Proteste in Iran: Kampf um die Informationen
Verlässliche Berichte von den Protesten in Iran gibt es kaum. Mittwochabend wurde offenbar der Zugang zum Internet weitgehend unterbrochen.
Es gibt sie noch. Vereinzelte Videos von den Menschen, die seit Tagen in Iran gegen das Regime demonstrieren. Von in Brand gesetzten Propagandaplakaten. Von auf Polizeikräfte zustürmenden Demonstrant:innen. Oder von Polizisten, die unnachgiebig gegen Demonstrant:innen vorgehen. Aber sie sind weniger geworden. Mutmaßlich nicht, weil die Proteste abgeflaut sind – aber genau weiß man nicht einmal das.
Denn offensichtlich ist das Internet im Land seit Mittwochabend weitgehend unterbrochen. Das berichtet die Organisation Netblocks, die den Datenfluss im weltweiten Netz analysiert. „Echtzeit-Netzwerkdaten zeigen einen landesweiten Verbindungsverlust“, twitterte Netblocks. Großflächige Ausfälle gebe es beim Messenger-Dienst WhatsApp und der Foto-Plattform Instagram. Am Donnerstag waren zwar einige Mobilfunkverbindungen wieder hergestellt, sagte in Netblocks-Sprecher zur taz. Aber die Dienst funktionierten nur zeitweise und der Zugang zu den Onlineplattformen sei weiterhin unterbrochen.
Bereits am Montag hatte Netblocks massive Netzwerkstörungen im Westen des Irans beobachtet. Dort leben Kurd:innen. Eine von ihnen war die 22-jährige Mahsa Amini, die in der vergangenen Woche von der Polizei in Teheran wegen ihres nicht islamgerecht sitzenden Kopftuchs festgenommen worden war. Wenig später war sie tot. Ihr Fall ist der Auslöser der Proteste.
Die neuen Internetblockaden erschweren nicht nur die Kommunikation innerhalb der Protestbewegung. Sie erschweren auch den Blick von außen. Denn verlässliche Berichte aus dem Land gibt es so gut wie gar nicht. Unabhängige Autor:innen würden sich selbst gefährden, wenn sie Berichte ins Ausland senden würden. Und externen Beobachter:innen fehlt der Zugang.
Methoden der Verifikation
„Internationale Journalisten sind in Iran nämlich kaum noch vorhanden. Und wenn, wird ihnen verboten, die Proteste zu drehen“, sagte die ARD-Korrespondentin Natalie Amiri schon am Dienstag dem Medienmagazin Zapp. Daher sei Social Media die einzige Waffe der Zivilbevölkerung. Durch das Verbreiten von Videos schaffe sie eine weltweite Aufmerksamkeit. Amiri ahnte da schon, was passieren würde, denn anders als bei früheren Protesten könne die iranische Telekombehörde heute „fast den gesamten Internetverkehr nach Belieben drosseln“.
Die weltweite Aufmerksamkeit für die neue Protestwelle in Iran war aber zuvor schon beschränkt. Zwar finden sich beispielsweise auf Twitter dutzende Videos von Protestaktionen aus vielen Städten des Landes. Doch die Videos sind zumeist nur wenige Sekunden lang. Sie zeigen immer nur kleine Ausschnitte. Was im Umfeld ist, bleibt unklar. Das Gesamtbild bleibt unscharf, man darf sie nicht überinterpretieren.
Nur selten ist zudem zu erkennen, wie groß die Menge der Demonstrierenden tatsächlich ist. Es ist zu bezweifeln, dass sie – zumal in einer Millionenstadt wie Teheran – tatsächlich das Stadtbild prägen. In den meisten Fällen lässt sich ohne genaue Ortskenntnis nicht einmal der Entstehungsort verifizieren. Häufig ist man auf die Angaben derjenigen angewiesen, die die Videos verbreiten. Die lassen sich ohne genaue Ortskenntnis nur in den seltensten Fällen verifizieren.
Aber es gibt Ausnahmen. Eine vielfach geteilte Szene zeigt zum Beispiel, wie ein Wasserwerfer erst gegen Demonstrant:innen vorrückt und dann wegen der heftigen Gegenwehr wieder zurückweichen muss. Als Orts- und Zeitangabe ist „Valiasr-Platz heute“ angegeben. Die Zeitangabe lässt sich nicht überprüfen. Den Platz aber findet man bei Google Maps in Teheran. Zwar gibt es von der iranischen Hauptstadt keine Streetview-Ansicht. Aber auf der Onlinekarte sind dort aufgenommene Fotos verlinkt. Eins zeigt eine der Hausfassaden am Rande des großen Kreisverkehrs, die auch in dem Video zu sehen ist.
Andere Tweets gewinnen an Beweiskraft, weil es mehrere Videos einer Szene aus unterschiedlichen Perspektiven gibt – etwa von einer Frau, die sich bei Protesten in der Stadt Kerman demonstrativ die Haare abschneidet. Eine dritte Möglichkeit ist die Bestätigung durch unabhängige Beobachter aus dem Ausland, beispielsweise wenn ein Exiliraner Ortsangaben bestätigen kann, weil die Bilder in seiner Geburtsstadt aufgenommen wurden.
Alle diese Szenen geben allenfalls Ausschnitte der Lage in Iran wieder. Aber aus der Vielzahl der Videos entsteht ein Gesamtbild, das auf eine neue Qualität der Proteste hindeutet – vielleicht auch weiter hindeuten wird.
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