piwik no script img

Protest gegen Bouleclub-SchließungAux boules, citoyens!

Valérie Catil
Kommentar von Valérie Catil

In Paris muss ein traditionsreicher Bouleclub schließen. Das ist für ältere Spieler fatal. Denn ihnen fehlen in Großstädten Orte der Gemeinschaft.

Körpereinsatz für die Kugel: Die Polizei löst die Besetzung auf Foto: Gregoire Campione/afp/dpa

B eim In-die-Knie-Gehen knackst es. Ein Auge zugedrückt, visiert das andere das „Cochonnet“, das kleine Holzkügelchen, an. Dann fliegt die schwere Metallkugel aus der Hand in seine Richtung – oft begleitet von einem leichten Grunzen des ja meist nicht mehr ganz jungen Spielers. Die Kugel landet, wirbelt etwas Staub auf, „pas mal“, „nicht schlecht“, dann ein Pastis, noch eine Zigarette und das gerne stundenlang. Boule, auch bekannt als Pétanque, ist schließlich französischer Nationalsport.

Einer der Orte, wo die Metallkugeln durch die Luft fliegen, wo sich Nachbar_innen treffen und austauschen, ist nun selbst zum „Cochonnet“ im Auge der Pariser Abrissbirnen geworden. Ein 1971 gegründeter Bouleclub muss nach Beschluss der Bürgermeisterin Anne Hidalgo (Parti Socialiste) schließen, um einem schicken Gartenprojekt zu weichen. Ein Fehler. Denn in Frankreich, wo besonders alte Menschen in Städten unter Einsamkeit leiden und sie zu einer regelrechten Lebensgefahr werden kann, braucht es genau diese Treffpunkte.

Darüber, was genau es an dem Sport ist, das ausgerechnet Senior_innen so attraktiv finden, kann man nur spekulieren. Die frische Luft? Das Geplausche nebenbei? Die nicht allzu anstrengende körperliche Betätigung? All das muss Pétanquisten begeistern. Dazu ist die Kugelwerferei gesund. Sie soll gegen Krankheiten wie Osteoporose und Arthrose vorbeugen, förderlich für die Augen-Hand-Koordination sein und das Konzentrationsvermögen steigern. Ein wahrhaftiges Wundermittel, das zumindest an einem Ort in Paris nicht mehr wirken kann.

Lange Tradition: Seit dem 20. Jahrhundert spielen Einwohner in Montmartre Boule Foto: clap

Etwa 80 Demonstrierende des traditionsreichen Pétanque-Club CLAP (Club Lepic Abbesses Pétanque) im Viertel Montmartre transportierte die Pariser Polizei am Montag von den heiligen Kiesplätzen ab. Seit zwei Jahren drohte dem sogenannten Boulodrome in der Avenue Junot die Schließung. Im April begannen Mitglieder den Bouleplatz zu besetzen, ketteten sich an und schliefen dort in Zelten, um den Ort zu überwachen und einer möglichen Räumung vorzubeugen. Bis sie am 184. Morgen die Polizei weckte.

Hotel bestreitet Pläne

Ein beliebter Versammlungsort in Montmartre muss nun einem Gartenprojekt weichen, dem Jardin Junot, das die Stadt mit dem angrenzenden Luxushotel L’Hôtel Particulier erbauen will. Der CLAP fürchtet, dass das Hotel den Platz als Terrasse nutzen wird, um dort für „25 Euro Gin und Tonics“ zu verkaufen, wie ein Pétanquespieler in einem Video sagt. Auch französische Medien berichten, dass das Hotel den Platz anmieten wird.

Das Hotel jedoch bestreitet das auf Anfrage der taz, es habe lediglich vor, das Gartenprojekt zu unterstützen. Auch wenn die genauen Pläne für das Grundstück nicht durchsichtig sind, ist eines sicher: Boule wird dort so nicht mehr gespielt und die CLAP-Herrschaften müssen nach Hause gehen.

Eine wirkliche Schande, löst der Ort doch zumindest für manche ein verbreitetes Problem: epidemische Einsamkeit. Die gemeinnützige Organisation Petits Frères des Pauvres, die sich für ältere Menschen einsetzt, veröffentlichte 2019 eine Studie, die Einsamkeit im Alter beleuchtet: 4,6 Millionen Französinnen und Franzosen über 60 gaben an, sich einsam zu fühlen – verstärkt besonders in Städten. Und sie drückten einen klaren Wunsch aus: einen besseren Zugang zum öffentlichen Raum.

Orte wie das Boulodrome zumindest nicht zu schließen, wäre also das Mindeste, was die Stadt Paris leisten könnte. Auch wenn das CLAP besonders stolz auf seine Vielfalt ist, auf sein Frauenteam und seine Mitglieder aus allen sozialen Schichten, beeindruckt vor allem eines: Bis zu 90 Jahre alt sind einige Pétanquisten des CLAP, die sich dort regelmäßig trafen und letztlich, ja, Sport trieben. Welche öffentlich zugänglichen Orten können das schon von sich behaupten?

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Valérie Catil
Gesellschaftsredakteurin
Redakteurin bei taz zwei, dem Ressort für Gesellschaft und Medien. Studierte Philosophie und Französisch in Berlin. Seit 2023 bei der taz.
Mehr zum Thema

15 Kommentare

 / 
  • tu tir, ou tu pointe?

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      Bei allem Respekt für Ihr Ziel, Französisch etwas minder kompliziert erscheinen zu lassen, wäre es bei Pétanque immer noch "Tu tires ou tu pointes ?" Auch wenn es römische Patrouillen zum Wahnsinn bringt.

      • @Janix:

        Bei der Grammatik ist es schon mal so,



        Es stimmt oder es stimmt nicht, knapp vorbei ist auch daneben.



        Asche auf mein Haupt!



        Aber bei den römischen Patrouillen bin ich dabei!

  • Die können doch Alexa für sich Boule in TikTok spielen lassen, diese lästigen Fortschrittsbremser.

  • Zum Thema Rollen oder Werfen hat Asterix' Tour de France schon alles Nötige aufgelistet.



    Das Dilemma ungehinderter, unkontrollierter privatwirtschaftlicher Nutzung öffentlicher Güter ist die Übernutzung und der Ausschluss sozial wichtiger Dinge. Obwohl ein schöner Park für alle volkswirtschaftlich klug viele private "Gärten" einspart.

    Soyons créatives: Warum nicht Solarpanele und Erdwärme zur Gegenfinanzierung, teilweise Überbauung über den Platz für Radparkhäuser, mehr Grün, das die Stadt auch braucht ...

  • So zitierte schon Sven Günther (wo ist er wohl?) treffend Ultra Vomit:

    "Les politiques ferment les yeux, personne ne bouge Pourtant il faudra bien un jour voir la réalité en face. Un chien géant? C'est comme un chien mais en plus grand. Et nous sommes tous enfermé

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      - anschließe mich & ⛷️“Wo bleibt … Sven Günther?“ - der fehlt was länger & sehr!



      Frage frank & frei “Isses die Mame - isses die



      Schickse? - einerlei! Komm wieder bei uns bei!“



      Und weil grad Dunnerstach & aus & 🐭 ! Woll



      Dank im Voraus. Wäre toll •

      unterm——& auch wg Montmartre —



      Schickse (Jiddisch: שיקסע schikse f, שיקסעס schikses pl von Hebräisch שֶקֶץ šeqeṣ, „Unreines, Abscheu“) bezeichnet ursprünglich eine nichtjüdische Frau. Es geht auf das nachantike Femininum »schiqesa« (neuhebräisch »schiktso« = die Unreine) zurück und wurde ursprünglich wie auch später im Jiddischen zunächst zur Bezeichnung eines nichtjüdischen Mädchens oder Dienstmädchens gebraucht.



      Wörtlich bedeutet es nach seinem Gebrauch in Genesis 1, 3 „Kriechtier“ und, davon abgeleitet, „Gräuel vor Unreinem“.…



      Das männliche Gegenstück der Schickse ist im Jiddischen der Schegez (jiddisch: שייגעץ schejgez m, שקצים schkozim pl; YIVO: sheygets, shkotsim)…

      kurz - Im jiddischen Sprachgebrauch bezeichnet „Schickse“ eine nichtjüdische (gojische) Frau. Wenn man impliziert, dass ein Jude nur eine Jüdin heiraten soll, ist eine Schickse also ein nichtjüdisches Mädchen, das für Heirat und Familiengründung nicht in Frage kommt.

  • Eine Schande für das Mutterland und den Entstehungsort der Orthopädie! Der große Nicolas Andry, Dekan der medizinischen Fakultät der Sorbonne von 1724 bis 1726 hat 1741 das Wort "Orthopédie" erschaffen um damit darzulegen, dass es darauf ankommt mit einfachen Mitteln zuerst vorzubeugen und dann zu behandeln ( "L´art de prevénir et de corriger les difformités du corps .. le tout par des moyens à la portée des pères et des mères ...") und ist damit im 18. Jh. selbst 84 Jahre alt geworden (1685-1742).



    Das interessiert Anne Hidalgo aber nicht, denn ihr Schwerpunkt sind Kultur, Ökologie und sozialer Wohnungsbau.



    Die protestierenden Senioren müssen darum kämpfen ihre gesunde Lebensweise behalten zu dürfen, gegen ein sozialistische Bürgermeisterin ! Kaum zu glauben ! Gut dass darüber berichtet wird.

    fr.wikipedia.org/w...ndry_de_Boisregard



    de.wikipedia.org/wiki/Anne_Hidalgo

    • @Hans - Friedrich Bär:

      Nicolas Andry hat von 1658 bis 1742 gelebt. "1685" im obigen Beitrag ist ein Tippfehler.

      In der französischen Wikipedia steht über ihn :



      "Fervent partisan d'une thérapie par le mouvement (kinésithérapie et gymnastique), il développe un projet éducatif global d'exercice corporel pour en faire une pratique de santé."

      Besser kann man auch das Anliegen der Boulespieler nicht ausdrücken .

  • Ja wie? 🦆🦆🦆 - …anschließe mich!



    Denn. Das Schweinchen „Cochonnet“ - 🐷 - erkennste bekanntlich - immer am Ringelschwänzchen!



    Anne Hidalgo (Parti Socialiste) - Ach was! Loriot “Ehemalige Mitarbeiter prangern ihren autoritären Führungsstil an. Als ihr Stellvertreter Bruno Julliard 2018 überraschend zurücktrat, sprach er von einem „Defizit beim Austausch und beim Zuhören“



    Ma hett sich‘s denke kenne. Newahr



    Normal



    unterm——-



    taz.de/Praesidents...ich-2022/!5796021/



    & darum gehts doch - übersichtlich - wa!



    “Ein Spielfeld sollte innerhalb dieser Umrandung eine Größe von 12x3 m aufweisen. Für zwei Spielfelder nebeneinander



    wäre 12x5 m das Idealmass.“



    &



    Eine Handvoll Kies - statt Händevoll €€€€ - 🤬 -



    www.boule.ch/de-ch...0reizvoll%20machen.

    kurz - jeder mittelbegabte Architekt kriegt da ein integrierte sozialverträgliche Planung hin •

    • @Lowandorder:

      1 - 2 Spielfelder würden vielleicht in einer deutschen Kleinstadt ausreichend sein, aber sicher nicht für einen Klub, der offensichtlich über mehrere Dutzend Mitglieder verfügt. Nix mit sozialverträglich. Wir nehmen die Mark, aber geben den Pfennig.

      • @Pancho and Lefty:

        Ok Ok - dann vorweg Hobo Bob & auch mein Lieblingssong



        Merle Haggard, Willie Nelson - Pancho and Lefty



        www.youtube.com/pl...playnext=1&index=1



        But. Kapieren tu ich‘s nicht:



        Soll die Pseudo-Sozialistin per ordre mufta tabula rasa machen - oder besser die Rentnerbamd ne ruhige Kugel schieben?!



        (Kennt jemand den Platz?)



        &nochens



        Mit Parks - scheint sie es ja zu haben



        “Für den Fall ihrer Wahl versprach Hidalgo zudem neue Sozialwohnungen und eine bürgernahe Polizeipräsenz und kündigte an, Teile der Avenue Foch in einen öffentlichen Park zu verwandeln.“



        de.wikipedia.org/wiki/Anne_Hidalgo

  • Und das Ganze dann auch noch von einer sozialistischen Bürgermeisterin initiiert