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Produkte aus israelischen SiedlungenAus Boykott mach „Buy-cott“

Manche Europäer freuen sich über Etiketten, die Aufschluss über in den Siedlungen gefertigte Produkte geben. Sie kaufen diese Waren ganz gezielt.

Der genaue Herkunftsort auf den Etiketten hilft Kunden, die mit ihrem Kauf die Siedlungen unterstützen wollen. Foto: ap

Esch Kodesch afp | Wein, Schmuck oder Schokolade sind in den Paketen, die Andreas Boldt jeden Monat in seiner niedersächsischen Heimat in Empfang nimmt. Dass sie in Ortschaften hergestellt wurden, die völkerrechtlich illegal sind, stört ihn nicht. „Ich bestelle diese Produkte, um die Gemeinden dort zu unterstützen“, sagt der Feinwerkmechaniker aus dem Kreis Minden-Lübecke über die pauschal 100 Dollar (93 Euro) teuren Lieferungen. Versendet werden sie aus jüdischen Siedlungen im besetzten Westjordanland.

Die Europäische Union hat am Mittwoch eine Vorschrift verabschiedet, nach der auf den Etiketten von Importwaren aus den von Israel vor 48 Jahren eroberten Gebieten präzise Herkunftsangaben stehen müssen – „Made in Israel“ reicht nicht mehr. Israel sieht sich dadurch diskriminiert.

Die Genfer Konvention verbietet es einer Besatzungsmacht, die eigene Bevölkerung in eroberten Gebieten anzusiedeln und dort Bodenschätze auszubeuten. Nationalreligiöse unter den inzwischen rund 400.000 jüdischen Siedlern im Westjordanland sehen die Palästinensergebiete dagegen als integralen Bestandteil Israels.

Einige von ihnen haben deshalb trotzig und selbstbewusst schon in den vergangenen Jahren begonnen, den genauen Herkunftsort auf ihre Verpackung zu schreiben. Und manche Europäer kaufen sie dann gezielt. Viele machen dafür religiöse Gründe geltend – neben Juden vor allem evangelikale Christen.

Wein aus dem Heiligen Land

Auch für die Erzeuger, die schon von sich aus die Herkunft aus Siedlungen auf ihren Etiketten vermerken, „spielt Religion eine ganz wichtige Rolle“, erklärt Miri Maoz-Ovadija, Sprecherin des Benjamin-Regionalrats, dem 40 israelische Siedlungen im Gebiet um Ramallah angehören. „Da Israel das Heilige Land ist, bedeutet es für diese Leute viel, wenn sie Wein oder Früchte aus Judäa und Samaria genießen.“

Andreas Boldt ist einer von rund tausend europäischen „Partnern“ der Stiftung Lev Haolam (“Herz der Welt“), die die Pakete vertreibt. Arjanne Kloos leitet den niederländischen Zweig, der derzeit hundert Mitglieder zählt. „Das jüdische Volk hat soviel durchgemacht, gerade hier in Europa“, begründet die 31-Jährige ihre Unterstützung der Siedler.

„Herz der Welt“-Gründer Nati Rom führte kürzlich 20 niederländische „Partner“ über die Felder in seinem Wohnort Esch Kodesch, einem Außenposten radikaler Siedler im Norden des Westjordanlands, der auch nach israelischem Recht illegal errichtet wurde. Auf dem Weg zu einer Seifenfabrik den Hügel herunter kamen die Besucher an der palästinensischen Ortschaft Duma vorbei.

Kaum wirtschaftliche Bedeutung

Hier war Ende Juli ein Brandanschlag auf zwei Wohnhäuser verübt worden, dem ein Kleinkind und seine Eltern zum Opfer fielen. Israels Armee und Geheimdienst sind sich sicher, dass die Täter aus den umliegenden Siedlungsaußenposten stammen.

Die Entscheidung der EU, Herkunftsbezeichnungen auf den Siedlerprodukten durchzusetzen, soll angesichts des fortgesetzten Siedlungsausbaus und der nachträglichen Legalisierung „wilder“ Außenposten politischen Druck ausüben. Wirtschaftlich hat sie wenig Bedeutung, weil nur rund zwei Prozent der Exporte in die EU aus den Palästinensergebieten oder von den Golanhöhen stammen. Die Palästinenser begrüßen die neue EU-Vorschrift, fänden ein völliges Importverbot aber angemessener.

Die pro-israelischen Aktivisten dagegen wollen die Etikettierung für ihre Zwecke nutzen. Claudia Schille, „Partner“ von Lev Haolam in Norwegen, die sich ebenfalls als Christin in der Pflicht sieht, freut sich über die Chance, die Siedlerwaren nun leichter zu erkennen. Sie sagt: „Wir machen aus dem Boykott einen Buy-cott“.

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21 Kommentare

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  • Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie viel im Kern ziemlich brauner Antisemitismus sich in den Kommentaren unter einem schicken linken Deckmäntelchen tarnt.

