piwik no script img

Pro-palästinensische Demos in BerlinAntisemitismus im Rufen und Schweigen

Uta Schleiermacher
Kommentar von Uta Schleiermacher

Verbote propalästinensischer Demonstrationen dämmen Antisemitismus nicht ein. Denn der sitzt tief auch in der Mitte der Gesellschaft.

Tausende zogen am Samstag in Solidarität mit Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen durch Kreuzberg Foto: Paul Zinken / dpa

J a, es ist gut, dass am Samstag in Berlin eine große Demo in Solidarität mit den Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen laufen durfte. Selbst wenn einige Teil­neh­me­r*in­nen beim Demozug von rund 10.000 Menschen durch Kreuzberg auch antisemitische Parolen riefen. Dass es diese Demo gab, war wichtig, weil in den vergangenen Wochen teils der Eindruck herrschte, dass die Polizei propalästinensische Solidaritätsbekundungen in Berlin pauschal untersagt hätte.

Doch es muss einen Raum geben, um auf die Not der Menschen in Gaza hinzuweisen. Gerade auch in Berlin, wo – historisch bedingt – besonders viele Menschen mit palästinensischem Hintergrund leben. Und von denen viele alltäglich antimuslimischen Rassismus erfahren. Dem Anliegen, gegen das Leid in Gaza zu protestieren, würde es allerdings helfen, wenn auch das Leid der jüdischen Geiseln, der Terroropfer und ihrer Angehörigen in den Kundgebungen Raum fände.

Dass ein Teil der De­mons­tran­t*in­nen die Demos nutzt, um Antisemitismus und Hass auf Israel auszudrücken, spielt jenen in die Hände, die Antisemitismus vor allem als ein aus arabischen Ländern importiertes Problem sehen wollen. Das Bild von wütenden Menschen auf den Straßen eignet sich gut, um vom Problem in der Mitte der Gesellschaft abzulenken.

Denn nicht nur sind die antisemitischen Rufe auf den Demos ohrenbetäubend laut. Durchdringend sind auch das Schweigen, die Gleichgültigkeit und der Mangel an Mitgefühl in Bezug auf die Opfer des Hamas-Terrors: der schrecklichste Angriff auf Jüdinnen und Juden – weil sie jüdisch sind – seit der Shoah. Doch die Gesellschaft öffnet sich kaum für Erschrecken und Trauer. Und zuckt kaum bei den Nachrichten über Angriffe auf jüdische Einrichtungen in Berlin.

Gesamtgesellschaftlich ist also noch viel zu tun gegen Antisemitismus, das ist in den letzten Wochen erschreckend klar geworden. Das Problem ist größer als Pro-Palästina-Demos – ob sie verboten werden oder nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Uta Schleiermacher
Redakteurin für Bildung und Feminismus in der taz-Berlin-Redaktion
Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Der Artikel versammelt alle Ingredienzen der linken Relativierung, die, das sei der TAZ zu Gute gehalten, an anderer Stelle hier zu recht schon angesprochen und kritisiert wurden. Nur hat Frau Schleiermacher das offensichtlich nicht gelesen. Konkret relativiert sie im obigen Artikel weil:

    1) Sie so tut als habe es ein allgemeines Verbot von pro-palästinensischen Demonstrationen gegeben. Nein, was es vollkommen zu recht gegeben hat ist das Verbot von antisemitischer und antiisraelischer Hetze. So lange jede vermeintlich propalästinensische Demonstration in Wahrheit vielmehr eine antiisraelische bzw. Antijüdische Demonstration ist, ist es richtig diese zu verbieten. Hier sind die Veranstalter gefordert, nur wollen oder können sie es offensichtlich nicht.

    2) Sie implizit Verständnis zeigt und in den Hetzern in erster Linie Opfer von antiislamischen Rassismus sieht. Was genau soll das sein und was bitte soll das entschuldigen?

    3) Sie versucht davon abzulenken, dass es sehr wohl ein Problem spezifisch mit einem aus dem arabischen Raum importierten Antisemitismus gibt in dem sie hier undifferenziert die gesamte Gesellschaft in die Haftung nimmt. So gut wie alle Vertreter der Gesellschaft, mit Ausnahme einiger Linker, haben hier sehr klar Stellung bezogen und nicht geschwiegen wie die gute Frau behauptet. Geschwiegen zu den feigen Verbrechen der Hamas haben im besten Falle die Vertreter der Palästinenser und Muslime bzw. diese relativiert.

