Produkte aus dem Westjordanland: Zurück zu den Regeln
Anders als die USA hält die EU am Völkerrecht fest. Wer Etiketten für Westbank-Produkte ablehnt, handelt im Sinne der Siedler, nicht proisraelisch.
B oykott, Schande, Skandal-Urteil – und sogar: Antisemitismus! Heftiger hätten die Reaktionen einiger deutscher Medien und PolitikerInnen auf das jüngste EuGH-Urteil zur israelischen Siedlungspolitik kaum ausfallen können. Während die USA erklärten, sie sähen den Siedlungsbau nicht mehr grundsätzlich als völkerrechtswidrig an, hatte der Europäische Gerichtshof kurz zuvor nämlich gegenteilig geurteilt: Produkte, die nicht aus Israel selbst, sondern aus einer Siedlung im besetzten Westjordanland kommen, müssen in der EU nun als solche gekennzeichnet werden – etwa mit einem Etikett „Erzeugnis aus dem Westjordanland (israelische Siedlung)“.
Die Bild schickte gleich einen Reporter in eine Siedlung, um sich solidarisch mit einem dortigen Winzer zu zeigen. Die Welt behauptete, Handelsrecht habe nichts mit Politik zu tun, und sah Antisemitismus am Werk. Und genauso wie die taz begründete auch der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein in der Bild seinen Antisemitismusvorwurf an die EU mit einem kuriosen Vergleich: Im Falle der Krim müssten Produkte nicht gekennzeichnet werden. Der jüdische Staat werde sonderbehandelt.
Hätte sich Klein informiert, bevor er diese abenteuerliche Argumentation in Deutschlands auflagenreichster Zeitung verbreitete, hätte er mit wenigen Google-Anfragen Folgendes erfahren: Die EU kann gar keine Kennzeichnung für Produkte von der Krim verlangen, für diese hat sie ein Komplett-Embargo erlassen: Produkte von der russisch besetzten Halbinsel dürfen auf dem EU-Markt nicht gehandelt, Investitionen auf der Krim nicht getätigt werden.
Das nennt sich Boykott. Was dagegen der EuGH im Fall der Siedlungsprodukte verlangt, nimmt eine wichtige Unterscheidung vor: jene zwischen Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten. Ebendiese Differenzierung ist es, die die umstrittene Boykott-Bewegung BDS vorzunehmen verweigert. Sie fordert einen Komplettboykott aller israelischen Produkte, was ihr den Vorwurf des Antisemitismus einbringt. Der EuGH dagegen rüttelt in keinster Weise am regen Handel zwischen der EU und Israel, der durch das Europa-Mittelmeer-Assoziierungsabkommen mit seinen zahlreichen Freihandelsbestimmungen richtigerweise extra gefördert wird.
Während der Krim-Vergleich schlichtweg falsch ist, hinken auch andere vorgebrachte Vergleiche, etwa mit der Westsahara oder Nordzypern. Richtig ist, dass es in beiden Fällen keine Etikettierungspflicht gibt. Handelskonflikte gibt es in beiden Fällen jedoch viele. Alles andere wäre auch fragwürdig: Die EU kann nicht ein Gebiet als besetzt erklären – also die Anerkennung der Souveränität eines Drittstaates über dieses Gebiet verweigern –, es handelspolitisch aber gleich behandeln wie das Mutterland.
Im Falle der Westsahara hat der EuGH 2016 im Verfahren „Front Polisario“ die Frage, ob ein EU-Handels- und Assoziierungsabkommen mit Marokko auf das völkerrechtlich nicht als marokkanisch anerkannte Gebiet der Westsahara angewendet werden darf, eindeutig verneint. Dass die EU-Kommission in diesem Jahr aus wirtschaftlichem Eigeninteresse versuchte, das Assoziierungsabkommen zu erweitern, um doch den Handel mit der Westsahara vorantreiben zu können, ist ein Skandal und sollte dringend Gegenstand einer öffentlichen Debatte werden.
Es ist also alles komplizierter, als manche KommentatorInnen glauben machen wollen. Wer sich für den Handel mit Siedlungsprodukten unter dem Label „Made in Israel“ ausspricht und eine Debatte darüber als antisemitisch diskreditiert, handelt nicht proisraelisch, sondern im Sinne der Siedlerbewegung – und außerdem im Einklang mit der US-Administration unter Donald Trump.
Die Siedler-Apologeten von Springer bis taz sollten sich im Klaren sein, was für problematische Grundannahmen mit ihrer Positionierung einhergehen: In Bezug auf den Nahostkonflikt treten sie dafür ein, nicht mehr zwischen Israel und den 1967 besetzten Gebieten zu unterscheiden. Dieses Narrativ, das seit Jahren von der Siedlerbewegung vorangetrieben wird, steht im Widerspruch zur Position der UNO, der EU, der Bundesregierung und übrigens auch der israelischen Regierung, die zwar Ostjerusalem und die Golanhöhen, bislang aber nicht die Westbank-Siedlungen annektiert hat.
Faire Verhandlungsposition
In Bezug auf internationale Politik allgemein bedeutet das: Wer die Siedlungspolitik verteidigt, akzeptiert, dass Verstöße gegen das Völkerrecht, wenn es politisch opportun erscheint, ohne Konsequenzen bleiben können. Das entspricht zwar – blickt man auf Leute wie Trump, Putin und Erdoğan – dem Zeitgeist, steht aber in krassem Widerspruch zu einer auf Regeln basierten Weltordnung.
Schließlich ist auch das immer wieder angeführte Argument grotesk, palästinensische ArbeiterInnen würden von den Siedlungen profitieren und unter Maßnahmen wie der Etikettierungspflicht am Ende selbst leiden. Den Gedanken muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Der materielle Vorteil eines Teils der ansässigen Bevölkerung soll die Besiedlung und wirtschaftliche Nutzbarmachung des Landes durch eine Besatzungsmacht rechtfertigen. Wer ernsthaft so argumentiert, fällt in kolonialistische Argumentationsmuster zurück.
Dass die EU anders als die USA an ihrer am Völkerrecht orientierten Position festhält und handelspolitisch konsequent agiert, ist richtig. Den Friedensprozess mag das – wie US-Außenminister Mike Pompeo bemerkte – nicht konkret voranbringen, aber es schafft eine wichtige Voraussetzung für künftige Friedensverhandlungen: Es sichert den PalästinenserInnen eine faire Verhandlungsposition zu. Die Verurteilung der Siedlungspolitik heißt nicht, dass alle Siedlungen im Westjordanland abgebaut werden müssen. Doch sie zu normalisieren, bevor eine politische Verständigung erreicht ist, ist verantwortungslos.
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