Proteste gegen Antisemitismus in London: Labour unter Druck
Jüdische Verbände in London demonstrieren gegen Antisemitismus in der Labour-Partei. Abgeordnete solidarisieren sich mit dem Protest.
Die Organisatoren sprachen von kurzfristiger Mobilisierung in den sozialen Medien, die dennoch respektable Mengen aufgebracht hatte. Unter den Teilnehmern waren zahlreiche Parlamentsabgeordnete, darunter mindestens 15 von Labour selbst – einschließlich prominenter Figuren wie Harriet Harman, Yvette Cooper und Chuka Umunna. Viele der Versammelten trugen schwarze Plakate mit den Worten „Enough is Enough“ (Genug ist genug), einige auch sarkastisch „Labour for all, not for Jews“, (Labour ist für alle, aber nicht für Juden).
In der Mitte des Platzes auf einer kleinen Erhöhung mit Lautsprecheranlage sprachen die Bod- und JLC-Vorsitzenden die Menge an. Jonathan Goldstein (JLC) erwähnte das bevorstehende Pessachfest, wo traditionell das Lied Dajenu (Es ist uns genug) gemeinsam gesungen wird. „Wir haben auch genug vom Antisemitismus. Dieser ist nicht ok in einer politischen Partei des Mainstreams“, bemerkte er und wurde mit lauter Zustimmung begrüßt.
Johnathan Arkush (Bod) griff in seiner Ansprache auf, dass trotz ihrer antisemitischen Äußerungen die Labour-Politiker Ken Livingstone, Jacqui Walker und Chris Williamson immer noch in der Partei seien. Der Labour-Abgeordnete Wes Streeting schloss sich der Forderung an, dass diese Personen aus der Partei zu verschwinden hätten. Arkush forderte einen Kulturwechsel auf allen Ebenen bei Labour. Beim Antisemitismus seien da Dinge akzeptabel, die beispielsweise bei Sexualverbrechen unmöglich wären. „Wenn Juden Argumente zum Antisemitismus erheben, schieben manche die Schuld auf die Geschädigten. Dies ist völlig inakzeptabel.“
Mehrere weitere Labour-Abgeordnete meldeten sich hierauf zu Wort. John Mann entschuldigte sich dafür, dass es zu dieser Versammlung kommen hatte müssen, denn „jüdische Arbeiter standen an der Wiege der Partei“, erinnerte er. Antizionismus sei nur eine Ausrede für Rassismus. Er forderte, dass alle Antisemiten aus der Partei ausgeschlossen werden sollten.
John Mann
Nach ihm berichtete die ehemalige Chefin der Londoner Bezirksverwaltung Haringey, die auf Druck des Corbyn-treuen Flügels ihren Posten räumen musste, vom Widerstand in ihrem Ortsverein gegen eine Resolution zur Bekämpfung des Antisemitismus, und von einem jüdischen Genossen der mit antisemitischen Bemerkungen angegriffen wurde.
Luciana Berger aus Liverpool las antisemitische Begebenheiten aus nur der vorherigen Woche vom Blatt: Die Suspendierung eines Stadtrates wegen Holocaustverleugnung. Die Einstellung eines Holocaust-Geschichtstrainings, weil ein Genosse behauptet hatte, es sei von israelischen Geldern getragen. Ein anderer Genosse, der behauptete, Antisemitismus sei im Namen der Meinungsfreiheit zu akzeptieren.
Berger, die einst selbst antisemitische Attacken erleben musste, für die zwei Personen zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden, forderte die Menge auf, der jüdischen Arbeiterbewegung beizutreten, um den Kampf zu stärken. Louise Ellman, eine weitere Labour-Abgeordnete aus Liverpool, erklärte zum großen Beifall der Versammelten den Kampf gegen Antisemitismus zum Kampf der Gesellschaft allgemein und nicht nur der jüdischen Gemeinschaft.
Debatte ist noch lange nicht beendet
Zum Gegenprotest mobilisierte der jüdische Labour-Verband „Jewish Voices for Labour (JVL) an die 200 Personen. Das sorgte für ausgiebigen Argumentationsaustausch. JVL-Vizepräsidentin Leah Levane wollte sicherstellen, wie sie der taz sagte, dass alle wissen, dass sie sich nicht vom Bod oder der JLC vertreten sehe. „Parteiführer Corbyn leidet seit 2015 unter ständigen Attacken durch konservative Kräfte. Er ist kein Antisemit!“ Sie vertrete Personen, die sich gegen die Besetzung palästinensischer Gebiete aussprechen würden sowie gegen Rassismus und Antisemitismus. Während sie sich äußerte, musste sie sich Beschimpfungen von Umstehenden wie, „Schämt Euch“ gefallen lassen.
Die Debatte um Corbyn und Antisemitismus scheint noch lange nicht beendet. Politisch scheint Labour jedoch unter immensem Druck zu stehen. Alle Augen sind nun auf den nächsten Schritt des Parteichefs gerichtet.
„Ich war immer eine Labourwählerin“, sagt die Demonstrantin Rebeka Jones, eine 53-jährige Südlondonerin. Corbyn könne sie aber nicht wählen, bis der der Antisemitismus aus der Partei verbannt sei. „Antisemitismus ist ein Hassverbrechen wie alle anderen und muss so behandelt werden“, fordert sie. Alia Derriey, 17, aus Südwestlondon, fühlte sich von Labour angesprochen – und vom Antisemitismus in der Partei abgestoßen.
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