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Proteste gegen Corona-MaßnahmenGefährlich ist die Anreise

Wenn Demonstrationen im Freien stattfinden, ist das Infektionsrisiko dort eher gering. Problematisch sind die Forderungen der TeilnehmerInnen.

Händchen an Händchen: Menschenkette gegen die Pandemie-Politik der Regierung am 1. August Foto: Christian Mang/reuters

„Wir sind die zweite Welle“, haben die DemonstrantInnen gegen die Corona-Maßnahmen am Samstag in Berlin gebrüllt – und viele fürchten, dass sie zumindest mit dieser Aussage recht haben, weil sie mit ihrer Großveranstaltung massiv zur weiteren Ausbreitung der Krankheit beigetragen haben. Ob das tatsächlich der Fall ist, ist aber zweifelhaft.

Zumindest bei der Teilnahme an der Demonstration oder der Kundgebung selbst dürfte das Ansteckungsrisiko eher gering gewesen sein. Denn diese fanden unter freiem Himmel statt. Und nachdem diverse Studien gezeigt haben, dass Massenansteckungen mit dem Coronavirus vor allem in geschlossenen Räumen stattfinden, sagt auch das Robert-Koch-Institut (RKI) mittlerweile klar: „Übertragungen im Außenbereich kommen insgesamt selten vor.“

Übertragungen im Außenbereich kommen insgesamt selten vor

Robert-Koch-Institut

Denn anders als zu Beginn der Epidemie angenommen, spielen Aerosole, also feinste Tröpfchen in der Luft, eine wichtige Rolle bei der Übertragung. Und die reichern sich vor allem in geschlossenen Räumen an, vor allem bei Aktivitäten, bei denen intensiver als üblich geatmet wird, etwa beim Singen und Feiern oder beim Sport.

Im Freien dagegen werden Aerosole schnell verdünnt. Eine Ansteckung ist dort vor allem dann möglich, wenn man von einem Infizierten ohne Maske direkt angehustet, angeniest oder angeschrien wird. Die dabei freigesetzten größeren Tröpfchen breiten sich aber nur über kurze Entfernungen aus, so dass nur Personen in unmittelbarer Nähe gefährdet sind.

Bei der Einschätzung dieses Risikos hilft ein Blick auf die Zahlen: In Deutschland gibt es laut RKI-Zahlen derzeit etwa 8.000 bestätigte aktive Corona-Infektionen. Wenn man davon ausgeht, dass die reale Zahl fünfmal so hoch ist, heißt das, dass ein Infizierter auf 2.000 Menschen kommt. Unter den 20.000 Personen, die am Samstag in Berlin demonstriert haben, wären demnach etwa 10 Infizierte gewesen. (Dass ein Teil der Infizierten zu krank zum Demonstrieren sein dürfte, wird bei dieser Rechnung ebenso ignoriert wie die Tatsache, dass unter den DemoteilnehmerInnen die Infektionsrate höher sein könnte, weil diese im Alltag auf Schutzmaßnahmen wie Masken verzichten.) Die Zahl derjenigen, denen diesen 10 Menschen bei der Veranstaltung direkt ins Gesicht gehustet oder gebrüllt haben, dürfte recht überschaubar sein.

Größer ist die Gefahr für jene, die gemeinsam zur Demonstration angereist sind: Wer über mehrere Stunden mit einem Infizierten im gleichen Bus sitzt, dürfte durchaus ein relevantes Ansteckungsrisiko haben, vor allem, wenn dabei keine Masken getragen werden. Ähnliches gilt für volle Züge.

Am gefährlichsten sind allerdings die Inhalte, die auf der Demonstration vertreten wurden. Denn die TeilnehmerInnen wenden sich ja gegen Abstandsregeln und Masken in sämtlichen Situationen – also auch in engen geschlossenen Räumen, wo es, anders als beim Protest auf der Straße, tatsächlich Masseninfektionen gäbe, wenn diese Forderung umgesetzt würde.

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7 Kommentare

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  • Es ist nicht die Regierung, die Regeln verhängt!



    Es gibt eine Pandemie, in der alle Bevölkerungen aller Staaten überwiegend also zwischen 60-90% die Einsicht haben, dass es notwendig ist, sich vor diesen Vireninfektionen zu schützen. In Ost-Asien ist das Konsens.