    Ja, ich kenne die Studien auch die zu dem Ergebnis kommen, dass bis zu 20% der Gesellschaft hier antisemitische Vorurteile haben oder entsprechende Klischees im Kopf haben. Aber die gleichen oder ähnliche Studien kommen auch zu den Ergebnis, dass es die Ablehnung von Israel und Juden unter arabischen Einwanderern 3 mal so hoch liegt. Hier nicht zu differenzieren ist unredlich und im Übrigen gibt es auch einen Unterschied zwischen antisemitischen Einstellung und offen ausgelebten Hass.

  • Die TAZ sollte doch bitte eine klare Definition des Begriffs "Antisemitismus" geben. Dazu Wikipedia: "Als Antisemitismus werden heute alle pauschalen Formen von Judenhass, Judenfeindlichkeit oder Judenfeindschaft bezeichnet", d.h. gegen Juden gerichtet, weil sie Juden sind. Diese Definition schliesst erstmal nicht den Begriff des sog. "israelbezogenen Antisemitismus" ein, der in Deutschland oft benutzt wird. Mit diesem Letzterem wird die Kritik an der Politik Israels bezeichnet, die sich häufig gegen israel als Besatzungsmacht richtet, die auf unterschiedlichem Recht für Israelis (Zivilrecht) und Palästineseren (Militärrecht) beruht zusammen mit einer rechgtsextremen Siedlungspolitik, deren Zielsetzung die Vertreibung der Palästineser aus dem Westjordanland und Gaza ist. Es wäre daher sehr hilfreich, wenn die TAZ den Begriff des Antisemitismus klar definieren könnte und nicht, wie es den Anschein hat, inflationär und als Totschlagargument für jedwede Kritik an der israelischen Politik verwenden würde.

    • @Rinaldo:

      Es ist natürlich tricky, ausgerechnet die seit Jahren dominierende Variante des Antisemitismus als nicht antisemitisch zu bezeichnen.

      Der Antisemitismus hat sich in seiner 2000-jährigen Geschichte vielfach gewandelt. Vom christlichen Antijudaismus über den rassistisch-völkischen Antisemitismus der Nationalsozialisten bis eben zum israelbezogenen Antisemitismus.

      Israel wird seit Jahrzehnten von der UN mit mehr Resolutionen überzogen, als der Rest der Welt zusammengenommen, bei keinem anderen Staat wird über das "Existenzrecht" verhandelt.

      In einer Studie wurde die extrem einseitige Berichterstattung über Israel festgestellt:

      www.stern.de/polit...ritik-3950132.html

      " Zum Vergleich werten die Linguisten Artikel über Konflikte und Menschenrechtslagen in anderen Ländern aus, darunter Russland, Nordkorea und Saudi-Arabien. Keines von ihnen kam so schlecht weg wie Israel. "Hier hat sich in den letzten Jahren wiederholt gezeigt, dass im deutschen Kommunikationsraum ein extrem einseitiges und sehr negatives Israel-Bild vermittelt wird", stellt Schwarz-Friesel fest."

      And so forth.

    • @Rinaldo:

      Weshalb schließt für Sie Antisemitismus israelbezogenen Antisemitismus nicht mitein?

      Mit israelbezogenen Antisemitismus wird in der taz nicht Kritik an der Politik Israels bezeichnet.

      Kritik am Besatzungsrecht und an der Siedlungspolitik von Rechtsextremen können Sie doch kritisieren.

      Da macht Ihnen niemand per se einen Vorwurf.

      Es hat auf mich nicht den Anschein, dass die taz den Begriff inflationär benutzt.

      Da steckt halt so oft Antisemitismus drin.

      Ich kann das quasi immer nachvollziehen.

      • @rero:

        Die Antwort ist doch einfach.

        Er möchte kein Antisemit aber gleichwohl für die Palästinenser und ihrer Forderung nach Vernichtung des Staates Israels sein.