    • @Petronius der Jüngere:

      Tja, mein lieber Petronius, so einfach kann man es sich natürlich auch machen:

      Alle Widersprüchlichkeiten dieser Welt einschmelzen auf ein schlichtes Schwarz/Weiß-Muster - und schon ist Gut und Böse leicht auszumachen. So (glaubt man) hat man schnell Übersicht und Durchblick hergestellt - und kann sich wieder umdrehen auf dem Sofa.

      Hast schon recht: Kritik an illegalen isralischen Siedlungen = Kritik an Israel = Antisemitismus = Braun.

      Wer käme schon auf die Idee dass diese Welt nicht Schwarz/Weiß wäre, dass Gut/Böse Kategorien kindlichen Denkens sind?

      Kannst beruhigt weiter schnarchen und von Pipi Langstrumpf träumen. Die macht sich die Welt, so wie sie ihr gefällt.

    • 4G
      4932 (Profil gelöscht)
      @Petronius der Jüngere:

      Denken Sie also wirklich, daß die Ablehnung des Kaufs israelischer Produkte, die man jetzt erstmals identifizieren kann, brauner Antisemitismus ist? Wenn ja, dann war diese EU-Entscheidung dringenst nötig.

  • Es ist doch heute schon so, dass Produkte die irreführend als Produkte israelischer Siedler bezeichnet werden, statt Landräuber oder Besatzer; nach Tel Aviv transportiert werden und als israelische Produkte gefälscht werden können. Wie könnte eine Kontrolle aussehen und wer soll dafür bereit stehen?

    Die Israelis sollten die EU-Maßnahme als ersten Schritt betrachten und über ihre illegale Landraubpolitik nachdenken. Auch wenn solche wie Miri Maoz-Ovadija, Andreas Boldt Arjanne Kloos Nati Rom und Claudia Schille die EU-Maßnahme mit Hohn erwidern, weil sie auch wirtschaftlich nur wenig Bedeutung hat, ist ein generelles Embargo aller israelischen Produkte schneller beschlossen als sich viele heute vorstellen können. Russland soll hier als Beispiel genannt sein.

    Daneben ist es heute schon so, dass wegen der Landraubpolitik Israelis, viele Europäer Produkte aus Israel meiden und auch Reisen nach Israel nicht auf der Agenda haben. Mit einer aktiven Friedenspolitik könnte sich das für Israel positiv zum Guten wenden.

  • Ich ernähre mich grundsätzlich und konsequent nur von verganen, glutenfreien Hostien aus dem heiligen Land, die allerdings von einem garantiert unpädophilen Priester gesegnet und CO2-neutral in meinen Mund geliefert werden müssen.

     

    Nach dem Lesen dieser Zeilen überlege ich mir aber, meinen Ernährungsplan um den Urin möglichst rechtsradikaler Siedler zu erweitern.

  • Man sollte sich das Interview von Richard Schneider mit Avi Primor ansehen (9 Minuten die sich lohnen), um mit besten Informationen zum Thema versorgt zu werden. Da werden alle Fragen beantwortet, die hier in den Kommentaren auftauchen: https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-132913.html

    • 4G
      4932 (Profil gelöscht)
      @Berto Rand:

      Vielen Dank für Ihren Videotipp. Das Interview ist sehr hilfreich. So nach 8 Minuten sagt Avi Primor, daß Israel fürchtet, daß der Boykott sich auf alle Waren aus Israel ausweiten könnte. Dann hätten wir die freie Marktwirtschaft sogar in Israel.

  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    Ich würde schon gerne wissen, warum es für Israel so schwer ist, die Herkunft auf die sowieso vollgeschriebenen Etiketten zu drucken. Hat da jemand was zu verbergen? Wer die Produkte israelischer Siedler nicht mag, kann sie liegen lassen, wer sie will, kann sie jetzt gezielt kaufen. Kleiner Nachhilfeunterricht für die 'einzige Demokratie' des nahen Ostens. Oder ist das schon wieder Antisemitismus, wenn man die Produkte rechtsextremer Siedler boykottiert?

    • @4932 (Profil gelöscht):

      Mit aller Selbstverständlichkeit: Israel ist definitiv (und auch leider) die einzige Demokratie im Nahen Osten.

      • @Zombie :

        wäre dies die ungeschminkte, wahre und für den Sachverhalt entscheidende Wahrheit, so muss es verwundern, dass sich Stimmen dagegen erheben, dass nur die Produkte ein „Made in Israel“ tragen dürfen, die auch von dort stammen.

         

        Und dafür sorgt noch nicht mal diese Richtlinie der EU, weil sie nur für bestimmte Produkte gilt. Man darf sie als Ergebnis erheblicher Lobbyanstrengungen betrachten – man kennt ähnliches von der Autolobby und der Zigarettenindustrie – und die Bundesregierung macht dabei selten eine gute Figur.

         

        Ich habe bislang nur die englische Fassung der Interpretationsrichtlinie für geltendes EU-Recht zu Gesicht bekommen.

        http://eeas.europa.eu/delegations/israel/documents/news/20151111_interpretative_notice_indication_of_origin_of_goods_en.pdf

         

        Der wahre „Aufreger“ wird wohl im ersten Absatz liegen.

