Lateinamerikanische Protestkultur: Boliviens Gruß an die Mullahs
In Lateinamerika erklären sich einige Staaten mit dem Regime in Teheran solidarisch. Die protestierenden Frauen seien Spielball zionistischer Kräfte.
D ie iranische Nachrichtenagentur Irna entwickelt offenbar große Fantasie, wenn es gilt, die internationale Solidarität mit dem Regime gegen die Rebellion im Land zur Schau zu stellen. „Unsere Regierung verurteilt die jüngsten Unruhen im Iran, die von britischen und US-amerikanischen Zionisten ausgehen, und wir sind sicher, dass sich alle Probleme mit der Solidarität, dem Wissen und dem Verständnis des geliebten Führers des Iran lösen werden“, zitierte Irna die Botschafterin Boliviens in Teheran, Romina Pérez.
Die Sätze, die die Diplomatin geäußert haben soll, verstörten nicht nur bolivianische Feministinnen. Auch Pérez war verwundert. Sie sei tendenziös ausgelegt worden, sagte sie, nachdem sie von ihrer Regierung einbestellt worden war. Irna korrigierte: „Es gab eine ungenaue Interpretation der Botschafterin.“
Die schnelle Reaktion der bolivianischen Regierung dürfte jedoch vor allem der Kritik geschuldet sein, die wegen des Statements aufkam. Darüber hinaus sucht man vergeblich auf der regierungseigenen Webseite des „plurinationalen Staats“ nach einer Stellungnahme zu dem Affront. Oder etwa dazu, dass das Regime des „Bruderlandes“, wie Pérez den Iran nennt, brutal gegen die kurdische Minderheit vorgeht.
Das ist wenig verwunderlich, schließlich hat die regierende Partei Movimiento al Socialismo (MAS) – Bewegung zum Sozialismus – nie Zweifel an ihrer Solidarität mit der islamistischen Republik aufkommen lassen. Schon der frühere Präsident Evo Morales bescheinigte seinem Amtskollegen Mahmud Ahmadineschad, dass er in seinem „antiimperialistischen Kampf nicht alleine ist“. Sein Nachfolger und MAS-Parteifreund Luis Arce hat jüngst mit Präsident Ebrahim Raisi über gemeinsame wirtschaftliche, bildungspolitische und weitere Projekte verhandelt.
Unverblümte Solidarität mit Teheran
Angesichts dieser ökonomischen Verbindungen und dem ideologischen Elend ist es sehr erfreulich, dass sich die Regierung in La Paz wenigstens über die Falschmeldung beschweren musste. Von den Latino-Verbündeten Boliviens wäre das nicht zu erwarten. Die kubanische und die venezolanische Regierung bringen in ihren hauseigenen Medien unverblümte Solidarität mit dem Teheraner Regime und seinen Schergen zum Ausdruck.
Beide lassen keine Zweifel daran, dass sie die aufständischen Frauen für einen Spielball „zionistischer und imperialistischer Kräfte“ halten. Mit Blick auf den Tod Jina Mahsa Aminis übernimmt Kubas staatliche Nachrichtenagentur Prensa Latina unhinterfragt die Behauptung, die Kurdin sei an einem Herzinfarkt gestorben.
Es handele sich um „einen fürchterlichen Krieg, orchestriert von westlicher Propaganda“, erklärt ein anderer „Experte“, der Leiter der Moschee Al Tauhid in Buenos Aires, Abdul Karim Paz, die Reaktion auf Aminis Tod. Die Demonstrant*innen seien Anhänger der alten Schah-Regierung und „terroristische“ Kurden.
Ziel sei es, die Erfolge der islamischen Revolution zu verteufeln, ergänzt der Soziologe Tala Atrissi auf dem von der venezolanischen Regierung finanzierten Fernsehsender Telesur. Der revolutionäre Prozess sei darauf ausgerichtet, „die nationale und islamische Identität wiederzuerlangen“. Der Kopftuchzwang sei eine verteidigenswerte Tradition des Volkes. Die Mehrheit der Iraner*innen stehe auf der richtigen Seite: „Millionen sind auf die Straße gegangen, um der Regierung den Rücken zu stärken.“ Kritische Stimmen sucht man vergeblich.
Es ist keine Neuigkeit, dass diese linken Regierungen zu den größten Feinden emanzipatorischer Bewegungen zählen. Dennoch sind die jüngsten Ergüsse schwer zu ertragen, so man Bilder der Frauen auf den Straßen von Teheran, Ardabil und Isfahan sieht. Oder das Foto der 17-jährigen Setareh Tajik, die von den Schergen des Regimes zu Tode geprügelt wurde. Bleibt zu hoffen, dass die anachronistischen Revolutionäre und ihre einfältigen Ideologien eines Tages von solchen Bewegungen hinweggefegt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben