Proteste in Hongkong: Digital überwacht, digital unsichtbar

In Hongkong verändert Technologie die Protestkultur: Einst halfen Regenschirme gegen Tränengas, jetzt Laserpointer gegen Gesichtserkennung.

Laserpointer in Violett und Grün sollen die Hongkonger Polizei stören

Bunt und pointiert: Die Protestierenden in Hongkong wissen sich gegen die Polzei zu wehren Foto: reuters

Berlin taz | Hongkongs Massenproteste gehen jetzt in die zehnte Woche und Polizei wie Demonstranten haben inzwischen ihre Taktik verändert. So setzt die Polizei öfter und früher Tränengas ein, das noch vor ein paar Jahren in Hongkong unbekannt war. Sie erlaubt auch seltener Proteste. Das ermöglicht, Demos schneller mit Tränengas auseinanderzutreiben. Die Demonstranten sehen das als Indiz, dass Hongkong immer mehr wie die Volksrepublik China wird, wo Proteste illegal sind. Bisher gab es in Hongkong rund 600 Festnahmen.

Umgekehrt wandelt und radikalisiert sich das Verhalten der Demonstranten, zumindest ihres harten Kerns. Ihr neuer Slogan, „Sei Wasser“, stammt von Hongkongs Kung-Fu-Legende Bruce Lee und spielt auf die Weichheit dieses Mediums an, das auch sehr zerstörerisch sein kann. Als eine Art fließende Protestguerilla tauchen Demons­tran­ten jetzt unvorhersehbar an einem Ort auf und verschwinden wieder, wenn die Polizei anrückt. Für dieses Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei sind Genehmigungen irrelevant, das Risiko von Festnahmen und Verletzungen ist gering. Die Demonstranten gehen so Straßenkämpfen mit der Polizei aus dem Weg. Sie organisieren sich über Chatgruppen in dem Messengerdienst Telegram oder über die lokale Webplattform LIHKG.

Die Polizei nennt die Laserpointer „Angriffswaffen“. Sie werden aber völlig legal verkauft

Die Protestbewegung ist weiter eine anonyme Masse, die ohne Führung agiert. Dies ist eine Lehre aus der gescheiterten Regenschirmbewegung („Oc­cu­py Central“) von 2014. Deren Führer sitzen oder saßen im Gefängnis. Heutige Demonstranten legen Wert auf Anonymität, denn die Regierung versteht Proteste als Aufstände, auf die bis zu zehn Jahre Gefängnis stehen. Gesichtsmasken sind deshalb Standard, inzwischen meist durch Gasmasken ersetzt. Hinzu kommen gelbe Bauarbeiterhelme und schwarze T-Shirts und natürlich Regenschirme. Alles erschwert die Identifikation. Helme und Masken sind in Hongkong jetzt Mangelware, doch sorgt ein Onlinehändler für Nachschub. Auch schicken Sympathisanten in Taiwan Helme.

Längst geht es auch um digitale Unsichtbarkeit, was im vernetzten Hongkong großen Aufwand bedeutet. Schließlich hat jeder Demonstrant ein Smartphone und in der Regel eine „smarte“ elektronische U-Bahnkarte. Weil diese ­Fahrtdaten speichert, wird sie durch teurere Einzelfahrscheine ersetzt, die beim Verlassen der U-Bahn-Station automatisch eingezogen werden.

Identifikation ist das neue Schlachtfeld

Das Handy muss für Demos präpariert werden. Die Löschung von Kontakten, Chats und bestimmten Programmen, ein unverfänglicher Nutzername, eine Prepaid-SIM-Karte und guter Passwortschutz sind nötig. Da ein Fall bekannt wurde, in dem Polizisten einem festgenommenen Aktivisten das Smartphone vors Auge hielten, um per Irisscan die Sperre zu öffnen, sind entsprechende Vorkehrungen zu treffen.

Identifikation ist das neue Schlachtfeld. Berichten zufolge haben Polizisten ihre Identifikationsnummern von den Uniformen entfernt. Ein Demonstrant soll, bis er festgenommen wurde, an einer Software gearbeitet haben, die Gesichter Polizisten zuordnen kann. Demonstranten nehmen jetzt Laserpointer mit, um ab Einsetzen der Dunkelheit damit Polizisten zu irritieren und zu blenden, deren Kameras und Sensoren der Gesichtserkennungssoftware zu stören. In China ist die Überwachung durch automatische Gesichtserkennung so weit fortgeschritten wie in keinem anderen Land. Wieweit Hongkong bereits auf chinesische Technologie zurückgreift, ist dagegen unklar.

Doch stört die Polizei die Blendung durch die Laser massiv, zumal die Strahlen aus zu großer Nähe auch schwere Augenschäden bis hin zur Erblindung verursachen können. Letzten Dienstag nahmen Zivilpolizisten Keith Fong fest, den Führer der Studentenunion der Hongkonger Baptisten-Universität. Er hatte gerade zehn taschenlampengroße Lasergeräte gekauft. Die Polizei sprach von „Angriffswaffen“ und demons­trierte bei einer Pressekonferenz, wie Fongs Geräte aus zwei Meter Abstand ein Papier zum Rauchen brachten.

Demonstranten warfen der Polizei Doppelstandards vor. Denn aus zwei Meter Abstand abgefeuerte Tränengaskartuschen oder Gummigeschosse können auch tödlich sein. Aus Solidarität mit Fong organisierten sie eine nächtliche Lasershow vor dem Planetarium. Denn Laser werden gern von Sternenguckern benutzt. Das Problem der Polizei: Fong hatte die Geräte völlig legal erworben. Er musste freigelassen werden.

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