Protest gegen Regierung in Österreich: Zehntausende gegen Schwarz-Blau
Tausende Menschen haben am Samstag in Wien gegen die neue Regierung demonstriert. Im Dezember hatte die Rechtskoalition die Geschäfte übernommen.
Da sah man Verbotsschilder mit den Porträts der Regierungsspitzen, originelle Objekte wie eine aufblasbare Knackwurst mit der Aufschrift „Alles hat ein Ende …“ und den wie immer martialisch auftretenden schwarzen Block, der mit pyrotechnischen Patronen farbige Nebelschwaden absonderte. Während die Polizei, die auch gegen Vermummte nicht einschritt, 20.000 Teilnehmer meldete, sprachen die Veranstalter bei der Schlusskundgebung am Heldenplatz von 80.000. Da mag man Neugierige und Passanten auf der Mariahilfer Straße großzügig mitgezählt haben. Tatsache ist aber, dass das selbst gesteckte Ziel von 10.000 weit übertroffen wurde.
Die pensionierte Sozialpädagogin Margit Harnacker von den Omas gegen Rechts möchte sich nicht in der Kategorie „links“ verortet sehen. Vielmehr ist es ihr ein Anliegen, zu demonstrieren, dass nicht nur „linkslinke versiffte Nichtsnutze“ mit der Wendepolitik der Rechtsregierung nicht einverstanden sind. Dieses Klischee bemüht vor allem die FPÖ, wenn es darum geht, Demonstranten abzuqualifizieren. Unter den Omas marschierte auch die frühere Moskau-Korrespondentin des ORF, Susanne Scholl. Sie sprach das Ableben der „letzten Zeitzeugen des Nationalsozialismus“ an. Es sei nun die Pflicht nachfolgender Generationen, dass die Lehren aus der Geschichte nicht vergessen werden.
Neben den federführenden Organisationen Offensive gegen Rechts, Plattform radikale Linke und Plattform für eine menschliche Asylpolitik hatten vor allem gewerkschaftliche Gruppen, die HochschülerInnenschaft und einzelne Migrantenverbände mobilisiert.
„Sie sagen: kürzen, wir sagen: stürzen“
Der Ex-Fraktionschef der Grünen, Albert Steinhauser, führte ein Grüppchen der seit den Wahlen vom 15. Oktober außerparlamentarischen Opposition an. Er verneinte Berührungsängste angesichts der zahlreich vertretenen linken Gruppierungen. Gegen Schwarz-Blau zu sein, sei nichts Ehrenrühriges. Die oppositionelle SPÖ zeigte vor allem in Gestalt von gewerkschaftlichen Gruppen, Sozialistischer Jugend und Studierendenverband VSStÖ Präsenz.
„Sie sagen: kürzen, wir sagen: stürzen“. Diesem Slogan folgte zwar kein Volksaufstand, doch wurde klar, dass vor allem einzelne Minister mit Beobachtung durch besonders wachsame Augen zu rechnen haben. Allen voran Innenminister Herbert Kickl (FPÖ), der für den Aufreger der Woche sorgte, als er erklärte, bei den geplanten „Grundversorgungszentren“ in Kasernen gehe es darum, „diejenigen, die in ein Asylverfahren eintreten, auch entsprechend konzentriert an einem Ort zu halten“. Dass beim Chefideologen der FPÖ die Assoziation zum KZ nicht fernlag, hatte auch im Ausland für Schlagzeilen gesorgt. Eine nachträgliche „Klarstellung“, in der Kickl Begrifflichkeiten des „verabscheuungswürdigen NS-Verbrecherregimes“ zurückwies, diente zwar Kanzler Kurz und anderen Regierungsmitgliedern, den verbalen Ausrutscher zu verharmlosen, doch schon die Idee, Flüchtlinge zu kasernieren, zeigt, in welche Richtung es gehen soll.
Maria Mayrhofer, Mitbegründerin der Initiative #aufstehn, glaubt, dass viele Menschen die Veränderungen und Einschnitte ins Sozialsystem anfangs gar nicht registrieren werden, denn es ginge zunächst „gegen sowieso schon marginalisierte Gruppen wie Flüchtlinge“. Gegen legal im Lande arbeitende Ausländer richtet sich die Anpassung des Kindergeldes an das Preisniveau im Ursprungsland. Zwar ist fraglich, ob das EU-konform ist, doch ist die Neiddebatte angeheizt.
Die 2000 angetretene ÖVP-FPÖ-Regierung unter Wolfgang Schüssel hatte ein Ritual des Widerstands, die Donnerstagsdemos, provoziert. Etwas Vergleichbares wird es diesmal nicht geben. Hermann Dworczak vom Komitee Solidarität mit dem Widerstand in Griechenland und Mitglied des Organisationskomitees, sieht die Demonstration vom Samstag als Signal, „dass Widerstandspotenzial da ist“. Jetzt gelte es, „Strukturen aufzubauen und alternative Konzepte zu entwickeln“. Die Regierung lasse sich von einer gelungenen Demonstration nicht beeindrucken. Aber wenn die geplanten großen Einschnitte, wie die Einführung des Zwölfstundentages, kommen, werde der Protest wieder hörbar werden.
Dieser Artikel wurde aktualisiert um 18.20 Uhr.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche