Protest Kreuzberger Gewerbemieter: Düstere Aussichten
Steigende Mieten bringen Kreuzberger Gewerbetreibende in Not. In der Oranienstraße wehrten sie sich mit einer Verdunklungsaktion.
Es ist Mittwochabend, und die Kreuzberger Oranienstraße bietet einen ungewohnten Anblick. Während sonst in der Dämmerung erleuchtete Schaufenster die Blicke anziehen, sind heute die Scheiben vieler Läden mit Tüchern verhängt, mit Packpapier verklebt oder hinter heruntergelassenen Rollläden verborgen. Vor den dunklen Geschäften stehen Leute und unterhalten sich. „Nicht euer Casino“ steht auf zahlreichen Plakaten, oder: „Das ist unsere Straße“. Im Fenster der Kneipe Bateau Ivre am Heinrichplatz ist zu lesen: „Unser Vermieter unterstützt die Verdunklungsaktion.“
Rund 90 Gewerbetreibende aus der Straße haben sich für diesen Abend zu der Aktion verabredet. Gemeinsam wollen sie sich damit gegen Verdrängung wehren.
Die Oranienstraße ist eine der Hauptstraßen Kreuzbergs, mit vielen Restaurants und Touristen – aber auch einer über Jahrzehnte gewachsenen Struktur von Läden, Handwerksbetrieben und Sozialprojekten. In diesem Jahr mussten wegen steigender Mietforderungen mehrere Gewerbetreibende aufgeben. Andere entgingen nach Protesten und Verhandlungen nur knapp einer Schließung. Die bekannte Buchhandlung Kisch & Co gehört dazu. Aktuell gefährdet sind ein seit 30 Jahren ansässiger Späti in der Oranienstraße 34, das Schreibwarengeschäft Papeterie und ein Kinderladen, der wegen laufender Verhandlungen nicht genannt werden will.
Die Häuserzeile Oranienstraße 199–205 zwischen Heinrichplatz und Görlitzer Bahnhof wurde Ende 2016 en bloc von der Deutschen Investment Kapitalverwertungsgesellschaft mbH gekauft, der der Immobilienfonds „Deutsche Investment – Wohnen III“ angehört. Inzwischen haben die meisten Läden hier fristgemäße Kündigungen bekommen.
Kein mietrechtlicher Bestandsschutz
Mit der Verdunklungsaktion will das Bündnis der Gewerbetreibenden öffentlichen und politischen Druck erzeugen. Unter anderem verlangen sie, bezirkliche Vorkaufsrechte auch für Gewerberäume anzuwenden. Eine zentrale Forderung ist auch ein Kündigungsschutz für Gewerbemieter. Denn anders als für Wohnungsmieter gibt es für diese bislang mietrechtlich keinerlei Bestandsschutz. Denkbar ist etwa, verbindliche Mustermietverträge einzuführen.
Vorbild könnte der Vertrag sein, den Rechtsanwalt Christian Ströbele, Charles Skinner und David Evans zum Abschluss des Konflikts um die nahe Berliner Bäckerei Filou ausgehandelt haben. Dieser sieht unter anderem vor, dass – ähnlich wie im Wohnungsmietrecht – Kündigungen nur dann möglich sind, wenn außerordentliche Gründe vorliegen. Nicht aber, um einen höheren Mietpreis zu erzielen. Mietsteigerungen müssten sich demnach an einem Index orientieren, der die durchschnittliche Steigerung der Kaufkraft abbildet.
Einen Kündigungsschutz für Gewerbemieten durchzusetzen, wird allerdings nicht einfach. Das Gewerbemietrecht regelt das Bürgerliche Gesetzbuch – Änderungen können nur auf Bundesebene erfolgen. Eine entsprechende Bundesratsinitiative plant Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) bereits, konkretere Informationen liegen allerdings noch nicht vor.
Besonderen Schutz brauchen nach Auffassung des Bündnisses Sozialprojekte, weil diese mit ihren Etats schlecht auf Mieterhöhungen reagieren können. Für akute Fälle fordert die Initiative deshalb, dass der Landeshaushalt Fehlbeträge ausgleicht. Und weil die Mühlen der Gesetzgeber – wie auch immer die Sache ausgeht – langsam mahlen, fordert das Bündnis ad hoc ein Mieterhöhungsmoratorium für die Oranienstraße für die nächsten fünf Jahre.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen