Proteste gegen Rechtsextremismus: Hunderttausende auf der Straße
Am Samstag protestierten mehr als 300.000 Menschen gegen Rechtsextreme und die AfD. Für Sonntag sind neue Demos angekündigt.
Ein „ermutigendes Zeichen für die Demokratie“ nannte Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) die Demonstrationen in ganz Deutschland. „Demokratie lebt von den Menschen, die dafür aufstehen“, sagte der Wirtschaftsminister der Augsburger Allgemeinen. „Es ist beeindruckend zu sehen, wenn jetzt viele Menschen auf die Straße gehen und Flagge zeigen für unsere Demokratie.“
Auch am Sonntag wird in ganz Deutschland erneut gegen Rechts demonstriert – unter anderem in Berlin, Köln, München und Dresden, aber auch in kleineren Orten wie Görlitz, Lingen oder Kleve.
Hier eine taz-Übersicht der Demonstrationen des Wochenendes vom 21. und 22. Januar und kommender Proteste:
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80.000 Menschen in Baden-Württemberg
Mit Schildern wie „Wenn die AfD die Antwort ist, wie blöd war dann die Frage?“, „Lieber solidarisch als solide arisch“ oder „Wenn ihr Putin wollt, geht doch rüber“ versammelten sich am Samstag 20.000 Menschen auf dem Karlsruher Marktplatz und den angrenzenden Straßen. Anschließend zogen sie durch die Stadt, in der das Bundesverfassungsgericht und der Bundesgerichtshof ihren Sitz haben.
Dabei beachtete der Demonstrationszug die „Bannmeile“ zu den Bundesgerichten. Die Polizei sprach von störungsfreiem Protest, der ein „bemerkenswertes Zeichen gesetzt“ habe. Auch in der Landeshauptstadt Stuttgart kamen am Samstag auf dem Platz vor dem Neuen Schloss 20.000 Menschen zusammen; in Heidelberg waren es 18.000, in Ulm zehntausend.
In Freiburg waren bereits am Mittwoch 10.000 Menschen auf die Straße gegangen, am Samstag waren es noch einmal 5.000. Dort hatte ein breites Bündnis von Union und FDP bis zu linken Gruppen zur Demonstration aufgerufen. In Karlsruhe und Stuttgart war das nicht gelungen. Man habe die bürgerlichen Parteien nicht extra eingeladen, allerdings hätten sie sich auch nicht als Initiatoren gemeldet, sagt eine Sprecherin des Karlsruher Bündnisses gegen rechts.
Auf dem Demonstrationszug in Karlsruhe wurde von Rednern linker Gruppen, etwa der Seebrücke, die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und der Union als „Imitation der AfD“ scharf kritisiert. Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD), der nicht auf der Rednerliste stand, beobachtete den Demonstrationszug vom Rathausbalkon.
Insgesamt gingen in Baden-Württemberg am Wochenende über 80.000 Menschen gegen Rechtsextremismus auf die Straße. Überall blieben die Proteste friedlich.
40.000 Menschen in Bayern
Die Beteiligung an den Demonstrationen gegen Rechtsextremismus übertraf auch in Bayern die Erwartungen – in München stellen sich Einsatzkräfte auf mehr Menschen ein als zunächst gedacht. „25.000 plus X“, sagte eine Polizeisprecherin am Sonntagvormittag. Noch zur Wochenmitte hatte die Stadt mit 10.000 bis 20.000 Teilnehmern gerechnet, die am Sonntagnachmittag unter dem Motto „Gemeinsam gegen Rechts“ am Siegestor zusammenkommen wollen.
„Allerhöchste Zeit, dass wir als Gesellschaft gemeinsam für unsere Demokratie und Vielfalt einstehen!“, teilten die Organisatoren mit. „Wir alle müssen jetzt aufstehen gegen Rechtsextremismus, wir müssen uns gemeinsam gegen die anhaltenden Entwicklungen stemmen, die nicht erst seit dem von Correctiv aufgedeckten Geheimtreffen die reale Gefahr für unsere Demokratie sind.“
Politiker aller demokratischen Parteien hatten ihre Teilnahme für Sonntag angekündigt, darunter etwa Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), sein Stellvertreter Dominik Krause (Grüne), der bayerische Justizminister Georg Eisenreich (CSU) und der frühere Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler).
