Propaganda in Belarus: Frieren muss man nur im Westen
Die staatliche Propaganda in den belarussischen Medien erinnert an Meldungen aus der Sowjetzeit. Gerichtsurteile ergehen in Minsk auch in Abwesenheit.
I ch wurde in der Sowjetunion geboren. Ich erinnere mich noch, dass nach der Sendung „Gute Nacht, liebe Kinder“ im Fernsehen immer die Nachrichtensendung „Wremja“ kam. Mit viel Pathos wurde dort erzählt, wie gut wir leben und wie verfault der Westen ist. Wenn ich heute belarussische TV-Sendungen schaue, ist das für mich wie ein schreckliches Déjà-vu. Nur dass ich keine fünf Jahre mehr alt bin und dass ich jetzt mit dem Internet eine Alternative habe.
Чтобы как можно больше людей смогли прочитать о последствиях войны в Украине, taz также опубликовал этот текст на русском языке: here.
Ich sehe aus dem Fenster, draußen liegt überall Schnee, es sind drei Grad unter null. Im restlichen Europa ist vielerorts ein warmer Winter, aber bei uns im Fernsehen behaupten sie, dass dort alle fast erfrieren. Es scheint, dass Gott den Aggressorstaaten Frost schickt und den übrigen Ländern einen Winter mit 10 Grad über null, wie in Berlin.
Ich lebe in einem Land, in dem es „manchmal nicht ganz gesetzeskonforme“ Befehle von jemandem gibt, der sich für den Präsidenten eines unabhängigen Staates hält, das Land aber faktisch seinem östlichen Oberherren verkauft hat. Hier sitzt ein Nobelpreisträger in Haft, und Menschen wird das Recht verweigert, Gerichtsverfahren in ihrer belarussischen Muttersprache zu führen.
Jetzt stellte sich auch heraus, dass der Kulturmanager und Gründer des Geschäfts für nationale Symbole und Souvernirs „Symbalby“, (es handelt sich um die nationalen Symbole in den Farben Weiß-Rot-Weiß der belarussischen Opposition; Anm. d. Übersetzerin), Pawel Belous, seit einem Jahrzehnt in dem verfassungswidrigen Bestreben aktiv war, die Regierung abzusetzen. Er „verbreitete die Ideen des belarussischen Nationalismus unter dem Deckmantel der kulturellen und historischen Entwicklung“. Becher und T-Shirts mit belarussischen Ornamenten, die man früher gerne an Menschen aus anderen Länder verschenkt hat, sind heute für das Regime schlimmer als eine Bombe. Pawel Belous drohen bis zu 15 Jahre Haft.
Verurteilungen in Abwesenheit sind in Belarus gängige Praxis. Die Anführerin der demokratischen Opposition, Swetlana Tichanowskaja, sowie auch die fünf Mitglieder ihres Koordinierungsrates wurden aufgefordert, am 17. Januar um 10 Uhr mit ihren Ausweisen zum Stadtgericht Minsk zu kommen. Alle Beteiligten leben außer Landes.
Ein mögliches Urteil unter Ausschluss der Öffentlichkeit hat nach Aussage der Juristin des Büros von Tichanowskaja, Christina Richter, nur einen einzigen Zweck: die Möglichkeit zu bekommen, denjenigen Belarussen aus politischen Gründen rechtswidrig die Staatsbürgerschaft zu entziehen, die von der völlig blinden belarussischen Themis nicht erreicht werden können. Interessanterweise verwendete das „Gericht“ die Stimmzettel von 2020 als Schuldbeweis, auf denen für Swetlana Tichanowskaja gestimmt wurde.
All das erinnert mich an die Zeiten des „Kriegskommunismus“, als es galt, die „Volksfeinde“ zu vernichten, ihr Eigentum zu beschlagnahmen und kein abweichendes Denken zuzulassen. Lukaschenko scheint in Belarus eine UdSSR 2.0. erschaffen zu wollen.
Aus dem Russischen Gaby Coldewey
Finanziert wird das Projekt von der taz Panter Stiftung.
Einen Sammelband mit den Tagebüchern hat der Verlag edition.fotoTAPETA im September herausgebracht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“