Proteste in Argentinien: Marschieren für die Bildung
In Buenos Aires protestieren Hunderttausende gegen den Sparkurs an Universitäten. Sie fordern, deren Finanzierung der Inflation anzugleichen.
Unter dem Motto „Anständige Gehälter für Lehrkräfte und Angestellte“ startete der größte Demonstrationszug vom Houssay-Platz. Mit dabei ist auch Wirtschaftsstudent Marcos Friever. „Natürlich protestieren wir für den Erhalt der öffentlichen Universitäten“, sagt der 28-Jährige. Aber wenn immer mehr Dozenten gingen, weil die Gehälter nicht reichten, dann habe das Konsequenzen für alle. „Milei hat die Löhne eingefroren und die Inflation tut ihr Übriges“, meint Friever. Seit November hätten die Menschen etwa 25 Prozent an Kaufkraft verloren.
„An meinen Fachbereich sind schon 20 Beschäftigte gegangen“, sagt Nati Alvaro, die im sechsten Semester Medizin studiert. „Die fehlen nicht nur als Lehrkräfte, sondern auch als Ärzte an den Unikliniken.“ Vor einer Woche hätten sie vor dem Klinikum der Universität Buenos Aires gegen die Sparpolitik der Regierung protestiert. „Einige der prominentesten Ärzte des Landes waren mit dabei“, sagt Alvaro.
Mileis Credo ist die schwarze Null im Staatshaushalt, wenn möglich soll sogar noch ein Überschuss erzielt werden. Da dies nicht durch zusätzliche Einnahmen erreicht werden kann, werden die Ausgaben rigoros gekürzt. Dass diese Politik die Wirtschaft in die Rezession treibt, ist gewollt, denn sie soll die Inflation senken. Weniger Nachfrage und Konsum sollen die Anbieter zwingen, die Preise nur moderat anzuheben, so die Logik.
Einstellige Inflationsrate
Doch während die monatliche Inflationsrate inzwischen tatsächlich nur noch einstellig ist, ist die Armutsquote auf den höchsten Stand der vergangenen 20 Jahre geklettert. Nach Angaben des Statistikamts Indec leben heute 53 Prozent der Argentinier*innen in Armut. Im vergangenen Jahr lag die Zahl noch bei knapp 42 Prozent.
Auf dem Platz vor dem Kongressgebäude steht die Bühne mit dem Rücken zum Präsidentenpalast. Der ist am anderen Ende der Avenida de Mayo zu sehen, die den Regierungssitz und das Parlament verbindet. Mitte September hatten die Parlamentarier*innen gegen den Willen der Regierung und mit großer Mehrheit ein Gesetz zur Finanzierung der Universitäten verabschiedet. Dieses gewährt Lehrkräften und sonstigen Beschäftigten einen, wenn auch sehr geringen, Inflationsausgleich.
Kaum war die Entscheidung gefallen, kündigte der Präsident sein Veto an. „Schwer zu glauben, dass Milei noch einen Rückzieher macht“, sagt ein Demonstrant und hält sein Pappschild mit der Aufschrift ‚No al Veto‘ hoch. Die Hoffnung liegt auf dem Kongress, der ein Veto des Präsidenten mit einer Dreiviertelmehrheit der Delegiertenstimmen aufheben kann. „Wenn sie nicht wieder einknicken“, meint er.
Vor wenigen Wochen hatte Milei sein Veto gegen ein Gesetz eingelegt, das den Rentner*innen einen kleinen Inflationsausgleich gewährt hätte. Bei der Abstimmung im Kongress über das Veto waren einige Mandatsträger*innen übergelaufen und hatten die erforderliche Dreiviertelmehrheit verhindert. „Diesmal wird das nicht passieren“ ruft eine Frau. „Das öffentliche Bildungssystem ist ein Teil unserer nationalen Identität“, sagt sie.
Ihr italienischer Großvater sei als armer Jugendlicher eingewandert. Weil die öffentlichen Unis gratis seien, sei er der erste in ihrer Familie gewesen, der habe studieren können, erzählt sie jetzt. „Erst hat er Jura studiert und dann als Rechtsanwalt gearbeitet“, sagt sie.
Wie in ihrer ist in vielen Familien der soziale Aufstieg mit dem öffentlichen Bildungssystem verbunden. „Deshalb sind heute wieder Hunderttausende auf der Straße und deshalb wird Mileis Veto im Kongress diesmal scheitern“, ist sie sich sicher.
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