Auch im restlichen Bayern kamen Menschen zusammen, um gegen die AfD zu demonstrieren. Darunter in Regensburg, Bad Tölz Erlangen und in Nürnberg. In Nürnberg hatten sich bereits am Samstag 15.000 Menschen versammelt – weit mehr als erwartet. Die Organisatoren hatten eine Veranstaltung mit 1.000 Teilnehmern angemeldet. An der Demonstration nahmen auch Mitglieder des Vorstands der Bayern-SPD teil, die zuvor in der fränkischen Metropole getagt und sich geschlossen dafür ausgesprochen hatten, die Verfassungskonformität der AfD durch das Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen.
80.000 Menschen in Hamburg
Weitaus mehr Zulauf als erwartet hatte bereits am Freitagnachmittag eine Anti-Nazi-Demo in Hamburg erhalten. Ein Bündnis aus Gewerkschaften, Wirtschaftsverbänden, Kulturschaffenden und Religionsgemeinschaften hatte zu der Kundgebung gegen „Rechtsextremismus und neonazistische Netzwerke“ aufgerufen. Nach Schätzung des DGB beteiligten sich mehr als 80.000 Menschen.
Die Demo fand am Jungfernstieg statt, nicht wie geplant auf dem Rathausmarkt. Die AfD erreichte durch eine spontane Fraktionssitzung, dass die Demo um etwa 350 Meter verschoben werden musste: Das Hamburger Bannkreisgesetz verbietet Versammlungen und Demos im Umkreis von 350 Meter um das Rathaus herum. Dadurch soll die Arbeitsfähigkeit der Bürgerschaft geschützt werden.
Die Organisator*innen zeigten sich davon unbeeindruckt. „Die Attacke auf unsere Kundgebung überrascht uns nicht“, erklärten sie gestern in einem Statement. „Sie zeigt einmal mehr, dass die AfD die Demokratie verachtet.“
40.000 Menschen in Niedersachsen
In der niedersächsischen Landeshauptstadt wurde die Demonstration vom Freundeskreis Hannover angemeldet, der zur Teilnahme aufgerufen hatte: ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Kirchen und zahlreichen Vereinen. Und auch hier war es eine erstaunliche Mischung, die sich hier zeigte: Menschen aller Altersgruppen, ganze Familien reisten aus dem Umland an. Und neben den gewohnten Gewerkschafts-, Kirchen-, Regenbogen- und Antifa-Flaggen-Schwenkenden standen viele, die erkennbar nicht so oft an Demonstrationen teilnahmen.
Auf der Rednerliste stand in Hannover dafür viel Politprominenz: Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), Ex-Bundespräsident Christian Wulf (CDU), Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne), DGB-Chefin Yasmin Fahimi, dazu Vertreter der Kirche, der Liberalen Jüdischen Gemeinde und eines Jugendbündnisses.
Den größten Applaus erhielten aber eine andere Gruppe: Als Rebecca Seidler von der Liberalen Jüdischen Gemeinde sich dafür bedankte, dass die „Omas gegen Rechts“ seit dem 7. Oktober 2023 jeden Freitag vor der Synagoge stünden, um ein Zeichen der Solidarität gegen den Terror der Hamas zu setzen, jubelte der ganze Platz. Die „Omas gegen Rechts“ hatten schon am Dienstag bei einer kurzfristig angesetzten Demo 8.500 Leute mobilisiert. Zwischenfälle verzeichnete die Polizei keine, der Platz leerte sich genauso rasch und friedlich, wie er sich gefüllt hatte.
Zum Schluss zählten die Veranstalter in Hannover 35.000 Teilnehmer. Auf dem Opernplatz und am Kröpcke standen die Menschen dicht gedrängt, auch die Seitenstraßen und weite Teile der Fußgängerzone waren voll, mehrmals musste die Polizei die Versammlungsfläche erweitern.
In zahlreichen weiteren Städten in Niedersachsen waren am Wochenende weitere Kundgebungen schon gelaufen oder noch geplant, unter anderem in Braunschweig, Oldenburg, Göttingen und Lüneburg. In Lüneburg gingen am Samstag mehr als 5.000 Menschen auf die Straße.
70.000 Menschen in Hessen
Allein in Frankfurt am Main gingen am Samstag 35.000 Menschen auf die Straße. Der Frankfurter Römerberg war so voll, als hätte die „Eintracht“ einen Pokal gewonnen oder als gelte es, Fußballweltmeister zu feiern. Vom Römer wehten die Fahnen von Stadt und Land sowie die von Israel und der Ukraine. „Demokratie verteidigen – Frankfurt gegen AfD und Rechtsruck!“, so lautete das Motto der Kundgebung, zu der die Klimaschützer vom Koala-Kollektiv und, in einem Bündnis, 80 weitere Initiativen, Organisationen und Parteien aufgerufen hatten.
Mit dabei waren auch Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef, SPD, so wie seine AmtsvorgängerInnen Petra Roth, CDU, und Andreas von Schoeler, SPD. „Wer jetzt die Augen schließt, kann später nicht sagen, wir haben nichts gewusst!“, ruft er und bekommt tosenden Beifall, so Josef bei der Eröffnungsrede. Viele RednerInnen kritisierten im Anschluss die Abschottungspolitik der Bundesregierung und der neuen schwarz-roten Landesregierung in Hessen.
Tausende weitere Menschen waren am Samstag an anderen Orten in Hessen auf der Straße, darunter in Frankfurt, Kassel, Limburg und Gießen.
400 Menschen in Spremberg in Brandenburg
Auch kleinere Proteste können eine große Wirkung haben. Das zeigt eine Aktion in Spremberg in Brandenburg. An die 400 Menschen versammelten sich hier am Samstagmittag bei strahlendem Sonnenschein, um gegen den Aufmarsch der Kleinstpartei „Die Rechte“ um den Neonazi Christian Worch zu demonstrieren. Die Polizei sprach von 300 Teilnehmenden der antifaschistischen Demonstration. Etwa 50 waren aus Berlin angereist. „Bunte Zukunft statt braunes Hinterland“, lautete das Motto der Kundgebung, zu der das Bündnis „Unteilbar Südbrandenburg“ aufgerufen hatte.
Der Aufruf von „Die Rechte“ war kurz: „Die Zustände in unserer Heimat werden von Tag zu Tag katastrophaler und sind schon lange nicht mehr hinnehmbar“, heißt es auf ihrer Homepage. Unter dem Motto „Reich statt Republik“ versammelten sich dann knapp zehn Menschen am Schlossplatz in Spremberg, liefen zu einem Gedenkstein, der Spremberg als den „Mittelpunkt vom Deutschen Reiche“ auszeichnet, und wieder zurück. Auf dem Hin- und Rückweg gingen sie jedes Mal am Pfortenplatz vorbei.
„Alle zusammen gegen den Faschismus!“, riefen die Gegendemonstranten dem kläglichen Grüppchen entgegen, „Nazis raus!“ und „Haut ab!“ Sie hielten Schilder hoch mit den Sprüchen „Faschismus ist keine Meinung“ sowie „Lieber kunterbunt statt kackbraun“. Neben Vertreter*innen des Bündnisses Unteilbar und der Gruppe CSD Spremberg sprach auch die Bürgermeisterin der 21.000-Einwohner-Stadt in der Niederlausitz Christine Herntier (parteilos).
„Nicht jeder ist willkommen: Diejenigen mit rechtem Gedankengut sind es nicht.“ Herntier erklärte weiter, Spremberg sei ein Wirtschaftsstandort und brauche Zuzug – „Sonst haben wir keine Zukunft.“ Abschließend wandte sie sich an die ehrenamtlich organisierten Menschen vor Ort. „Denken Sie darüber nach, für kommunale Gremien zu kandidieren. Wir brauchen Sie.“
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