redakteur im SPIEGEL-Hauptstadtbüro, [...] »Man hatte zu Beginn das Gefühl, dass sie [Baerbock] diesen gewaltsamen Tod von Mahsa Amini gar nicht auf dem Schirm hatte, dass das irgendwie nicht richtig einsickerte.«《

    is.gd/854xx2

    Dort weiter: 》Was steckt hinter der eher zögerlichen Reaktion? Haben die Verhandlungen zum Atomabkommen mit Iran damit zu tun? Und kommt das Konzept der feministischen Außenpolitik an seine Grenzen?《

    Mein Eindruck ist: die Reaktion ist immer noch zu zögerlich.

    Und dass es vielleicht nicht nur um das Atomabkommen geht: 》Wie Patrick Bahners, der mittlerweile zu ihren wichtigsten Fürsprechern gehört, mischte sich auch Carolin Emcke wortstark in die Debatte um Islam und Säkularisierung ein. „Eine Glaubensfreiheit, die eigentlich Zwangsatheismus als einzige Form der Modernisierung akzeptiert, ist keine“, so Emcke 2010 in derZeit– ein Satz, der auch von dem liberalen Katholiken Bahners stammen könnte.《 kritisiert Danilo Scholz 2016 in der taz taz.de/Kritik-an-C...in-Emcke/!5349299/

    Geht es darum, dass Schwarzer z.B. 2019 schreibt 》Jede Kritik am politischen Islam und an seinem sichtbarsten Symbol, der Verschleierung der Frauen, gilt in diesen politisch korrekten Kreisen als „Treten nach unten“ und „Rassismus“ beziehungsweise neuerdings auch als „Islamophobie“ 《, sich ausdrücklich u.a. auf Emcke bezieht? www.aliceschwarzer...en-toleranz-337003

    Solidarität mit den Iraner*innen ausfällt, weil sie als 'Terf-Ding' geframed ist, CDU und AfD in dieses Vakuum vorstoßen - und Unterstützung auf einmal "rechts" ist?

    Und vielleicht (u.a. in Zeiten von BDS) auch dies hier taz.de/Lateinameri...stkultur/!5885826/ 》In Lateinamerika erklären sich einige Staaten mit dem Regime in Teheran solidarisch. Die protestierenden Frauen seien Spielball zionistischer Kräfte《 außenpolitisch relevanter ist, als es den Demonstrant*innen gut täte?

    • @ke1ner:

      Danke für ihren ausführlichen Beitrag.

      Es ist in der Tat ein Trauerspiel, dass auch in der taz immer wieder eine Aufführung erfährt.

      Zu nennen wäre etwa Julia Neumanns Artikel über "das bisschen Wind im Haar" oder Charlotte Wiedemanns relativierende Artikel über den Iran:

      "Entsorgen wir endlich die Floskel vom Gottesstaat!" schreibt sie in ihrem Buch "Der neue Iran".

      So als würde der Iran diese Floskel nicht seit Jahren und immer wieder im Blut baden, um eben den Gottesstaat am Leben zu erhalten.