piwik no script img

Proteste gegen UN-Mission im KongoViele Tote und ein Scherbenhaufen

Zahlreiche Menschen sterben bei der Niederschlagung von Protesten gegen die UN-Präsenz im Ostkongo. Die Zukunft der UN-Mission ist unklar.

„Nie wieder Monusco“: Potestierende in Goma, Dienstag Foto: Moses Sawasawa/ap

Berlin taz | Die blutigsten Proteste gegen die UN-Mission in der Demokratischen Republik Kongo (Monusco) in ihrer Geschichte stellen die größte UN-Blauhelmmission der Welt vor ein Dilemma: Kann sie überhaupt noch in dem riesigen Land bleiben, das bis heute nicht zum Frieden findet?

Die von massiven Plünderungen begleiteten Proteste, die am Montag in Nord-Kivus Provinzhauptstadt Goma begannen, weiteten sich am Dienstag auf weitere Städte der Provinz aus und am Mittwoch auf die Nachbarprovinz Süd-Kivu. Nach amtlichen Angaben wurden bis Dienstagabend 15 Menschen getötet. In Goma wurden fünf Zivilisten erschossen, mindestens einer davon aus einem UN-Gelände heraus. In der Stadt Butembo vermeldeten die Behörden sieben getötete Zivilisten, einen getöteten UN-Blauhelmsoldaten aus Marokko und zwei getötete indische UN-Polizisten. Am Mittwoch starben in der Stadt Uvira in Süd-Kivu weitere vier Demonstranten, als ein Schuss ein Stromkabel zerriss und dieses auf sie herunterfiel.

Die Geschichte der UN-Präsenz geht zurück auf den Krieg von 1998–2003, als das Land von mehreren afrikanischen Armeen besetzt und geteilt war. Ab 2000 überwachte die UNO den Rückzug der ausländischen Armeen. Doch dass diverse Milizen im Ostkongo weiterkämpften, konnten UN-Blauhelme höchstens punktuell eindämmen – bis heute. Dafür haben viele Menschen in den Kriegsgebieten kein Verständnis.

Die Regierung hat versucht, den Unmut auszunutzen. Am 16. und 17. Juli tourte Senatspräsident Bahati Lukwebo durch Ostkongo und sagte: „20.000 Männer sind seit über 22 Jahren im Land, und wir haben keinen Frieden (…) Wir werden den Frieden, die Sicherheit und die Integrität des Staatsgebiets selbst gewährleisten.“ Bahati ist als Senatspräsident der zweithöchste Mandatsträger im Staat; seine Partei AFDC-A (Allianz der Demokratischen Kräfte des Kongo und Verbündete) ist einer der größten Bestandteile von Präsident Tshisekedis Wahlallianz und soll im Ostkongo Stimmen für dessen Wiederwahl Ende 2023 holen. Dass er die Anti-UN-Karte zog, war ein klares Signal von höchster Stelle.

Dass das als grünes Licht für Überfälle und Plünderungen gesehen wurde, hält Bahatis Partei nun für ein Missverständnis: man „bedauert, dass manche böswilligen Personen seine Aussagen deformieren und aus dem Zusammenhang reißen“, erklärte die AFDC-A am Dienstag abend. Am Montag, als die Proteste in Goma eskalierten, hatte ein AFDC-A-Kader in Goma sich mit den Worten zitieren lassen: „Wir haben den Aufruf unseres Führers Modeste Bahati respektiert. Wir werden alles plündern, die Monusco muss gehen.“

Kongos Regierung versucht nun, die Bevölkerung mit dem Hinweis zu besänftigen, ein Rückzug der UN-Mission aus dem Land sei beschlossene Sache Dies betonte Regierungssprecher Patrick Muyaya am Dienstagabend vor der Presse.

Tatsächlich wird das bis mindestens 2024 dauern. 2020 beschlossen Kongos Regierung und Monusco zwar eine „gemeinsame Strategie“ über einen schrittweisen Rückzug. Aber laut dem geltenden „Übergangsplan“ aus dem Jahr 2021 wird eine Erfüllung von 18 „Minimalbedingungen“ das „allmähliche Herunterfahren“ der UN-Mission Ende 2024 möglich machen. Die 18 Benchmarks reichen von der Wiederherstellung eines funktionierenden Staatswesens auf allen Ebenen bis zur Schaffung von Sicherheit für alle – also alles, was Kongos Partner in den vergangenen zwanzig Jahren vergeblich umzusetzen versuchten. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass das in den kommenden zwei Jahren plötzlich gelingen sollte.

Nun steht auch noch im Raum, dass kongolesische Regierungspolitiker Gewalt gegen die UN geschürt haben. Damit erschweren sie die Erfüllung der Bedingungen, die sie selbst für den Abzug ausgehandelt haben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Vermutlich wirkt auch hier die Propaganda der kremlnahen Trollfabriken.

    Ein ähnliches Vorgehen wie in Mali beschrieb der Spiegel:



    www.spiegel.de/int...-bb35-d70884afed47

  • Die im Text genannten Minimalbedingungen sind eine einzige Traumtänzerei. Raus da, so schnell wie möglich und lasst sie selbst machen. Vollmundig dazu bekannt haben sie sich ja.