Pro-palästinensische Demos in Berlin: Antisemitismus im Rufen und Schweigen
Verbote propalästinensischer Demonstrationen dämmen Antisemitismus nicht ein. Denn der sitzt tief auch in der Mitte der Gesellschaft.
J a, es ist gut, dass am Samstag in Berlin eine große Demo in Solidarität mit den Palästinenser*innen laufen durfte. Selbst wenn einige Teilnehmer*innen beim Demozug von rund 10.000 Menschen durch Kreuzberg auch antisemitische Parolen riefen. Dass es diese Demo gab, war wichtig, weil in den vergangenen Wochen teils der Eindruck herrschte, dass die Polizei propalästinensische Solidaritätsbekundungen in Berlin pauschal untersagt hätte.
Doch es muss einen Raum geben, um auf die Not der Menschen in Gaza hinzuweisen. Gerade auch in Berlin, wo – historisch bedingt – besonders viele Menschen mit palästinensischem Hintergrund leben. Und von denen viele alltäglich antimuslimischen Rassismus erfahren. Dem Anliegen, gegen das Leid in Gaza zu protestieren, würde es allerdings helfen, wenn auch das Leid der jüdischen Geiseln, der Terroropfer und ihrer Angehörigen in den Kundgebungen Raum fände.
Dass ein Teil der Demonstrant*innen die Demos nutzt, um Antisemitismus und Hass auf Israel auszudrücken, spielt jenen in die Hände, die Antisemitismus vor allem als ein aus arabischen Ländern importiertes Problem sehen wollen. Das Bild von wütenden Menschen auf den Straßen eignet sich gut, um vom Problem in der Mitte der Gesellschaft abzulenken.
Denn nicht nur sind die antisemitischen Rufe auf den Demos ohrenbetäubend laut. Durchdringend sind auch das Schweigen, die Gleichgültigkeit und der Mangel an Mitgefühl in Bezug auf die Opfer des Hamas-Terrors: der schrecklichste Angriff auf Jüdinnen und Juden – weil sie jüdisch sind – seit der Shoah. Doch die Gesellschaft öffnet sich kaum für Erschrecken und Trauer. Und zuckt kaum bei den Nachrichten über Angriffe auf jüdische Einrichtungen in Berlin.
Gesamtgesellschaftlich ist also noch viel zu tun gegen Antisemitismus, das ist in den letzten Wochen erschreckend klar geworden. Das Problem ist größer als Pro-Palästina-Demos – ob sie verboten werden oder nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Amnesty-Bericht zum Gazakrieg
Die deutsche Mitschuld
Wirbel um Schwangerschaftsabbruch
Abtreiben ist Menschenrecht
Hilfslieferungen für den Gazastreifen
Kriminelle Geschäfte mit dem Hunger
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Batteriefabrik in Schleswig-Holstein
„Der Standort ist und bleibt gut“
Nach Recherchen zum Klaasohm-Fest
Ab jetzt Party ohne Prügel