         

        Im Übrigen würde ich mir wünschen, die europäischen Staaten hätten sich in den letzten Jahren ebenso stark unterstützend und finanziell engagiert etwa gegenüber Tunesien verhalten, wie sie das bislang gegenüber Israel tun. Nicht auszudenken was wäre, die EU hätte vor ca-15/20 Jahren ein Bruchteil finanzieller Hilfen gegenüber Syrien aufgewandt, um dort Wohlstand als stärkende Grundlage für demokratischere Verhältnisse zu schaffen.

         

        Gut - Syrien ist als Betätigungsfeld nun in aller Munde....

    • @4932 (Profil gelöscht):

      Weil gebissene Hunde bellen! Jeder kann so entscheiden wie er will, das ist das Gute an der Kennzeichnung, in der Tat!

    • @4932 (Profil gelöscht):

      Die Entrüstung und die dabei vorgetragenen Argumente in diesem Zusammenhang lassen den Nachdenklichen ohnehin die Augenbrauen hochziehen.

      Ich kann mir nicht vorstellen, irgendwer in Nordzypern hätte Interesse, den dortigen zyprischen Wein als „türkischen“ verkaufen zu wollen.

      Und warum sollte das dortige Hotel- und Gaststättengewerbe auf die Idee kommen, in anderen Staaten nicht mit einen Urlaub auf Zypern, sondern mit einem in der Türkei zu werben, um die gewünschte Auslastung bzw. den gewollten Umsatz zu erreichen..

       

      Und wollte ich Gebetsmühlen verkaufen, dann würde ich doch gern behaupten können, die stammten originär aus Tibet.

      „Made in China“ leidet ja ohnehin oft unter Plagiatsvorwürfen.

    • @4932 (Profil gelöscht):

      Klar ist das Antisemitismus.

      Es ist doch schon Antisemitismus, wenn du gegen den Kapitalismus und die Machenschaften der Wallstreet bist. Oder wenn du mit jelchen gesprochen hast, die dagegen sind.

    • @4932 (Profil gelöscht):

      Sie können nachweisen dass die Produkte von Rechtsextremen stammen? Da bitte ich um Quellen - sofern diese umfangreiche Datei persönlicher Daten überhaupt zulässig ist.

       

      Ich hoffe nicht dass die Tatsache ausreicht dass dort auf Boden gesiedelt wird der im Rahmen eines Krieges besetzt und annektiert wurde, ansonsten haben wir gerade in Osteuropa ganze Landstriche voller Rechtsradikaler.

      • @Questor:

        Osteuropa, dass von Nazi Deutschland überfallen wurde und ausgeplündert wurde, mit Westjordanland und Gaza zu vergleichen ist schon starker Tobak.

        Israel ist eine Demokratie und verstößt mit seinen Handlungen gegen die Genfer Konvention!!!!

        • @Senza Parole:

          Sie meinen es ist verwerflich Osteuropa das mit einem Vernichtungskrieg überzogen wurde mit einem Israel zu vergleichen gegen das ebenfalls ein Vernichtungskrieg initiiert wurde? Der maßgeblichste Unterschied ist wohl dass Israel ein derartiges Morden bereits im Keim erstickt hat.

      • 4G
        4932 (Profil gelöscht)
        @Questor:

        Ich bin, wie viele Menschen, auf Informationen der Medien, also aus zweiter Hand angewiesen. Aber ich binde meinen Konsum schon grundsätzlich an eine Region, an Landwirte und Unternehmer, deren Anstand, deren Umgang mit Menschen und Tieren und Düngemitteln. Ich glaube, daß ich mir die Freiheit nehme, auf Waren aus Israel zu verzichten.

        • @4932 (Profil gelöscht):

          Nein, Sie müssen meinen Beitrag missverstanden haben. Bitte lesen Sie ihn erneut.

           

          Sie haben den Menschen einer ganzen Region Rechtsextremismus unterstellt, und da ich Sie nicht für einen Rassisten halte gehe ich davon aus dass Ihnen stichhaltige Beweise vorliegen. Angesichts eines derartig harten Vorwurfs bin ich natürlich an den Beweisen interessiert.

          • 4G
            4932 (Profil gelöscht)
            @Questor:

            Ich möchte das taz-Forum nicht weiter mißbrauchen für Diskussionen zwischen Ihnen und mir. Da mir heute nochmal mehrere israelische Stellungnahmen zugänglich wurden, habe ich tatsächlich den Eindruck, daß dieser EU-Beschluß als Antisemitismus betrachtet wird. Das ist ein vollständig anderes Handels- und Gesellschaftsverständnis als das meine. Auf mich als Kunden wird Israel zu 100% verzichten müssen. Und da haben Sie recht, ich bin eher das Gegenteil eines Rassisten.

          • @Questor:

            welche Motive würden Sie den Siedlern unterstellen ?

             

            Fürsorge für die Menschen, die man in den eroberten Gebieten vorgefunden hatte?