Proteste gegen Hinrichtungen: Sturm auf Saudi-Botschaft in Teheran
Die Exekution von 47 Verurteilten in Saudi-Arabien löst weltweit Kritik aus. Im Iran greifen Demonstranten die Botschaft an, Chamenei warnt vor „Rache Gottes“.
Die Polizei war auf den plötzlichen Angriff in der Nacht nicht vorbereitet. Zwar bekam sie die Lage letztendlich in den Griff, aber die Verwüstung konnte sie nicht verhindern. Auch die Feuerwehr kam erst später, um den Brand zu löschen. Der Teheraner Staatsanwalt Abbas Dschafari Dolatabadi sagte laut der Nachrichtenagentur Isna, es seien 40 Menschen festgenommen worden, die in die Botschaft eingedrungen waren.
Für Sonntagnachmittag rief der Studentenflügel der Bassidsch-Miliz zu einer weiteren Protestkundgebung vor der Botschaft auf. Auch in der iranischen Stadt Maschhad wurde das saudiarabische Konsulat angegriffen. Das iranische Außenministerium verbot in einer Presseerklärung nach dem Angriff alle Versammlungen vor der saudischen Botschaft in Teheran und dem Konsulat in Maschhad im Nordostiran vorläufig.
Al-Nimr war am Samstag mit 46 weiteren Menschen wegen Terrorismusvorwürfen exekutiert worden. Der Iran – der schiitische Rivale des sunnitisch geprägten Saudi-Arabien – hatte mit Empörung auf die Hinrichtung reagiert. Irans geistliches Oberhaupt Ayatollah Ali Chamenei warnte das Königreich vor der „Rache Gottes“. „Das ungerechtfertigt vergossene Blut dieses Märtyrers wird rasche Konsequenzen haben und die Hand Gottes wird Rache an der saudiarabischen Führung nehmen“, sagte Chamenei am Sonntag vor Geistlichen in Teheran. „Dieser Gelehrte ermutigte Menschen weder zu bewaffneten Handeln, noch schmiedete er geheime Pläne, das einzige was er tat, war öffentlich Kritik zu äußern.“
Proteste auch in Irak und Bahrain
Das iranische Außenministeriums hatte Saudi-Arabien am Samstag vorgeworfen, „terroristische und extremistische Bewegungen“ zu unterstützen und zugleich seine internen Gegner hinzurichten. Das Königreich werde dafür „einen hohen Preis zahlen“, warnte Teheran. Riad warf seinem regionalen Rivalen daraufhin einen „aggressiven“ Tonfall vor und bestellt den iranischen Botschafter ein. Außer im Iran gab es auch in der schiitischen Pilgerstadt Kerbela im Irak und im mehrheitlich schiitischen Golfstaat Bahrain Proteste gegen die Hinrichtung al-Nimrs.
Die Hinrichtungen in Saudi-Arabien lösten überdies international Besorgnis vor neuen Spannungen in der Region aus. Auch EU, Europarat und deutsche Oppositionspolitiker kritisierten die Massenhinrichtungen. Die USA riefen Saudi-Arabien auf, „die Menschenrechte zu respektieren und zu schützen“.
Der 55-jährige Al-Nimr war wegen seiner Kritik an der Unterdrückung der religiösen Minderheit in Saudi-Arabien durch das sunnitische Königshaus eingesperrt worden. Der Aktivist war für seine Unterstützung friedlichen Protests bekannt. Inspiriert von den Protesten der arabischen Aufstände hatte er im von Schiiten bewohnten saudischen Osten ab 2011 Demonstrationen organisiert.
Saudi-Arabien: „Fußstapfen des Teufels“
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty hatte in der Vergangenheit kritisiert, Saudi-Arabien setze das Todesurteil auch als politisches Instrument gegen die schiitische Minderheit ein, die etwa 15 Prozent der Bevölkerung ausmacht. In dem überwiegend sunnitischen Land waren bereits in den vergangenen Monaten schiitische Geistliche und Aktivisten zum Tode verurteilt worden.
In sozialen Medien kursieren diverse Aufrufe zu Protesten in Saudi-Arabien. Zunächst wurden aber keine Demonstrationen aus dem ultrakonservativen Königreich gemeldet. Im benachbarten Bahrain, wo Schiiten die Mehrheit der Bevölkerung stellen, kam es dagegen zu Protesten.
Saudi-Arabien rechtfertigte die Exekutionen mit den terroristischen Taten der Betroffenen. Diese folgten „den Fußstapfen des Teufels. Durch ihre terroristischen Taten ist unschuldiges Blut vergossen worden mit dem Ziel, die Stabilität in diesem Land zu erschüttern“, hieß es nach Angaben der staatlichen saudischen Nachrichtenagentur SPA in einer Stellungnahme des Innenministeriums in Riad vom Samstag.
Saudi-Arabien hatte 2015 laut Menschenrechtlern so viel Todesurteile vollstreckt wie seit 20 Jahren nicht mehr. Der Anstieg geht einher mit der Machtübernahme von König Salman im Januar. Von Januar bis November waren demnach mindestens 151 Menschen hingerichtet worden, hatte Amnesty mitgeteilt – im gesamten Jahr 2014 seien es 90 gewesen. Die Verurteilten werden entweder enthauptet oder erschossen.
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