  • "Größer ist die Gefahr für jene, die gemeinsam zur Demonstration angereist sind: Wer über mehrere Stunden mit einem Infizierten im gleichen Bus sitzt, dürfte durchaus ein relevantes Ansteckungsrisiko haben, vor allem, wenn dabei keine Masken getragen werden. Ähnliches gilt für volle Züge."

    Ich stimme Malte Kreutzfeldt zu - es hilft aber nicht, die Augen davor zu verschließen, daß (fast) ALLE - und es waren VIELE - Demonstrationen der vergangenen Wochen unter dem Gesichtspunkt des Pandemieschutzes ein Spiel mit dem Feuer waren.

    Zwar wurde hier häufiger als bei der aktuellen Demonstration ein Mundschutz getragen - aber keinewegs immer Und auch hier gab es z.T. gemeinsame Anreisen, oder eine Party hinterher oder eine Party am Rande (wir erinnern uns an die Bilder aus Kreuzberg), es gab Körper an Körper stehende (und erwünschte) Zuschauer am Straßenrand, und lauthalses Skandieren der Parolen.

    Dies dürfte einen bedenklichen Sekundäreffekt gehabt haben: Die regelmäßigen Bilder von Demonstranten, die sich nicht an die Abstandsregeln halten, dürften dazu beigetragen haben, daß sich generell ein eher laxer Umgang mit Corona-Schutzmaßnehmen verbreitet hat - nach meinen Beobachtungen (zugegeben anekdotisch und nicht repräsentativ) sind seit der Zeit der Demonstrationen die Mindestabstände in Warteschlangen deutlich gesunken.

    Und ganz am Rande sei auch einmal auf die Gefährdung der Polizisten, sich in diesen Diensten zu infizieren, hingewiesen.



    (In den USA sind in diesem Jahr übrigens bisher 75 Polizisten an Covid-19 gestorben.



    www.odmp.org/search/year/2020)

  • Meine Rede. Sowohl die Warnung vor neuen Hotspots durch die Demo auf der einen Seite, als auch die Behauptung, wenn man in ein paar Tagen keinen Peak in den Statistiken sähe, sei Corona wohl eine Lüge, auf der anderen Seite, haben beide keinerlei belastbare Grundlage. Statistisch geht das im Grundrauschen unter.

    Nicht im Grundrauschen untergehen würde es allerdings, wenn die Demonstranten sich mit ihren unverantwortlichen und naiven Forderungen allgemein durchsetzen würden. Die Schutzmaßnahmen im Alltag bleiben weiterhin notwendig.

    • @PPaul:

      Die Corona-Demos erscheinen doch eher als ein Witz am Rande, eine feine Gelegenheit, um zu lästern. Tatsächlich scheinen sich die Forderungen längst durchgesetzt zu haben - aber kaum jemand traut sich, dies offen einzugestehen oder gar etwas dagegen zu unternehmen.

      Am späten Samstag hatte ich dienstlich noch in einer mittelgroßen Stadt zu tun. Auf dem Rückweg: Menschenmassen, zumeist jünger als 30 Jahre. Ohne Mundschutz, am warmen Sommerabend dicht gedrängt in Feierlaune, der Alkohol floss in Strömen, aufgeheizte Stimmung wie auf einer riesigen Party. Corona schien ganz, ganz weit weg. Der Taxifahrer meinte, er habe an den letzten Wochenenden genauso viele Touren gehabt, wie vor der Krise...

      Auf der Demo dürften es natürlich nicht - wie behauptet - 1,2 Mio Teilnehmer gewesen sein. Aber wie viele waren es am Abend in den deutschen Städten? Da dürfte die Zahl durchaus realistisch sein und ungefährlich ist dieses Verhalten sicher nicht.

      • @Cerberus:

        Genau das ist der Punkt: Nicht einzelne Veranstaltungen wie diese Flachdenker-Demo sind die Gefahr, sondern das Verhalten im Alltag. Wenn wir allerdings wieder eine Vielzahl von Großveranstaltungen bekommen wie vor Corona, ist die Gesamtheit dieser Veranstaltungen natürlich auch wieder ein Problem. Aber eine einzelne Veranstaltung löst keine 2. Welle aus.

        • @PPaul:

          Deswegen ist der Mediendiskussions-Gangbang gegen/über diese seltsame Demo ja auch so wohlfeil. Projektion.

          • @Kawabunga:

            Es gäbe eine Menge inhaltlich über diese merkwürdige Demo zu sagen. Deswegen bin ich der taz auch dankbar, dass sie nicht in den Dramatisierungschor einer Nebensächlichkeit einstimmt.